Eine Selbstkritik #cbmbd14

Am Wochenende besuchten wir Projekte des Centre for Disability in Development (CDD) in Gaibandha. Das CDD setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen bei schweren Katastrophen (Monsun, Erdbeben etc.) bei Evakuierungen ebenfalls gerettet werden.
Dies tun sie durch u.a. Aufklärungen (z.B.: Straßen-Theater)

Traditionelles Straßen-Theater in #Bangladesch. #cbmbd14

A photo posted by Raul Krauthausen (@raulkrauthausen) on


aber auch durch den (Um)bau von barrierefreien Evakuierungsstätten. Auch einzelne Leuchtturmprojekte wurden realisiert. So z.B. das barrierefreie Haus von Bashah M. und seiner Familie.


Ihn besuchten wir mit dem Boot vom CDD-Centre aus. Er wohnt in einem Ward (kleines Dorf) mit ca. 700 Familien (über 3000 Einwohner). 60 Einwohner davon haben eine Behinderung. Aber nur Herr M. hat das barrierefreie Haus. Warum?
Die Erklärungen der Verantwortlichen stimmen mich nachdenklich. Auf der einen Seite fehle das Geld, aber auf der anderen Seite auch der Wille der Regierung, Barrierefreiheit im ländlichen Raum umzusetzen. Will eine NGO beispielsweise eine Maßnahme zur Barrierefreiheit starten, muss dies vorher erst von der Regierung genehmigt werden. Ein langer und schwieriger Prozess.
Ergebnis: Es gibt einige Leuchtturmprojekte für einzelne Familien, aber zu wenig Fortschritt für das ganze Dorf. Das erzeugt Neid und Missgunst unter den Bewohnern.

Rundgang durch ein Ward in Gaibandha. #cbmbd14

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Auf unserem Rundgang durch das Dorf sahen wir viele Menschen mit Augenkrankheiten. Vermutlich der „graue Star“. Die Menschen schienen keine medizinische Versorgung bekommen zu haben. Eine Familie erzählte sogar, dass sie sich die Augensalbe für die jüngste Tochter nicht mehr leisten kann, seitdem der Vater gestorben ist. Wie kann es sein, dass ein Leuchtturmprojekt mit Rampe und barrierefreier Toilette für eine einzelne Person (für insgesamt umgerechnet ca. 1200 €) gebaut werden kann, aber das Geld für eine Salbe fehlt? Warum wird das von den NGOs vor Ort nicht gesehen und ebenfalls ein Projekt initiiert?

Höchste Zeit für eine kritische Betrachtung mit den Verantwortlichen am Abend.

Beim De-Briefing. #cbmbd14

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In den Gesprächen offenbaren sich mögliche Ursachen für das Dilemma:
Zum Einen ist da die „Projektitis“, wie ich sie nenne. Es gibt unzählige Projekte mit klar abgesteckten Grenzen und Zielen. Ein Blick über den Projekt-Tellerrand und mehr Flexibilität in der individuellen Unterstützung der Menschen vor Ort ist hier selten anzutreffen.
Zum Anderen scheint es (noch?) keine Feedbackstrukturen zu geben, die es den NGOs ermöglichen, Feedback der Menschen vor Ort (NGO-Mitarbeiter und Bevölkerung) in die eigene Projektevaluierung einfließen zu lassen.
Darüberhinaus wäre es ebenfalls sicher sinnvoll, dass einzelne NGOs mit ihren spezifischen Projekten z.B. das CDD mit seinem Thema „Barrierefreiheit im Desastermanagement“ mit anderen NGOs zum Thema Augenkrankheiten vernetzen.

Ein letzter Gedanke zum Schluss:

In den letzten Tagen haben wir 2-4 Stationen pro Tag besucht. Von Rehazentren über Schulen bis hin zu einzelnen Familien zuhause. Überall wurden wir sehr gastfreundlich aufgenommen.
Was mich jedoch plagt ist die Befürchtung, dass wir wie Kolonialherren wirken könnten. Wir fahren mit schicken Autos in arme Gegenden.

Das ist unser #Konvoi von der Hauptstadt #Dhaka in den Norden nach #Ghaibanda. Gerade machen wir Rast. #cbmbd14

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Bleiben kurze Zeit, lernen die Menschen vor Ort nur oberflächlich kennen, machen Fotos, verbreiten eine unglaubliche Unruhe im Dorf und zischen nach getaner Arbeit und der „Schicksals-Story im Kasten“ wieder ab. Auch unsere Guides wirken auf mich manchmal etwas ruppig im Umgang mit den Bewohnern vor Ort. Ich habe ab und zu den Eindruck, dass die Menschen, die wir besuchen, nicht ausreichend über den Ablauf und Aufwand mit uns informiert wurden.


Ich habe Sorge, dass wir sie überrumpeln und am Ende sogar keine Dankbarkeit dafür zeigen, dass sie sich die Zeit für uns nehmen. Ich bin irgendwie Teil des Systems und kann nur schwer mein Bedürfnis nach Vertrauensschaffenden Maßnahmen befriedigen.



21 Antworten zu “Eine Selbstkritik #cbmbd14”

  1. Die Probleme, denen du in Bangladesh begegnest, sind vermutlich überall auf der Welt die gleichen; Inklusion und gerechte Verteilung sind schwierig. Wie in jedem anderen soialen Bereich auch. Obwohl du deine Finger, meiner Meinung nach, in die richtigen Wunden legst, daran kann man arbeiten. Ein Bisschen ist ein besserer Anfang als nichts. Und Inklusion bedeutet eben nicht nur Rampen und Blindenschrift, sondern auch gleiche Ebenen im Umgang. Respekt eben. Dass ihr wie Kolonialherren daher kommt, glaube ich allerdings nicht. Achtung Inspiration Porn: Zu sehen, dass der kleine Rául eben nicht im Kinderparadies abgeholt werden muss, sondern um die Welt reist, das bedeutet für die Menschen, die dich dort treffen das Öffnen neuer Türen und Perspektiven., schrieb Annton Beate Schmidt auf Facebook um 17:26

  2. Die Probleme, denen du in Bangladesh begegnest, sind vermutlich überall auf der Welt die gleichen; Inklusion und gerechte Verteilung sind schwierig. Wie in jedem anderen sozialen Bereich auch. Obwohl du deine Finger, meiner Meinung nach, in die richtigen Wunden legst, daran kann man arbeiten. Ein Bisschen ist ein besserer Anfang als nichts. Und Inklusion bedeutet eben nicht nur Rampen und Blindenschrift, sondern auch gleiche Ebenen im Umgang. Respekt eben. Dass ihr wie Kolonialherren daher kommt, glaube ich allerdings nicht. Achtung Inspiration Porn: Zu sehen, dass der kleine Rául eben nicht im Kinderparadies abgeholt werden muss, sondern um die Welt reist, das bedeutet für die Menschen, die dich dort treffen das Öffnen neuer Türen und Perspektiven., schrieb Annton Beate Schmidt auf Facebook um 17:26

  3. Tsja. Willkommen in der Entwickungszusammenarbeit. Ich kann Deine Bedenken sehr gut verstehen. Ich glaube unterdessen nur noch an das Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe.“ Man muss die Menschen befähigen, sich selbst zu helfen statt immer nur ein bisschen da und ein bisschen dort was zu machen. Und vor allem müssen die Leute selber sagen, was sie wollen. Manche Organisationen entmündigen die Menschen total a la „Wer zahlt, bestimmt die Musik“. Ich habe gerade Berichterstattung über einen großen Kongress gemacht, bei dem viele EZ-Organisationen waren. Ich fand auf dem Kongress den Umgang mit den „Partnerorganisationen“ aus den verschiedenen Ländern schon manchmal grenzwertig. Die wurden vorgeführt oder abgeschirmt. Wie es den großen Playern gerade passte.

  4. finde deine Gedanken sehr spannend und werde mal meine Geschwister auf deinen Artikel hinweisen. Ich hatte beim Lesen auf Twitter immer mal Bauchschmerzen, weil ich da schon ein Fragezeichen habe, wie transparent die Verwendung der Spendengelder wirklich ist, wieviel davon in Verwaltungseinheiten fließen (die dann evtl. von Weißen besetzt werden), wieviel einfach nicht ankommt. Die Vernetzung kleinerer NGOs ist wirklich ein Thema. Aber eben auch die Verwendung von Geldern bei den „Spendensammelkonzernen“.

    • ganz so einfach ist es halt nicht. Die CBM ist in meinen Augen kein „Spendenkonzern“ und intransparent wirkt das ganze auf mich auch nicht. Es ist einfach hochkomplex und sehr viele Menschen müssen involviert werden.

  5. Find ich eine schön differenzierte Betrachtungsweise – solche Leuchtturm-Projekte sind immer ein zweischneidiges Schwert in meinen Augen. Und: das ist eine gute Ergänzung zu der nicht unberechtigten Kritik an der hiesigen Behindertenbewegung, die ich heute geteilt hatte – nicht mit bedingungsloser, aber schon recht umfänglicher Zustimmung: http://blog.jens-bertrams.de/2014/10/die-behindertenbewegung-muss-kritikfaehig-werden/, schrieb Timo Hermann auf Facebook um 17:32

  6. Deine differenzierte Betrachtung dieser ungewöhnlichen Reise finde ich großartig, Raul. Ich denke, diese Hilfen sind fast immer projektbezogen. Das hängt sicher auch mit Zuschüssen zusammen, die evtl. von staatlicher Seite zu bekommen sind. und die setzen eigentlich immer „Projekte“ voraus.
    Ich könnte mir auch vorstellen, daß Euer Besuch eine Abwechslung im sonst eher normalen Alltagsleben der Menschen darstellt. Es hängt ja auch damit zusammen, wie man den Menschen begegnet. Aber einen intensiveren Kontakt kann man auf einer so kompakten „kurzen“ Reise eher nicht erreichen.
    Wir sind seit 1978 in Süd-Ost-Asien unterwegs, waren schon 1980 in Myanmar und sind dort einer sehr armen, aber interessierten Bevölkerung begegnet. Bangladesh ist wegen seiner vielen armen Menschen da sicherlich ein ganz besonderes Land. , schrieb Christa Hebestreit auf Facebook um 18:01

  7. Das mit dem Vernetzen wäre wirklich eine sehr gute Idee, funktioniert aber offenbar dort genau so wenig wie in Indien. Das du dich manchmal vorgeführt kommst und vlt auch unwohl wenn du arme Familien brauchst dieses Gefühl kenne ich von meine Indienreisen auch. Die Menschen waren immer so herzlich aber man hat irgendwie ein komisches Gefühl . Ich hatte mal die Familie unseres Fahrers besucht. Die Nachbarn waren auch da und knüpften Dinge, die sie verkaufen können. Ich habe mich dann zu allen auf den Boden gesetzt und mitgemacht. Weil der GROSSE Besuch aus dem Westen wollte ich nicht sein. Auch ich bin nach und in Indien immer sehr nachdenklich. Zitat meiner Tochter als sie mit 10 in Indien war “ wenn ich in Indien bin, dann weiß ich wie gut es mir in Dtl geht“ . Ich wuensche dir in Bangladesh alles Gute und hoffe der Kulturschock ist in Dtl nicht ganz so gewaltig ., schrieb Max Anni Annette Re auf Facebook um 08:49

  8. Danke Raul Krauthausen für Ihre differenzierten sensiblen Gedanken – ich fürchte, dass es nur wenige Menschen gibt ( wie mich vorher auch !) die etwas über diese Hilfsorganisation wissen. MEHR als Sie als Person tun , kann man wahrscheinlich nicht – und obwohl ich Ihre eigenen Einwände sehr verstehe, glaube ich auf keinen Fall , dass man Sie falsch interpretiert mit Ihrem Einsatz. Das Schreckliche ist UND bleibt , dass man/niemand das ganze Elend der Welt auf fangen kann. Noch nie war die Welt gerecht ( so banal – sorry – wie wahr )- und Sie und die cbm tun so viel. Ich bewundere das sehr – bin leider zu alt um noch irgendwie aktiv zu werden. Möglichkeiten mehr an die Öffentlichkeit zu kommen, müsste es doch irgendwie geben, damit auch andere aufmerksamer werden.( Buch – Presse – Kirchenorganistionen ? ) Nur leider ist ein jeder mit seinen eigenen Schwierigkeiten beschäftigt, und auch oft schon da überfordert. Ich grüsse Sie., schrieb Katrin Klass auf Facebook um 15:31

  9. hallo Raul, danke für die beeindruckende Reflexion. spannende fragestellungen zwischen bewusstseinsbildung fuer alle, vorleben fuer betroffene und systemschwaechen, die manches konterkarieren. kommunikation mit guten uebersetzern sollten deinen respekt transportieren. die „bonzenautos“ zu tauschen gegen fortbewegungsmittel der einfachen leute koennte ein gutes signal der solidaritaet sein und die begleitende crew zum respekt vor den bewohnern zu bitten macht sinn. ich bewundere dein engagement in dieser heiklen mission,grosses kompliment, schrieb Helmut Karas auf Facebook um 16:08

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