Manchmal bin ich genervt

Vor kurzem war ich bei meinem alten Arbeitgeber und seiner Nacht der Talente. Eine großartige Veranstaltung, bei der Musiker und Poetry-Slammer jeweils gegeneinander antreten und die Gunst des Publikums für sich gewinnen müssen. Die Poetry-Slammerin Katja Hofmann hat mir dabei besonders gut gefallen, weil sie mit ihrem kurzen, görenhaften Text "Ich hasse das …" viele Beispiele nannte, die nerven. Mich nerven auch so manche Sachen, weshalb ich mir gedacht habe, dass ich diese hier mal zusammentrage:

  • Es nervt mich, wenn Behinderungen gegeneinander ausgespielt werden und damit die Diskussionen um Barrierefreiheit in den Hintergrund geraten. Das ist ein gefundenes Fressen für all jene, die die eigentlichen Behinderer sind. Die sagen dann: "Ihr (Betroffenen) wisst ja selber nicht, was ihr wollt, wie sollen wir dann richtig handeln?"
  • Es nervt mich, wenn sich prominente Behinderte in ihren Positionen nicht mehr für Menschen mit Behinderung einsetzen. (Hallo, Herr Schäuble!)
  • Es nervt mich auch, wenn man sich immer zu Behinderten-Themen äußern muss, nur weil man eine Behinderung hat.
  • Es nervt mich, wenn Menschen mit Behinderung die "Jeder-Kann-Es-Schaffen"-Show abziehen, und habe doch auch manchmal den Eindruck, dass ich selber als solcher gesehen werde und dieses Klischee scheinbar irgendwie bediene.
  • Es nervt mich, dass sich viele Menschen nicht trauen, mir ihre ehrliche, auch negative Meinung zu sagen. Denn wie schon Funny van Dannen singt: "Auch Lesbische, Schwarze, Behinderte können ätzend sein."
  • Es nervt mich, wenn andere Menschen mit mir verwechselt werden, nur weil sie die gleichen äußeren Eigenschaften (Behinderung, Rollstuhl, Mütze aufm Kopf) haben.
  • Es nervt mich, wenn der verantwortliche Architekt nicht nachgedacht hat, bevor er eine rollstuhlgerechte Toilette in den Keller eines Cafés gebaut hat. Ohne Aufzug.
  • Es nervt mich, wenn der Denkmal- oder der Brandschutz wichtiger sind als das Menschenrecht auf Teilhabe und Menschen mit Behinderung ausgeschlossen werden.
  • Es nervt mich, wenn Fitnessclubbesitzer uneinsichtig sind und einen Rollstuhlfahrer nicht mehr bei sich trainieren lassen.
  • Es nervt mich, wenn ich das Gefühl habe, dass Dankbarkeit von mir erwartet wird, obwohl ich Barrierefreiheit für selbstverständlich halte.
  • Es nervt mich, wenn mir ständig Leute erzählen, dass sie "auch jemanden kennen, der eine Behinderung hat", das aber nicht zwangsläufig heißt, dass das jetzt eine prima Gesprächsgrundlage ist.
  • Es nervt mich, wenn andere Leute denken, ich würde leiden und hätte es ja soooo schwer im Leben.
  • Es nervt mich, wenn ich als "der Starke" gesehen werde, der "trotz seiner Behinderung" das alles schafft, auch wenn ich manchmal heulen könnte.
  • Es nervt mich, dass ich als Krüppel aus dem "Beuteschema" falle und schnell als "der beste Freund", dem man alles erzählen kann, gelte. Selten jedoch als möglicher "Beziehungspartner" in Frage komme.
  • Ich nerve mich selbst, wenn ich andere Menschen zu sehr mit dem Thema Behinderung behellige und dabei selber oft den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe und die Erfolge, die erreicht wurden, nicht mehr wahrnehme.
  • Es nervt mich, dass mich so viel nervt und dass dieser Beitrag nicht so gut klingt wie der von Katja Hofmann.
  • Es nervt mich, dass ich nach dem Schreiben dieses Artikels nicht mehr weiß, wie man sich richtig verhält. Aber wir Menschen sind einfach manchmal genervt.

Darum frage ich: Was nervt dich? Lass es raus!
Dieser Text entstand für das Inklusions-Blog der Aktion Mensch.



14 Antworten zu “Manchmal bin ich genervt”

  1. Es nervt mich wenn die Menschen etwas für „richtig“ oder „normal“ halten, weil eine Mehrheit das auch so macht, ohne mal zu hinterfragen ob das nicht vielleicht doof oder unsinnig ist…
    Nichts nervt mehr als „das machen doch alle so…“

  2. Schönes ehrliches Posting. Menschlich.
    Mal ein Blick über den Tellerrand auf die andere Seite – die der „Nichtbehinderten“ mit behindertem Partner:
    Es nervt mich, gelobt zu werden, „dass ich das ja so gut mache“ – ja was denn bitte?
    Es nervt mich, wie Satan persönlich angestarrt zu werden, wenn meine bessere Hälfte im Rollstuhl vollbeladen als Einkaufswagen fungiert. Ich kann nunmal nicht Rollstuhl schieben und gleichzeitig zwei Einkaufstüten und ne Kiste Bier tragen. Scheint aber manch einer nicht zu realisieren.
    Es nervt mich, dass Freunde im vierten Stock ohne Fahrstuhl wohnen. Natürlich können sie nichts dafür, aber es nervt.
    Es nervt mich, dass Architekten sich offenbar einen Wettstreit liefern, wer das höchste Hochparterre baut und den Fahrstuhl möglichst viele Stufen oberhalb des Eingangs zu platzieren. Alle.
    Es nervt mich, dass ich mir über so etwas überhaupt Gedanken machen muss.
    Es nervt mich, dass ich nicht spontan in den Zug einsteigen und heimfahren kann, sondern erstmal mindestens 24 Stunden im Voraus Einstiegshilfe anmelden muss.
    Es nervt mich, dass ich nicht auf ein Festival fahren kann, ohne dafür Organisationsaufwand zu treiben.
    Es nervt mich, dass ich keine Worte finde, das neutraler zu formulieren, ohne dass sich meine Partnerin unbewusst wie ein Störfaktor vorkommen muss, obwohl ich mich bewusst und in voller Klarheit über die Konsequenzen für dieses Leben entschieden habe.
    Es nervt mich, dass zwar Behinderte eine Reihe von Angeboten zum Austausch haben, es aber bei ihren Angehörigen sehr viel dünner aussieht, wenn man nicht in eine Community der „Pflegenden“ geschoben werden möchte. Dass ich keine Plattform habe, wo ich Alltagsfrust, Ängste, Sorgen, aber auch positive Erfahrungen teilen kann.
    Es nervt mich, dass ich bisher offenbar zu lethargisch war, den letzten Punkt zu ändern. Ich glaube, damit fange ich an.
    Fazit: das Thema nervt. Manchmal. Aber es ist eine Notwendigkeit. Und Gott sei Dank sind wir dennoch alle Menschen und keine Roboter, die mechanisch erledigen, was andere oder wir selbst von uns erwarten. Wir haben Gefühle, und haben Fehler. Und das ist gut so.

  3.  
    Mich nerven die stigmatisierenden Werbeplakate über uns Menschen
    mit Behinderung in denen wir  in alltäglichen
    Situationen  so normal dargestellt
    werden, dass alles so unnormal wirkt.
    Signalisiert wird meiner Meinung nach
    einzig – die sind zwar normal, aber weil wir (in dem Fall Menschen ohne
    Behinderung das nicht begreifen) müssen wir diese Menschen unnormal normal
    darstellen.
     
    Wie soll  Inklusion
    funktionieren, wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, das alles was wir
    tun  zwar irgendwie normal ist, aber
    sobald wir es tun, es nicht mehr normal ist.
    Ich will so eine Imagepflege nicht, die Frage ist wer will
    das? Und wem dient das? Uns doch bitte nicht. Ich bin so normal, das ich schon
    fast langweilig bin  ; )
    V. dh. nervt es mich, dass Verbände, Institutionen,  uns  gebrauchen
    für Ihre Kampagnen und dabei immer so voll am Thema vorbei arbeiten.
    Toll, die kann sogar Karussell fahren,
    Toll die ist Klassensprecherin,
    Toll, die geht arbeiten
    „Die sind normal, aber weil das nicht normal ist, das sie
    normal sind, müssen  wir das auf riesigen
    Plakaten und im Fernsehen, zeigen?? Ist das normal?  Neeeeee
    Ich will einfach meine Ruhe und nicht mein ganz alltägliches
    Leben völlig unnormal auf Plakaten sehen.
    Ich ergänze das mal – Toll die kann kotzen und das ganz
    allein – das tue ich dann jetzt mal : ) und das ganz normal
    Angelika die normal – unnormal – scheißegal – Rollstuhlfahrerin
     

  4. Mich nerven „Nichtbehinderte“ die der Meinung sind ein behinderter Mensch müsse „rücksichtsvoller“ behandelt werden als die „normalen“ Menschen….
    .Ich werde niemals einen Behinderten anders behandeln als jeden „normalen“ Menschen auch. Mich kotzt das extrem an wie da versucht wird „Rücksicht“ zu nehmen….Der Lehrling in meinem Betrieb hat die Behinderung, dass er 2 verkrüppelte Arme hat. Das ist keine Entschuldigung dafür das er kein Bier holen muss. Er ist der „Stift“ und nach Feierabend sage ich ihm auch wie sich das gehört „STIFT GEH BIER HOLEN!“ … und das ist OK so, weil ich das lachen in seinem Gesicht sehen kann. Und er bringt Bier! Er findet immer einen Weg die Unwegsamkeiten zu überwinden.
    ….. und an alle Intellektuellen hier … das ist auf dem Bau vollkommen normal!
    Mach weiter so Raul. Du bist wirklich ein Gewinn für die ganze Problematik. Aufklärung tut wirklich not!
    Gruss Thomas

  5. Mich nervt es das es immer noch Menschen nerven muss über eine Behinderung oder einen Angehörigen mit Behinderung zu schreiben. Es ginge soviel leichter, wenn Behinderung nicht als Behindernd bezrachtet werden würde.
    Mich nervt es, dass alle von Inklusion reden und das scheinbar nicht funktioniert. Entweder langsam angehen oder gleich richtig machen. Aber dieses halbgare wir setzen mal ein Kind im Rollstuhl in eine „normale“ Klasse ist nicht ausreichend. Das kann funktionieren. Aber dann müssen auch sie Rahmenbedingunfen stimmen.
    Mich nervt es, dass ich als Heilerziehungspfleger von anderen Berufsgruppen höre, „sowas könnte ich nicht“ … Ich arbeite mit Menschen, nicht mit Monstern!?! O_o
    Mich nervt es, dass ich als Heilerziehungspfleger in Integeationskitas und Schulen immer noch so wenige Perspektiven habe.
    Mich nervt es, dass es nicht normal ist verschieden zu sein. Und nur weil ich keine Behinderung habe oder irgendein auffälliges Merkmal, werde ich als nicht Besonderes angesehen.

    • wie Recht du hasst. Mich nervt auch dieser Spruch :“…das könnte ich ja nie!“ Ich bin Heilerziehungspflegerin ja, aber ist denn das so etwas besonderes? Und wenn ja, warum ist er so wenig anerkannt?

  6. Mich nervt :
    + wenn mein sohn und ich angeglotzt werden , und dann auch noch so dreist , dass sich die Leute direkt neben oder vor einen stellen
    + dass Menschen nicht einfach mal helfen können , wenn sie sehen, dass der Buggy plus Kind zu schwer sind
    + uneinsichtige Busfahrer
    + dumme Kommentare a la „wie der ist behindert? der kann doch reden!“
    + „guck mal das große Kind muss noch gefahren werden, das gabs aber zu unserer Zeit nicht“
    + der Kampf um den Behindertenparkplatz
    + diese Betroffenheits und Mitleidsduselei
    + dass Jammern auf hohem Niveau von Müttern mit gesunden Kindern
    + wenn Läden zu eng sind
    + wenn wir die Behindertenkabine im Schwimmbad nicht bekommen, weil da gesunde Menschen drin sind
    + diese bescheuerte Streiterei um Begriffe (handicap darf man nicht sagen etc)
    + diese Pseudosozialen Menschen, die das nur tun um als Gutmensch darzustehen
    (ich hoffe , es kommt auch mal eine positive Liste gibt nämlich auch viel Gutes)
    liebe Grüße

  7.  „Es nervt mich, dass ich als Krüppel aus dem „Beuteschema“ falle und
    schnell als „der beste Freund“, dem man alles erzählen kann, gelte.
    Selten jedoch als möglicher „Beziehungspartner“ in Frage komme.“
    4evr alone

  8. Hi Raúl!
    Ich fast alles unterschreiben, aber eben nur fast.
    Du nennst Schäuble und kurz darauf sagst du: …warum soll man als Behinderter immer nur zu Behinderten-Thema Kommentare abgeben?
    Ich finde es gar nicht schlimm, wenn sich erfolgreiche Behinderte nicht für Behinderten-Themen einsetzen. Das nenn ich volle Inklusion!

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