tagesschau.de: „Ich bin kein Held, weil ich im Rollstuhl sitze“

Interview zum „Internationalen Tag der Behinderten“
Raul Krauthausen ist diplomierter „Design Thinker“. Jetzt schreibt er seine Magisterarbeit, arbeitet beim Jugendradio Fritz, plant Projekte mit den „Sozialhelden“ und berät ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge – ein Leben, das viel Energie braucht. Der 29-Jährige hat die Glasknochenkrankheit. tagesschau.de sprach mit ihm anlässlich des „Welttags der Behinderten“.

tagesschau.de: Hat der „Internationale Tag der Behinderten“ eine Bedeutung für Sie?
Raul Krauthausen: Eigentlich ist es ein Tag wie jeder andere. Ich finde es nur schade, dass er so kurz nach dem Weltaidstag kommt und deswegen so wenig beachtet wird. Ich würde mir wünschen, dass an diesem Tag die mediale Öffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit auf das Leben von Behinderten lenkt – und für Aufklärung sorgt.
tagesschau.de: Wo fehlt denn noch Aufklärung?
Krauthausen: Bei der Akzeptanz und Integration: Behinderte Menschen werden in eigens dafür geschaffenen Institutionen wie zum Beispiel in Sonderschulen verwaltet. Aber das Problem an Sonderschulen ist, dass sie „besonders“ sind und die Schüler deswegen nie wirklich integriert werden. Es braucht mehr Aufklärung und Information darüber, dass es auch Integrationsschulen gibt. Und der Staat muss anfangen, mehr Geld dafür zu investieren statt zu sagen, dass seine Pflicht mit den Sonderschulen getan ist. Ich war in einem Modellprojekt, bei dem Kindergarten, Grund – und Gesamtschule Hand in Hand gearbeitet haben. So war ich nicht unter anderen Behinderten. Da hatte ich Glück – das hat nichts mit Können zu tun.
tagesschau.de: Welche Rolle hat die Integrationsschule für Sie gespielt?
Krauthausen: Wenn du die ganze Zeit unter gleichen Menschen mit Einschränkungen bist, dann hast du zum Guten wie zum Schlechten keinen Punkt, an dem du dich orientieren kannst. Der Nachteil an der Integrationsschule war, dass ich keinen Gesprächspartner hatte, der das gleiche Schicksal teilte wie ich. Der Vorteil war, dass ich mich an Menschen orientiert habe, die „der Norm entsprechen“, und versucht habe, mitzuhalten und meinen eigenen Weg zu finden – aber immer mit dem Ziel, auch mal einen richtigen Job zu finden. Sonderschulen bieten zwar auch Ausbildungen an, aber die sind oft nicht auf einem arbeitsmarktkompatiblen Niveau. Wenn man ausschließlich mit Behinderten zusammen ist, dann prägt das das Bild von „den anderen“. Ich kenne viele Behinderte, die sagen die Welt da draußen ist gefährlich, ungerecht, furchtbar. Aber wahrscheinlich sagen sie das, weil sie wenig Chancen hatten sich in ihr zu entdecken.
tagesschau.de: Inwiefern gefährlich, ungerecht, furchtbar?
Krauthausen: Es ist für Behinderte schwierig. Wenn es mancherorts keine Aufzüge gibt, nur Treppen. Oder für Blinde keine Speisekarten in Blindenschrift. Aber es ist das typische Henne-Ei-Problem. Weil so wenig Behinderte im Stadtbild präsent sind, richten sich nicht alle danach. Ich will niemandem Behindertenfeindlichkeit vorwerfen, aber es ist auch eine ganze Industrie, die dahinter steckt – wenn zum Beispiel nachmittags zu einer Sonderschule am Stadtrand 40 Kleinbusse geschickt werden um 40 Rollstuhlfahrer abzuholen, statt einfach das öffentliche Verkehrssystem auszuweiten.
tagesschau.de: Sie haben schon einige Interviews gegeben. Wie fühlt sich diese Aufmerksamkeit an?
Krauthausen: Ich finde es schade, dass ich diese Aufmerksamkeit nur bekomme, weil ich behindert bin und die Sachen, die ich mache, dadurch besonders werden. Ich fühle mich dann auf meine Behinderung reduziert. Ich wünsche mir, dass über meine Projekte berichtet wird, ohne dass ich darin vorkomme. Ich bin kein Held, weil ich im Rollstuhl sitze. Ich könnte genauso gut ein Arschloch sein – es würde sich keiner trauen das zu sagen. Das nervt. Ich werde oft in die Rolle des „Vorzeigebehinderten“ gedrängt und scheine sie auch gut zu bedienen, aber ich warne davor: Es ist nur meine Sichtweise und nicht allgemeingültig auf alle anderen anwendbar.
tagesschau.de: Auf Ihrer Webseite sammeln Sie Behindertenwitze – warum?
Krauthausen: Dinge werden dann ein Stück mehr Normalität, wenn man über sie lachen kann. Ich glaube, es kommt mehr darauf an, wie man die Witze erzählt als dass man sie erzählt. Ein und derselbe Witz kann lustig oder verletzend sein. Ein Kind meinte letztens zu mir „Guck mal Papa, ein Zwerg!“ Ich habe gelacht – der Vater hatte wohl einen Kloß im Hals. Das tut mir leid, weil das Kind doch nur ehrlich war. Und außerdem finde ich, dass Zwerg eine schöne Metapher für einen kleinen Menschen ist.



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