Die Arbeit ist nicht umsonst

WorkaholicMenschen mit Behinderungen werden oft gebeten sich auf Podien und Diskussionen zu beteiligen, Projekte und Forschungsprojekte zu unterstützen oder ihre Geschichte zu erzählen. Aber nur selten möchte jemand dafür auch bezahlen. Warum eigentlich?
Manchmal stelle ich mir Veranstalter vor, wie sie eine Diskussion oder Vortragsreihe planen. An dem Runden Tisch sitzen dann Menschen, die es bestimmt nur gut meinen und dann beschließen:

Wir brauchen noch mindestens einen Vortrag von einer Minderheit. Jemand der aus der Lebenswelt von Menschen mit Migrationsgeschichte, über seine Homosexualität oder körperliche oder psychische Behinderung berichtet.

Alle sind sich schnell einig, ja das brauchen wir. Bis auf den Budget-Planer:

Wir haben aber kein Geld mehr für einen zusätzlichen Vortrag. Vielleicht macht es Der-/Diejenige auch ohne Entlohnung. Sie oder er kann ja vor großem Publikum seine Geschichte erzählen. Das ist ja auch Werbung für ihn/sie. Er/Sie kann ja auch jemanden mitbringen. Wir können ihm/ihr anbieten die Kosten für Anreise und Unterkunft zu übernehmen.

Den ersten Teil von so einem (ausgedachtem) Gespräch kenne ich nicht, aber den letzten Teil “Leider können wir nichts bezahlen” habe ich schon oft gehört. In dem Moment muss ich mir immer auf die Zunge beissen, vor allem wenn es keine kleinen Vereine sind, die vielleicht wirklich kein Geld haben, sondern große Unternehmen/Organisationen. Dabei ist es doch ein Wert, den ich auf der Veranstaltung vermitteln soll. Es sind Erfahrungen, die geteilt werden und Ratschläge, die gegeben werden, die man auch nur durch ständige Arbeit erlernt. Zudem kann man in der Vortragszeit auch keiner anderen Arbeit nachgehen und muss sich frei nehmen. Da sind die Übernahme der Reise- und Unterkunftskosten ja wohl das Mindeste was ich erwarten kann.

Eine Geste der Inklusion. Nicht!

Und schlimmer noch: Manch einer denkt, es wäre eine Geste der Inklusion, dass sie einen Menschen mit Behinderung einladen. Es wird dann gedacht, dass eben dieser Mensch dankbar für die Möglichkeit ist, dass er etwas vor größerem Publikum sagen darf. Es wird erwartet, dass ganz nebenbei – und natürlich für kaum oder keine Gegenleistung – eine große Zuhörerschaft unterrichtet wird.
Der amerikanische Behindertenrechtler Lawrence Carter-Long sagte dazu:

Wenn du den Wert einer Kompetenz wertschätzt, dann ist der beste Weg es zu zeigen, dafür zu zahlen. Die Welt zu verändern sollte nicht zur Armut führen. Ich bin weder ein gemeinnütziger Verein, noch eine andere nichtstaatiche Organisation. Und das heißt? Wenn du mich wertschätzen möchtest, dann bezahle mich. Wenn du das nicht tust, dann zeigst du deutlich was dir unsere Community wert ist.

Man ist nicht gleich undankbar, nur wenn man nicht immer für umsonst arbeiten möchte. Es geht hier auch nicht darum, reich zu werden. Für Wohltätigkeitsorganisationen oder Schulen, kann man auch mal ohne Bezahlung arbeiten. Aber, wenn neben dem alltäglichen Vollzeitjob eine private oder öffentliche Organisation einen Vortrag hören möchte, dann gehört es einfach dazu, dafür entlohnt zu werden. Gleiches gilt für Publikationen. Möchte eine Organisation, dass für sie geschrieben wird, dann sollte das nicht für umsonst geschehen. Genauso darf man für genutzte Blogeinträge mindestens einen Backlink erwarten.

Professionalität und Aktivismus

Auf der anderen Seite muss man für die Bezahlung auch arbeiten und dann bewegt man sich im Aktivismus auf einem schmalen Grat. Möchte man für seine Arbeit bezahlt werden, dann sollte es nicht nur ein lamentieren über die eigenen Erfahrungen sein, sondern es müssen ganz professionell Diskussionen und Vorträge vorbereitet werden, die einen echten Mehrwert für den Zuhörer bieten. Professionalität und Aktivismus sind dann keine Antipole mehr, sondern zwei Seiten einer Medaille.
Die Aktivistin Jax Jacki Brown empfindet ähnlich:

Es gibt die Annahme, dass Menschen mit Behinderungen nicht viel zu tun haben und, dass wir dankbar für jede Möglichkeit sein sollten, anderen von unseren Belangen zu erzählen. Und auch, wenn ich dankbar dafür bin und meine Aufklärungsarbeit sehr ernst nehme, so nimmt es sehr viel Zeit und Geld in Anspruch.

Natürlich ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die andere Menschen aufklären, um Veränderungen und Verbesserungen zu ermöglichen. Aber diese Experten und Berater verdienen einen Ausgleich und ich hoffe, dass sich in den nächsten Planungstreffen zu einer Veranstaltung die Organisatoren einig sind, dass auch der Refernent oder Referentin von einer Minderheit bezahlt werden muss. Denn Inklusion bedeutet auch: gleiche Bezahlung für die gleiche Leistung.



35 Antworten zu “Die Arbeit ist nicht umsonst”

  1. Das ist wie im echten Leben: man/frau muss sein/ihr Recht auf Bezahlung einfordern. Von alleine wird Dir kaum jemand eine vernünftige Bezahlung anbieten – freiwillig eventuell noch einen Obolus/Ausgleich – aber sicherlich kein echtes Honorar. Das ist nicht nur ein Problem von Menschen mit Behinderung, sondern auch von vielen vielen Frauen (die ihren Wert nicht kennen) und Ehrenamtlichen (den Gutmütigen). Ich plage mich genau damit auch herum und habe beschlossen: MICH gibts nicht mehr für Umme und nur noch begrenzt im Ehrenamt. ICH bin es mir wert., schrieb Nadja Lüders auf Facebook um 13:14

  2. Genau wie Nadja schreibt, ist es eher schon ein allgemeines Problem. Egal, ob Du Künstler bist, ob Mann, Frau, für Workshops in schulen angefragt wirst – bezahlen wollen alle niht wirklich dafür. Du bekommst doch Werbung für Deine Arbeit – heißt es dann meist – ja aber von Werbung wird leider der Kühlschrank nicht voll., schrieb Manu Gauck auf Facebook um 13:18

  3. Zumindest in der Schweiz höre ich oft noch einen weiteren Grund fürs Nicht-Bezahlen solcher Leistungen: Menschen mit Behinderungen würden ja eh schon durch Sozialversicherungsbeiträge und Steuergeldern gestützt oder ganz finanziert, die Bevölkerung habe also bereits mit Steuern und Sozialabgaben »bezahlt«. Ähnliche Gedankenansätze finden sich gegenüber Kulturschaffenden, aber kommen auch immer wieder bei Diskussionen über Langzeitarbeitslose hoch (»Wir füttern die durch, also sollen’s auch ohne Entgelt den Stadtpark reinigen!«).
    Unfair, und auch gefährlich – der Wert einer Leistung wird so an die Person dahinter gekoppelt, statt an die Leistung an und für sich. Dass bei ordentlicher Entlöhnung gegebenenfalls besagte Steuer- und Sozialkassengelder sinken könnten wird auch ausgeblendet.

  4. Wer sich selbst (sein Spezialwissen und seine Zeit) für Spezialveranstaltungen o. Podiumsdiskussionen zur Verfügung stellt, muss selbstverständlich dafür bezahlt werden und darf nicht mit einer (oder gar ganz ohne) Aufwandsentschädigung zum Selbstkostenpreis abgespeist werden…
    FAZIT: „Wer immer nur für die Katz´arbeitet, kommt eines Tages auf den Hund…“ (Alte Bauernregel 😉 ), schrieb Irmg ARd Hsk auf Facebook um 13:24

  5. Wer sich selbst (sein Spezialwissen und seine Zeit) für Spezialveranstaltungen o. Podiumsdiskussionen zur Verfügung stellt, muss selbstverständlich dafür bezahlt werden und darf nicht mit einer (oder gar ganz ohne) Aufwandsentschädigung zum Selbstkostenpreis abgespeist werden…
    FAZIT: „Wer immer nur für die Katz´arbeitet, kommt eines Tages auf den Hund…“ (Alte Bauernregel 😉 ), schrieb Irmg ARd Hsk auf Facebook um 13:24

  6. Vielleicht spukt auch noch das unsinnige Klischee in den Köpfen herum, dass behinderte Menschen arm zu sein haben und auch sehr gerne kostenfrei arbeiten, Hauptsache sie bekommen Aufmerksamkeit. Da darf es doch auch gerne ohne Honorar gehen.
    Eine solche Annahme ist natürlich mehr als hirnverbrannt.
    Sehr, sehr oft habe ich gehört: „Leider können wir Ihnen nichts bezahlen“.
    Aber ohne mich!

  7. Das ist unverschämt. Jeder, der in eine Talkshow geht, bekommt Geld. Denken die, sie tun einem behinderten Menschen einen ganz großen Gefallen? Die Zuschauer bezahlen Eintritt und erwarten dafür so etwas wie eine „Freakshow“? Die sollen sich schämen!.

  8. Damit keine Misverständnisse aufkommen:
    Viele der Engagierten treten natürlich auch nachwievor ehrenamtlich für Ihre Sachen oft genug ein. Wie gesagt, es geht nicht um’s reich werden, sondern um Wertschätzung.
    Dass das ein allgemeines Problem zu sein scheint, also auch bei Nichtbehinderten, macht es nur noch schlimmer. Es relativiert nichts., schrieb Raul Krauthausen auf Facebook um 15:00

  9. Lieber Raúl, ich biete meine Beratung und Gespräche ehrenamtlich allen Privatpersonen, Vereinen und gemeinnützigen Organisationen ca. 20 Stunden die Woche an. Für Unternehmen und Medien würde ich dies nicht tun. Wie du selbst beschreibst, warum sollten wir das? Warum verkaufst du dich unter Wert und bist damit auch unbewusst ein Kandidat der andere Menschen mit Behinderung, die auch etwas zu sagen haben, unterbietest. Auch ich halte dies nicht für sinnvoll. Weder für die Inklusion noch für die vielen tollen Mitstreiter, die täglich für Inklusion kämpfen. Oder ist dies gegenseitige Unterbieten schon Inklusion?, schrieb Hanns-Uwe Theele auf Facebook um 17:11

  10. Genau so isses. Behinderte Menschen werden schon mal gar nicht (oder zumindest nur ausnahmsweise) als qualifizierte Experten angesprochen, zb als wissenschaftlerInnen der Disability Studies. Was zählt ist der ‚human factor’…man fühlt sich gleich besser und in seiner Arbeit legitimiert wenn man auch ‚echte‘ Betroffene dabei hat. Leider gibts da oft die Annahme, behinderte Menschen haben angeblich nix zu tun und kriegen ‚Rente’…., schrieb Rebecca Maskos auf Facebook um 18:03

  11. ich fürchte es fehlt an Achtsamkeit gegenüber den Mitmenschen im allgemeinen,
    Leistung, Arbeit, die Tätigkeit eines Menschen sind Zahlenwerte, Kostenfaktoren oder Humankapital und wenn ich Leistung umsonst bekommen kann … Warum dafür bezahlen, wenn nichts gefordert wird?
    Nennt man glaub im Volksmund Kapitalismus.

  12. Ein leidiger Umgang mit Zulieferern kreativen Inputs. Und wie ich lese, kommt bei Menschen mit Behinderungen noch der ‚human factor‘ erschwerend hinzu sowie die irrige Annahme, dass die ja sonst nix zu tun hätten.
    Insbesondere im Falle von Verwertern, deren Budget ein wertschätzendes Honorar ermöglichen würde, ist die Argumentation „das-ist-doch-auch-Werbung-für-dich-deswegen-gibts-nix“ schon eine Frechheit. Und nichts anderes als der Versuch, jemand mit Kalkül um den Lohn der Arbeit zu prellen.
    Honorar für die Zulieferer kreativen Inputs sollte ein zentraler Wert in der Kalkulation einer auf Gewinn ausgerichteten Veranstaltung oder Veröffentlichung sein.
    Falls ich als Dienstleister sehe, dass es tatsächlich sinnvoll sein kann, eine Leistung pro bono anzubieten: na prima!
    Allerdings bedingt das, dass ein sinnvoller und dringender Bedarf bei den Kunden da ist, den sie zu üblichen Preisen einfach nicht in Anspruch nehmen können.
    Ich verfahre mit Coaching-Angeboten auch so und fühle mich wohl damit.
    Aus meiner Sicht spielt es eine Rolle, ob ich eine solche Entscheidung selbst und möglichst ohne Druck (primären ökonomischen oder sekundären (Bekanntheitsgrad)) treffen kann.

  13. Vielleicht ist es tröstlich zu erfahren, dass das auch nicht behinderten Menschen passiert (ist das dann auch eine Form der Inklusion?). Während meiner Ausbildung sollte ich ein sechsmonatiges Praktikum absolvieren, für das mir ein Gehalt von 650€ zustand. Ich hatte mehrere Vorstellungsgespräche und mir wurde in den meisten Fällen die Stelle dann angeboten, aber niemand wollte sich diese Bezahlung leisten. Von 9 Betrieben, die mich hätten einstellen wollen, boten mir nur 2 überhaupt Geld an, davon wiederum nur eine das volle Gehalt.

  14. Im Gegensatz zu Frauen wird von sogenannten „Behinderten“ aber auch – wie immer! – eine gewisse tränenseelige Dankbarkeit erwartet.
    Danke! dass ihr „sowas wie mich“ anhört.
    Danke! dass „sowas wie ich“ überhaupt reden darf
    Danke! dass „sowas wie ich“ bei Normalen anwesend sein darf
    Danke und dürfen – das sind die beiden Begriffe, die bei sogenannten „Behinderten“ stets und ständig noch DAZU kommen zur Nichtbezahlung.
    Und zumindest DAS haben Frauen nicht mehr nötig. Die Diskriminierung als Frau muss sich Krüppelfrau allerdings auch erst mal erkämpfen 😉

  15. außer Glücksspiel-Lotterien wie „Aktion Mensch“ werben so ziemlich alle „Wohlfahrts“-Konzerne mit Bildern von Behinderten für Zwangsarbeiter-Lager* für geistig- und / oder psychisch Behinderte.
    Bezahlen, nee, warum auch, kann sich ja doch kaum eine/r wehren.
    *Zwangsarbeiter-Lager = WfbM = Werkstätten für „behinderte“ Menschen

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