Vorurteile zum Thema Inklusion

Schild mit der Aufschrift: "Kein Barrierefreier Übergang. Warum?"
Auf Veranstaltungen zum Thema Inklusion stelle ich mich gerne so vor: „Schon als Kind hatte ich viel Kontakt zu Menschen ohne Behinderung. Mich hat immer inspiriert, wie viel Lebensfreude sie ausstrahlen und wie gut sie ihr Leben meistern. Seitdem ist es für mich ganz normal, dass es auch Nichtbehinderte gibt.“
Weil es immer noch merkwürdig klingt, wenn ein behinderter Mensch so etwas erzählt – scheint es mit der Inklusion noch nicht so ganz geklappt zu haben.

Viele Vorurteile geistern gegenüber der Idee der Inklusion durch die Welt. Wenn ich auf Vorträgen, in Schulen und auf Konferenzen darüber rede, merke ich, wie dehnbar und biegsam dieser Begriff „Inklusion“ ist. Und wie viele Vorbehalte und negative Assoziationen damit verbunden sind. „Inklusion ist eine gute Sache, aber…“, heißt es dann oft.
Ein häufig gehörtes Vorurteil ist, dass es bei Inklusion ausschließlich um das Thema Schule geht. Der Aspekt ist zwar wichtig, aber tatsächlich bezieht sich Inklusion auf alle Lebensbereiche. Inklusion ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess und ein Menschenrecht. In der UN-Behindertenrechtskonvention wurde bereits 2009 klar festgelegt, wie Inklusion stattzufinden hat. Nach fast zehn Jahren wird in Deutschland aber immer noch so getan, als wäre Inklusion etwas Optionales, eine nette Zusatzgeschichte, die man machen kann, wenn noch Geld und/oder Zeit übrig ist.
Und das ist auch das größte Vorurteil zum Thema Inklusion: Dass Inklusion optional ist.
Aber kommen wir zurück zum Beispiel „Schule“: Warum kann Inklusion hier scheinbar nicht funktionieren? Die Vorurteile sind mannigfaltig.
Inklusion würde „den normalen Kindern schaden“, denn Kinder mit Behinderung „hemmen das Lerntempo der gesamten Klasse“. „Behinderte Schülerinnen nehmen zuviel Zeit und Kraft der Lehrenden in Anspruch, nichtbehinderte Kinder werden notgedrungen vernachlässigt“. Allerdings funktioniert für Inklusions-Gegnerinnen auch der Umkehrschluss: „Inklusion ist schädlich für behinderte Kinder“, weil diese an Regelschulen „maßlos überfordert sind“ und „hier nicht gefördert werden können“.
Außerdem hält sich hartnäckig das Vorurteil, dass behinderte Schüler, die auf nichtbehinderte Kinder treffen, sich plötzlich ihrer defizitären Situation bewusst werden: „Die fühlen sich doch erst als Außenseiter, wenn sie jeden Tag erleben müssen, dass sie anders sind“ und „ständig Hilfe brauchen, alle auf sie warten müssen“.
Behinderte Kinder sollten „Schutzräume haben“, idealerweise an „Förderschulen, in denen sie unter sich sind – auch um sie vor Mobbing zu schützen“.
Auch für Lehrerinnen ist Inklusion eine Katastrophe: „Inklusion überfordert Lehrerinnen/Erzieher*innen, denn sie sind nicht für Kinder mit Behinderung ausgebildet“. „Inklusion geht zu Lasten aller Beteiligten, bringt somit keiner Seite Nutzen.“
Schließlich ist Inklusion natürlich „viel zu teuer“. Alles also eine Lose-Lose-Situation?
Alle diese Vorurteile basieren auf der Vorstellung, bei behinderten Menschen handele es sich grundsätzlich eine homogene und ausschließlich defizitäre Gruppe. Dass es auch Hochbegabte und Schnelllerner mit einer Behinderung gibt, kommt in dieser Denkweise nicht vor. Ebenso wenig wird differenziert, dass Behinderungen vollkommen unterschiedlich sind: Es Körperbehinderungen unterschiedlichster Ausprägung gibt, ebenso Sinnesbehinderungen, so genannte Lernbehinderungen usw. Und dass Schüler einen Behindertenausweis haben – obwohl in der Schulsituation überhaupt keine behindernden Umstände vorhanden sind, beispielsweise durch ausreichende Barrierefreiheit.
Behinderung ist nicht etwas vollkommen Statisches – sondern hängt vom Set und Setting ab. So kann ein Schüler mit einer Muskelerkrankung, der sich mit einem Rollstuhl fortbewegt, möglicherweise nicht an allen Disziplinen im Sportunterricht teilnehmen – erfährt im Klassenzimmer allerdings durch ausreichende Barrierefreiheit keine behindernden Umstände und benötigt keine zusätzliche Förderung.
Lisa Pfahl, Professorin für Disability Studies, forscht unter anderem über die Gründe der Ausgrenzung behinderter Menschen. Aussonderung von auffälligen Schülern hat laut Prof. Pfahl in Deutschland Geschichte. Die Vorstellung, homogene Lerngruppen seien die beste Lösung, ist tief verankert in den Köpfen vieler Pädagogen*innen. Auch wenn Erfolge an Schulen, die ein gegenteiliges Konzept verfolgen – zum Beispiel in Finnland – eine ganz andere Wirklichkeit präsentieren.
Bei einem inklusiven Schulsystem geht es um individuelle Förderung jedes Schulkindes. Ging es bei bei Schülerninnen mit Behinderung bisher um „sonderpädagogischen Förderbedarf“, steht jetzt Teilhabe und Abbau von Barrieren im Fokus – Punkte, von denen auch nichtbehinderte Schülerinnen profitieren. Die Bezeichnung „behindert“/“mit Förderbedarf“ und „nicht-behindert“/“ohne Förderbedarf“ spielen in einem inklusiven System keine Rolle mehr. Stattdessen werden Schüler als Individuen mit unterschiedlichen Potentialen wahrgenommen.
Andreas Hinz, Professor für Allgemeine Rehabilitations- und Integrationspädagogik, stellte fest: „Bereits aus frühen Untersuchungen in Integrationsklassen ist bekannt, dass die (…) Zuordnung von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf mit der pädagogischen Realität individueller Unterstützungsbedarfe wenig zu tun hat.“
Als Beispiel: Ob eine Schülerin beispielsweise im Rollstuhl sitzt, sagt nichts über seineihre Mathematik-Kenntnisse aus.
Ein inklusives Schulsystem würde Schüler
innen nicht mehr in defizitäre Kategorien einteilen, sondern individuell betrachten, fördern und ermöglichen, Stärken und Interessen aktiv einzubringen. So würde aus dem vorurteilsbelasteten Schreckgespenst „Inklusion in der Schule“ eine Perspektive und immense Lernverbesserung für alle Schüler.
Zum Schluß möchte ich noch auf das oft gehörte Vorurteil „Inklusion ist Gleichmacherei“ eingehen und darauf mit einem Zitat von Fred Ziebarth antworten, Psychotherapeut und ehemaliger pädagogischer Koordinator der inklusiven Fläming-Grundschule, die ich besuchte: „Inklusion ist die Annahme und die Bewältigung von menschlicher Vielfalt.“
(sb)
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Suse Bauer zuerst in leicht abgewandelter Form in „neues deutschland“ erschienen.
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8 Antworten zu “Vorurteile zum Thema Inklusion”

  1. Ich denke, das Thema Inklusion bräuchte ein Ministerium. Am besten mit einem Minister wie Raul, der weiß was Sache ist!
    Für gewöhnlich stimme ich Raul ja zu 100% zu. Und klar Inklusion ist der richtige Weg und muss voran gebracht werden.
    Nun habe ich aber eine blinde Cousine, eine gute Freundin die taub ist und einen Sohn mit Lernbehinderung. Alle drei sagen, es war für sie wichtig in einer Spezialschule zu sein und ich verstehe auch warum. Allerdings nur in diesen „Spezialfällen“. Optimal finde ich wäre es, man hat einfach die Wahl.
    Zu unterschiedlichen Zeiten mögen auch unterschiedliche Konzepte besser passen. So war mein Sohn auf einer inklusive Grundschule, hat sich aber bei der weiterführenden Schule für eine spezielle Förderschule entschieden mit ganz viel Praxisunterricht (Fahrradwerkstatt, Gartenbau, Küche und so). Für ihn war das toll und es hat ihm geholfen, bspw. in der Radwerkstatt der Beste zu sein und eine eins im Zeugnis zu haben… Auch wäre eine Schulklasse mit mehr als 7 Schülern für ihn schwierig gewesen.
    Inklusion steht und fällt zur Zeit auch noch ziemlich viel mit dem Lehrer/der Schule… Zu Grundschulzeiten gab es bei meinem Sohn bspw einen Lehrer der wollte die Förderstunden für die Schüler mit Behinderung lieber den hochbegabten Schülern zukommen lassen („Die hätten da mehr davon“). Mit so einem Typ ist Inklusion natürlich echt schwierig…
    Wie gesagt wir sollten erst mal ein Ministerium schaffen und das ganze dann mal hin und her diskutieren. Im Wesentlichen ist es aber so: es muss Geld in die Hand genommen werden!
    Und noch viel wichtiger ist es, dass es nach der Schule auch weiter geht. Dass alle eine Ausbildung machen können und nicht in Werkstätten abgeschoben werden… Da wurde mein Sohn nämlich auch hin gedrängt, obwohl er sich dort komplett unwohl gefühlt hat (ein Haus mit 1000 Menschen – Hilfe!) und dann noch so blöde Arbeit die ihm keinen Spaß gemacht hat und ihn psychisch einfach nur fertig gemacht hat… 10 Jahre lief der Kampf mit Jobcenter und Behörden bis er endlich eine gestützte Ausbildung machen durfte. Heute arbeitet er am sog. 1. Arbeitsmarkt und ist sehr zufrieden mit seinem Job…
    Allerdings gehört er zu der super geringen Gruppe von 0,1% oder so ähnlich die es je wieder aus diesen Werkstätten heraus schafft… Als Undercover Praktikantin hab eich mir so eine Werkstatt mal angesehen und dort 3 Monate als „Anleiterin“ gearbeitet um das Konzept mal zu8 verstehen und zu sehen wie es mit dem Bildungsauftrag usw läuft… Schon nach 3 Tagen durfte ich nicht mehr in den Personalraum und sollte mit dem anderen Praktikant lieber bei „den Behinderten“ mitessen… Dort habe ich von vielen Erfahren, dass Sie wirklich keine Lust auf die Werkstatt haben, dass sie mit einem gewissen Zwang dort aber arbeiten müssen, das keine Weiterbildung läuft wie vom Gesetzgeber eigentlich vorgesehen und bezahlt… Man muss kein Wallraff sein um da einfach mal rein zu schnuppern. Ich war jedenfalls danach zu einem großen Gegner dieser Einrichtungen geworden.
    Das gleiche gilt für Pflegeheime und Wohneinrichtungen… Aber ich denke mein Kommentar ist jetzt lang genug…

  2. „Lisa Pfahl, Professorin für Disability Studies, forscht unter anderem über die Gründe der Ausgrenzung behinderter Menschen.“? Die Gründe weswegen Inklusion in Deutschland schleppend voran geht liegen bei den Politiker in Deutschland. Es fehlt an Solidarität in der Politik! Es fehlt die Solidarität,die wir hatten als die Mauer in Deutschland fiel, als die Aussiedler und die Flüchtlinge nach Deutschland kamen und weiterhin kommen. Ich finde es bewundernswert von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Amtskollegen,die sich für die Integration der ärmsten Flüchtlinge immer wieder einsetzen, damit sie UNTER den deutschen Bürgern integriert werden.Jeder Mensch egal welcher Nationalität soll die Chance haben INMITTEN der Gesellschaft integriert zu werden!!!!! Hier werden Milliarden von Euro zur Verfügung gestellt. Es werden sogar Integrationshelfer ausgebildet, damit die Integration auch funktioniert. Wo bleiben aber die Milliarden Euro für die behinderten Menschen in Deutschland damit sie eine Chance haben INMITTEN der Gesellschaft integriert zu werden? Noch immer trauen sich viele Eltern nicht ihre Kinder aus Sonderschulen rauszuholen, weil sie kein Integrationshelfer(Schulbegleiter) in Regelschulen haben.Und warum? Weil keine ausgebildet werden! Weil wie es so schön heißt“Ohne Moos nichts los!“Durch die GroKo Verhandlungen wurden für die Bildung 8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, dass kaum reicht um Inklusion zu machen!
    Als die Mauer fiel,da wurde ein Solizuschlag eingeführt.Politiker haben immer wieder zur Solidarität mit den Bürgern Ostdeutschland aufgerufen!Politiker haben sich in deutschland alle vorbildlich gezeigt! Wir sind alle stolz darauf!Als die Mauer fiel, fehlten in ganz Ostdeutschland Tausende von Pädagogen, weil die Schüler von 12 auf 13 Schuljahren umgestellt worden sind! Hat da ein Politiker in die Welt gerufen“ Wir müssen die Wiedervereinigung aufs Eis legen!“, so wie wir es bei Inklusion erlebt haben? Wurde in den Medien von Politiker oder Medien berichtet, dass die Wiedervereinigung oder die Aussiedler und die Flüchtlinge von Deutschland ÜBERRASCHT wurden und dies als Grund angegeben, dass deren Integration INMITTEN der Gesellschaft nicht durchgeführt werden könne und die Grenzen geschlossen?Solange man behinderte Kinder an den Pranger stellt, als ein Problem an dem Deutschland scheitert und auf deren Rücken durch Panikmache in der Bevölkerung Stimmen sammelt( CDU und AFD Landtagswahlen Nordrhein Westfallen, Niedersachsen, Schleswig Holstein), kann Inklusion in Deutschland nicht durchgesetzt werden! Solange Politiker dafür plädieren Inklusion, die UN Behindertenrechtskonvention aufs Eis zu legen und dies nicht unterstützen, haben auch Pädagogen keine Motivation in Schulen Inklusion zuzulassen! Politiker tun anscheinend nichts anders als an die sozial Schwachen zu sparen, an die behinderten Menschen, die leider keine Lobyisten haben, die ihre Rechte vertreten. Das was behinderte Menschen in Deutschland erleben , erlebte die afroamerikanische Bevölkerung in den 50-er und 60-er Jahren in den Vereinigten Staaten. Die afroamerikanische Bevölkerung kämpfte für Gleichberechtigung, für Barrierefreiheit unter anderem in den Schulen.Sie wollten auch in Schulen für Weiße aufgenommen werden! Sie zeigten sozusagen mit dem Finger auf die weiße Bevölkerung und sagten:Wieso haben diese MENSCHEN mehr Rechte als wir? Die weiße Bevölkerung in USA waren Wirtschaftsflüchtlinge oder Kriegsflüchtlinge (Irländer, Italiener,Griechen, Spanier, Juden usw). Sie träumten alle von einem besserem Leben!
    In vielen Förderschulen in Deutschland erhalten die Kinder Anfang des Schuljahres keine Schulbücher, nicht mal ein Malbuch oder ein Bilderbuch.Dies erlebte ich auch bei meinem behindertem Kind, als es eine Förderschule besuchte. Diese Kinder wurden schon längst von Politiker im Stich gelassen. Behinderte Menschen haben auch ein riesen Potenzial!Wie sollen den behinderte Menschen für ihre Rechte kämpfen, wenn ihnen nicht mal das Lesen und Schreiben beigebracht wird? Behinderte Kinder,die das Tausendfache an mehr Förderbedarf haben, erhalten in vielen Förderschulen in Deutschland das Tausendfache weniger als Kinder in Regelschulen!Das ist leider die bittere Realität in Deutschland!

  3. „Ein häufig gehörtes Vorurteil ist, dass es bei Inklusion ausschließlich um das Thema Schule geht. Der Aspekt ist zwar wichtig, aber tatsächlich bezieht sich Inklusion auf alle Lebensbereiche. „ Es stimmt! Inklusion,die UN Behindertenrechtskonvention ,umfasst nicht nur Thema Schule! Sie umfasst unter anderem auch die Pflegepolitik und die Rentenpolitik. In der Zukunft (40 Jahren)wird jeder zweite Bürger in Deutschland pflegebedürftig sein. So gesehen, wird jeder zweite ein Pflegegrad haben und ein Behindertenausweis mit sich tragen! Deutschland altert! Wer sich gegen Inklusion,die UN Behindertenrechtskonvention stellt ,stellt sich gegen seine eigene Rechte und die seiner Nachkommen! Da welche Politiker in Deutschland sich gegen Inklusion gestellt hatten, hat der Bundestag kaum was in der Pflegepolitik getan.Es fehlen Tausende von Pflegekräfte in ganz Deutschland. Da manche Politiker sich gegen Inklusion gestellt hatten, hat man auch nicht die Notwendigkeit gesehen in der Pflegepolitik zu investieren, und so steht Deutschland da ohne Pflegekräfte. Man spart an den sozial Schwachen!Von häusliche Pflegekräfte ,die jedem pflegebedürftigen Menschen Selbstbestimmung in eigenen vier Wänden ermöglichen, dürfen wir in Deutschland in der Zukunft nur noch träumen! Die Altersarmut in Deutschland steigt rapide. Immer mehr Menschen in Deutschland ab 50 sind hoch verschuldet. Das liegt nicht daran, weil sie sich alle ein roten Porsche kaufen, sondern weil viele finanziell für die Pflege ihrer Eltern aufkommen müssen. Da die meisten in Deutschland nur ein Kind haben, fällt die ganze finanzielle Last auf dieses eine Kind! Manche sind sogar gezwungen ihren Beruf aufzugeben und landen auf Hartz vier Niveau!

  4. Sehr gute Beiträge, Herr Raul und Sabine. Ich als Mutter eines ADHS- Kindes und selbst Pädagogin, bin grundsätzlich gegen Förderschulen, da diese die Kinder ausgrenzen und in meisten Fällen einen normalen Ausbildungs- und Berufsweg verhindern. Das Beispiel mit der Behindertenwerkstatt zeigt dies deutlich. Zudem ist der Rückweg/Wechsel in die normale Regelschule schwierig. Die ohnehin schon überforderten und überlasteten Regelschulen tun alles, um einen Förderschüler nicht aufnehmen zu müssen. Zudem sollte man unterscheiden, um welche Behinderung es geht. Ich persönlich finde spezielle Schulen für schwer Geistigbehinderte oder Blinde und Taubstumme sinnvoll und würde für mein Kind mit derartigen Behinderungen auch eine spezielle Förderschule vorziehen. Förderschulen mit Schwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung finde ich dagegen diskriminierend und überflüssig, da für diese Kinder auch im Rahmen einer Regelschule ggf. in Kooperation mit zusätzlichen Unterstützungsprogrammen ( Ergotherapie, Kinderpsychologen, Integrationsaushilfen, Schulsozialarbeiter ; Sozialkompetenztrainings etc.) geholfen werden könnte. Zudem könnten Förderklassen bzw. Integrationsklassen an normalen Schulen eingerichtet werden – mit zwei Fachkräften pro Klasse oder kleineren Klassen, da das Herausreißen der Kinder aus dem gewohnten Schulverband eine zusätzliche Belastung bedeutet. Zudem müsste sich auch in der Grundeinstellung der Lehrer etwas ändern – die Frage soll immer lauten – nicht – wie kann ich das anstrengende Kind loswerden oder bestrafen, sondern – wie kann ich diesem Kind helfen. Kinder mit sozialen- emotionalen Problemen sind natürlich eine große Herausforderung für Pädagogen, diese Kinder benötigen aber nicht ständige Strafen und Ausgrenzung, sondern Verstärkung, positive pädagogische und therapeutische Unterstützung, positive Erfolgserlebnisse. Zudem sollte man sich fragen, warum ist das Kind auffällig – hat er eine festgestellte Störung wie Autismus oder ADHS oder kommt das Kind aus schwierigen familiären Verhältnissen? Unser Sohn, der an der ADHS leidet, jedoch intelligent und sehr wissbegierig ist, gute Leistungen zeigte und von uns vielseitig gefördert wird, sollte nach Meinung der bayerischen überforderten Lehrerin und Schulleiterin in die Förderschule (20 km vom Wohnort entfernt), und das erst nach 5 Wochen Schulbesuch. Wir als Eltern mit akademischen pädagogischen und medizinischen Berufen wollten mit der Schule kooperieren, haben viele Vorschläge gemacht, Bitten geäußert, Schweigepflichtentbindungen erteilt. Wir erklärten uns sogar bereit, eine Aushilfe für die unruhige Klasse mit 25 Kindern und davon mehreren auffälligen Kindern zu finanzieren, die der überforderten Lehrerin zumindest stundenweise im Unterricht helfen könnte. Es wurde alles abgelehnt und uns klar gemacht, dass elterliche Vorschläge unerwünscht sind. Das Kind und wir Eltern wurden statt dessen über Monate schikaniert und benachteiligt, so dass unser Sohn Angstzustände entwickelte, über psychosomatische Bauchbeschwerden klagte, sodass wir ihn von heute auf morgen von der Schule nehmen und krankschreiben mussten. Inzwischen besucht unser Sohn eine private Regelschule mit kleinen Klassen und engagierten Lehrern, die Kinder positiv fördern. Auch der zuständige Schulpsychologe (ehem. Schulleiter ohne Psychologiestudium) und der Schulrat halfen der Schulleiterin die Missstände zu vertuschen und nicht dem Kind und uns Eltern. Schließlich kennt man sich ja gut in einer Kleinstadt, man ist zusammen aufgewachsen und duzt man sich… sogar der Caritas- Erziehungsberater, den wir um Vermittlung zwischen uns und der Schule baten, teilte uns mit, er könne uns nicht helfen, da er mit der beteiligten Lehrerin privat befreundet sei. Er sagte, Sie haben Recht, hier kennt jeder jeden, zugezogene neue Familuen haben es schwer hier. Unsere Erfahrung war also – Inklusion und der Elternwille existieren nur auf dem Papier… Schüler mit erhöhtem Förderbedarf versuchen die Regelschulen mit allen Mitteln loszuwerden. Das war unsere bittere Erfahrung. Die Grundschule hatte zwar eine tolle Förderlehrerin. Als ich die Schulleiterin fragte, ob eine stundenweise Förderung durch diese Lehrerin möglich ist, sagte sie, nein, sie müsse Migrantenkinder/ Flüchtlinge In Deutsch unterrichten. Eine Sozialarbeiterin hatte diese Schule auch nicht. Es hieß – kein Geld von der Regierung. Jede Flüchtlingsklasse an weiterführenden bayerischen Schulen hat jedoch ihren eigenen Sozialpädagogen. Unterrichtet wird teilweise auch im Teamteaching. Dafür hat ja die Regierung Geld, jedoch nicht für in Deutschland geborene Kinder mit Förderbedarf, die ebenfalls integriert werden müssen. Schade!

  5. Liebe Lina,
    danke für deinen Kommentar… Es zeigt auch wieder, dass wir Eltern immer Einzelkämpfer sein müssen für unsere Kinder… Für mich ein deutliches Zeichen dafür, dass es eben keine gute Grund-Versorgung gibt. Behinderte Menschen und Kinder einfach nicht mitgedacht werden im System. Das muss sich unbedingt ändern.
    Inklusive Konzepte haben ja noch einen anderen Vorteil. Kann mein Kind in die ortsnahe Regelschule gehen, so wird es seinen Freundeskreis auch dort finden. Mein Sohn hat noch viele Kontakte aus der Grundschulzeit zu den nicht-behinderten Mitschülern von damals. Vor allem weil sie sich auch tagtäglich beim einkaufen und auf der Strasse treffen ist der Kontakt nie abgerissen.
    Mein Sohn kann bis heute nicht lesen und schreiben (er hatte einen Gehirntumor als Kind). Seine Kochausbildung hat er deshalb mit Hilfe eines Assistenten gemacht der für ihn gelesen und geschrieben hat (Diktaphone, Lesehilfsprogramme sind eh sein ständiger Begleiter und Hilfsmittel) – das hat super geklappt und er gehörte beim Abschluss zu dem besten drittel der Schüler (alle anderen waren nicht-behinderte Menschen).
    Nun könnte man daraus schließen, er hätte ja auch die Oberschule in einem inklusiven Schulsystem mit Assistent absolvieren können. Und da habe ich starke Zweifel. Mein Sohn sagt selbst wie toll das war, das er nicht mehr englisch und Biologie und anderes abstraktes Zeug sich anhören musste und dabei saß, nur Bahnhof verstand und immer frustrierter wurde… Auch ein Assistent hätte ihm ja nur diesen Unterrichtsstoff nachkauen können, Er hätte wahrscheinlich weiterhin keine Zensuren bekommen können und ein wohlwollendes Zeugnis. Auch dies hätte ihn geradewegs in die Behindertenwerkstatt gebracht.
    Die Angebote die ihm die Förderschule gemacht hat waren für ihn sehr viel besser. So hat er gelernt, dass man Interesse für Dinge entwickeln kann, und durch üben immer besser wird. Der Lehrer hat oft gesagt: „Unsere Kinder können vielleicht in Geschichte und Mathematik mit Hauptschülern und anderen nicht mithalten, aber was sie auszeichnet ist: Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Fleiß, usw“ genau mit diesen „Softskills“ hat mein Sohn sich behauptet.
    Außerdem ist Schule ja nur das halbe Leben. Wir haben immer geschaut, dass im Freizeitbereich Vereine und Gruppen offen für das Thema sind und dort keine Ausgrenzung passiert. So hat mein Sohn von jeher ein sehr aktives Sozialleben behindert oder nicht spielt keine Rolle. Wenn wir zusammen durch die Gegend laufen bin ich immer wieder überrascht, dass wir an jeder Ecke stehen bleiben müssen, weil er wieder jemanden trifft den er kennt und die Leute sich freuen ihn zu sehen. Er ist ziemlich beliebt und das ist auch wichtig. Ich denke das hat er nur durch sein Selbstbewusstsein geschafft, das er sich auch mit Hilfe dieser guten Förderschule und den guten Lehrern dort hat aufbauen können…
    So lange es solche Angebote wie die Fahrradwerkstatt, Küche und co an Regelschulen nicht gibt und dieser Unterricht genauso ernst genommen wird wie Physik und Chemie (an jedem Fahrrad kann man Mathematik, Physik, Lesen und Schreiben lernen wenn man will), wäre eine solche Schule für meinem Sohn eben nur langweilig und frustig gewesen. Deshalb schreibe ich auch weiter oben, dass es vielleicht für viele Schüler gut wäre, wenn wir Schule neu denken würden. Warum gibt es überhaupt Zensuren bspw. Warum verfestigen sich schon so früh Glaubenssätze wie „Malen kann ich nicht“ „Mathe verstehe ich eh nicht“ „Ich bin total unsportlich“. Das ist sehr schade, es nimmt jedem Mensch das spielerische und die Lust am Lernen…

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