Filmreife Behinderung

Achtung! Dieser Artikel kann Spoiler-Material enthalten.
Vielleicht hat es der ein oder andere aufmerksame Leser schon mitbekommen: Aber ich mag Filme. Außergwöhnlich ist das vielleicht nicht und doch hat mir dieses Hobby schon die ein oder andere interessante Erfahrung für meine Arbeit gebracht. Nicht nur, dass ich meine Diplomarbeit über die Darstellung von Menschen mit Behinderungen im Deutschen Fernsehen geschrieben habe, es ist auch ein guter Gesprächseinstieg wenn man wenigstens ein bisschen Ahnung von Star Wars hat und man nicht die Vermutung äußert, dass Luke Skywalker und Darth Vader verwandt sein könnten.
 
Ab und zu schaue ich mir auch Filme über das Thema „Behinderung“ an, nicht unbedingt weil ich selbst betroffen bin (es schauen ja auch nicht alle Sportler, nur Sportfilme oder Kriminalisten nur den Tatort), sondern weil es mir einen interessanten Einblick auf die Sicht von Menschen mit Behinderung geben kann. Manchen Filmwissenschaftlern würden dabei graue Haare wachsen, wenn sie in Filmen ein Abbild auf die Realität suchen, aber manchmal ist der Blick hinter dem Blick doch sehr interessant.
Die Erlösung
Heutzutage ist der Blick sogar in 3D, wie beispielsweise bei „Avatar”: Ein Soldat der im Rollstuhl sitzt, bekommt die großartige Möglichkeit wenigstens virtuell wieder laufen zu können. In dem er den Avatar seines verstorbenen Bruder übernimmt.
Da es sein sehnlichster Wunsch ist, wieder laufen zu können, entwickelt er sich natürlich schnell zum besten Avatar und springt über Pandora wie Super Mario. In dieser Szene wird ein sehr bekanntes Muster sichtbar: die Erlösung. Es wird in der Geschichte davon ausgegangen, dass ein Mensch der im Rollstuhl sitzt oder eine andere Behinderung hat, sich nichts sehnlicher wünscht, als diese Beeinträchtigung loszuwerden. In „Avatar“ wird dies sogar so überspitzt, dass der Charakter am Ende durch die Verwandlung „geheilt“ wird.
 
Andere Filme sind da sogar ein bisschen drastischer und bringen die Erlösung durch den Tod, wie beispielsweise in „Das Meer in mir“. Der Hauptinhalt des Streifens ist zwar die Selbstbestimmung über das Leben und den Tod, aber der Protagonist ist ein querschnittgelähmter Mann, der einen sehnlichen Todeswunsch hat. Ich frage mich: wer soll hier erlöst werden? Er oder die die Verwandtschaft?
 
Denn in anderen Filmen sind Behinderte oft eine Belastung für die Familie. Dustin Hoffmann als „Rain Man“ nervt seinen Bruder Charlie am Anfang mit seinem Autismus und erst durch seine außergewöhnlichen Leistungen, beim Black Jack zu betrügen und Streichhölzer zu zählen, kommen sich die beiden näher oder besser geschrieben: akzeptiert Charlie ihn.
 
Man könnte jetzt sagen, dass meine Interpretationen der Filme stark konstruiert sind, vielleicht sind sie das auch, aber vielleicht haben es sich die Drehbuchschreiber auch ein bisschen zu einfach gemacht. Würde der Erlösungswunsch auch bei einem Nichtbehinderten so eindrucksvoll wirken? Oder hätte Dustin Hoffmann einen Oscar bekommen, wenn er „normal“ gewesen wäre?
 
Die Schauspieler
Das Schema eines hilflosen Menschen mit Behinderung, der sich wieder wünscht zu laufen oder lieber sterben würde, wenn er schon nicht normal sein kann, ist in der Filmsprache genauso einleuchtend, wie ein russischer Spion, eine naive Blondine oder Til Schweiger als Frauenheld. Apropos Til Schweiger, auch er hat einmal in einem Klamaukfilm so getan, als ob er im Rollstuhl sitzt, nur um an einen Basketball zu kommen. „Avatar“, „Rain Man“ und „Wo ist Fred“ balancieren dabei auch auf einer Gratwanderung in meinem Kopf: Auf der einen Seite finde ich es gut, dass es durch aufwendige Produktionen und berühmte Schauspieler Behinderungsthemen schaffen, in eine breite Öffentlichkeit zu kommen, aber auf der anderen Seite kann die Intention auch Vorurteile nur bestärken: Behinderte wollen „normal“ sein oder müssen („in ihren Möglichkeiten“) mit außergewöhnlichen Taten beeindrucken.
 
Beim Filmdreh konnte wahrscheinlich kein Mitarbeiter mit einer Behinderung seine Bedenken äußern, weil wohl keiner anwesend war. In keinen der bisher aufgezählten Filme spielte ein Realbehinderter die Hauptrolle. Und so, wie es aussieht, wird auch Christian Ulmens „Einer wie Bruno“ so tun, als ob. Wenn eine chinesische Schauspielerin eine japanische Geisha spielt oder Didi Hallervorden in seinem Theater Schauspieler verfärbt, überschlagen sich die Feuilletons mit Empörungen oder kulturellen Analysen. Dass in den meisten Filmen, die sich mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen, keine Behinderten mitspielen sind, lässt einen kalt.
 
Die Ausrede, dass es keine (guten) Schauspieler mit Behinderungen gibt, lasse ich nicht gelten! ChrisTine Urspruch beispielsweise, bekannt aus dem Münsteraner Tatort, die auf die Spitzen zu ihrer Kleinwüchsigkeit besser kontert als der FC St. Pauli oder die talentierten Theaterschauspieler Jana Zöll und Peter Radtke. Dass es so wenige Schauspieler mit Behinderungen gibt, bedingt sich aber zu einem gewissen Teil auch aus der Nichtsichtbarkeit von Schauspielern mit Handicaps. Es motiviert nicht unbedingt Schauspieler zu werden, wenn man keine Vorbilder in Filmen sieht bzw. keine Aussicht auf Engagements hat.
 
Die Liebe
Mir sind wirklich nur wenige Filme bekannt, in dem ein Mensch mit einer Behinderung mitspielt. In „Me too“ ist das der Fall und dieser Film ist auf verschiedenen Ebenen sehr gelungen. Nicht nur, dass der Hauptdarsteller Pablo Pineda das Bild über Menschen mit Down-Syndrom zurechtrückt, der Film versucht sich auch an dem schwierigen Thema Liebe zwischen (Nicht-)Behinderten. Im Gegensatz zum Film „Vincent will Meer“ der wohl die seichtteste Form des Behindertenfilms ist, in dem sich auf einem Roadtrip ein Junge mit Tourette-Syndrom in eine Magersüchtige verliebt, versucht der Film „Me too“ einen Behinderten und eine Nicht-Behinderte zusammenzubringen. Leider bleibt der Film es am Ende schuldig, ob aus „dem einen Mal“ mehr werden könnte.
Auch der Film „Renn wenn du kannst“ ließ mich unentschlossen zurück. In der Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau, einem Rollifahrer und dessen Zivi kam es zu keinem Knutschfinale, wie man es aus so vielen romantischen Sommerkomödien kennt. Warum konnte sie nicht mit dem Rollstuhlfahrer zusammenkommen? Gut, der Typ war schon anstrengend und hat sie zurückgewiesen, aber warum nicht mal ein Happy End? Naja, wenigstens ist sie nicht aus Mitleid mit ihm zusammengekommen.
So wie man aber auch alles mögliche in Star Wars hineininterpretieren kann, ist das wohl auch mit den ganzen angesprochenen Filmen möglich. Vielleicht bin ich auch ein bisschen zu kritisch, aber wenn man über die Sympathiewerte eines Chewbakkas diskutieren kann, warum nicht mal über die Erlösungstheorie in Avatar? Mir geht so wenigstens nicht der Gesprächsstoff für die nächsten Partys aus. Davor gehts aber erstmal ins Kino.
Dieser Text entstand für das Inklusions-Blog der Aktion Mensch.



8 Antworten zu “Filmreife Behinderung”

  1. Nein, Du bist nicht zu kritisch. Die gleichen Fragen haben mich auch schon bewegt, wenn auch nicht immer nur wegen Filmen, sondern auch in der Realität.
    Es gibt auch immer noch schrecklichen Umgang mit Behinderten – nein, ich spiele nicht auf mich selber an, es gibt noch viele andere.
    Dein Artikel ist durchaus angebracht, finde ich. Und, ich verschwende auch keine Gedanken an „Erlösung“, sondern daran, wie ich – im Rollstuhl – mehr vom Leben habe.

  2. Ein paar Filme gibt es schon, z.B.
    „Children of a lesser God“ mit der Gehörlosen Marlee Matlin, auch mit Happy End
    oder „Jenseits der Stille“, auch mit zwei gehörlosen Schauspielern.
    Oder der Contergan-Film mit Denise Marko.
    Viel mehr fallen mir aber auch nicht ein.

  3. Hallo Raul,
    interessantes Thema!
    Über die Darstellung von Avatar habe ich mich jedoch echt gewundert, für mich war die Tatsache dass der Hauptcharakter im normalen Leben im Rollstuhl sitzt eine echte Randnotiz und kaum von Bedeutung im Gesamtkonzept des Films. Ich als Rollstuhlfahrerin hab‘ mich gefreut dass er trotzdem ein ganz selbstbewusster Typ war, der Rollstuhl sah sportlich aus.. ich hatte an der Darstellung nichts zu kritteln.
    Für mich hat es (wenn überhaupt ein tieferer Sinn dahinter steckte) eher noch betont wie schön es ist wenn man ohne (körperliche) Grenzen miteinander kommunizieren kann obwohl man so grundverschieden ist.
    Im echten Leben gibt es so ein Mysterium (zum Teil) auch: das Internet und auch das hat viele Leben (positiv) verändert…
    Viele Grüße

  4. Hallo Raul, mich würde deine Meinung zum Film „Aaltra“ interessieren, sofern du ihn kennst. Ich persönlich finde ihn bezüglich deiner Kritikpunkte sehenswert.
    Liebe Grüße

  5. Sehr schöner Text und viele wahre Worte. Dankeschön!
    Ich frage mich gerade, ob Erlösungsmotive in Filmen über Behinderung/Behinderte tatsächlich häufiger vorkommen als in anderen Genres/Thematiken. Oder ob sich da nicht nur der Massenmarkt zeigt, auf dem simple, klassische Stories am besten funktionieren (egal ob mit oder ohne B, z.B. Liebesgeschichte mit Happy End als Erlösung vom Unglück). Weißt Du oder ein Filmwissenschaftler da was drüber?

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