Wenn Sprache behindert

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Kettcar
An diese Redewendung muss ich manchmal denken, wenn ich in Zeitungen und Magazinen über „Behinderung“ lese. Der begrüßenswerte Anspruch von Journalisten_innen, auf Randthemen wie Behinderungen aufmerksam zu machen, führt oft zu Artikeln, die mich zum Fremdschämen veranlassen. So werden beispielsweise Sätze und Wörter gebraucht, die heute nicht mehr verwendet werden sollten: „Sorgenkind“, „an den Rollstuhl gefesselt“, oder „er leidet an Glasknochen“. Denn in der Realität ist oft das Gegenteil der Fall: Ich selbst betrachte mich nicht als jemanden, um den man sich „Sorgen“ machen sollte. Genauso wenig bin ich an den „Rollstuhl gefesselt“, sondern ich schnalle mich freiwillig an! Die wirkliche Fesselung wäre erst dann da, wenn ich keinen Rollstuhl hätte. Denn ein Rollstuhl bedeutet für mich Freiheit und nicht Einschränkung. Auch ist die Annahme, dass ich an Glasknochen leide“, eine typische Sicht der Nichtbehinderten. Für viele Menschen mit Behinderung ist die Tatsache, behindert zu sein, einfach Fakt. Genauso wie eine Haarfarbe oder die Schuhgröße. Mal schränkt sie einen ein, mal nicht.

Ein Rollstuhl bedeutet für mich Freiheit

Besonders die emotionale Aufladung von Behinderungen geht weit an den Zielen vorbei. In vielen Charity-Veranstaltungen, zuletzt beim Tribute to Bambi, werden Geschichten erzählt, die mit der Würde des Menschen mit Behinderung und der Empathie des Zuschauers spielen. Das soll Mitleid erzeugen und die Spenden in die Höhe treiben. Dabei sollte in einer guten Darstellung gerade nicht die Behinderung im Vordergrund stehen, sondern der Mensch mit seinen facettenreichen Eigenschaften, für den man Empathie entwickeln kann. Mitleid, Scham oder schlechtes Gewissen sind hier oft fehl am Platz und helfen den Beteiligten in den seltensten Fällen nachhaltig.
Journalisten_innen neigen dazu, die Extreme einer Person beziehungsweise einer Geschichte hervorzuheben und zu überhöhen. Dann überstrahlt das schwere „Schicksal“ des „Sorgenkinds“, alles, was diesen Menschen über seine Behinderung hinaus auszeichnen könnte. Das andere Extrem ist der „Superkrüppel“, jener Mensch, der seine Behinderung offenbar „überwunden“ hat, den Mount Everest mit seinem Rollstuhl erklimmt, und als Held gefeiert wird. Wenn jemand etwas „trotz“ statt „mit“ seiner Behinderung schafft, dann ist es sofort eine besondere Leistung. Dabei liegt doch die Wahrheit, wenn wir ehrlich sind, höchstwahrscheinlich in der Mitte. Aber warum sehen wir sie nicht? Wo bleiben die blinde Kassiererin, der Erzieher mit Down- Syndrom oder die Bankangestellte im Rollstuhl?
Auf der anderen Seite sollen auch keine Hürden entstehen, über ein Thema nicht zu schreiben, weil man Angst vor der Wortwahl hat. Daher wäre es an der Zeit, Weiterbildungen für Medienschaffende anzubieten, damit Artikel erscheinen, die es nicht nur gut gemeint haben, sondern einfach gut sind
Dieser Text entstand für eine Themen-Beilage des „Bundesministerium für Arbeit und Soziales“ anläßlich der „einfach machen“-Kampagne. Die Beilage erschien in der Novemberausgabe der Zeitschrift „Journalist„.



26 Antworten zu “Wenn Sprache behindert”

  1. Hallo Raul,
    der Blogeintrag triffts genau auf den Punkt. Ich bin hier in Österreich in einem Projekt tätig, wo junge Menschen mit (trotz :-P) Beeinträchtigung für eine regionale Wochenzeitung Berichte schreiben können und selbst wir stolpern oftmals über unsere eigenen Worte 🙂 Aber auch erst letzten habe ich wieder über „Kranken Kindern helfen“ was gelesen und mich aufgeregt, weil auch für viele Nichtbehinderte nach wie vor nicht klar ist, das Menschen mit Beeinträchtigung nicht „krank“ sind….
    Ach ja, die Wheelmap füllen wir von hier aus auch fleissig auf 🙂
    LG
    Manuela

  2. Haihai,
    ich glaube nicht, dass es die Sprache ist, die behindert, sondern der Umstand, dass Leute über ein Thema schreiben, das sie sich leichtfertig zumuten, aber nicht sauber erfassen. Es ist ja auch bei ganz anderen Themen der Fall, dass ein kritisches Betrachten mit einer dekonstruierenden Herangehensweise verwechselt wird.
    In Bezug auf Behinderungen kann ich das aber natürlich sprachlich erfassen: Rede ich von Behinderungen, setze ich ein Normalsein und leite ein Nichtnormalsein davon ab. Rede ich aber, wie die Niederländer, von einem Handycap, spreche ich auch von der Herausforderung, die das Sosein eines Menschen darstellt.
    Es wird in der Tat zu wenig über die Herausforderungen gesprochen, weil sie medial schwerer vermittelbar sind, weil man dadurch nicht so sehr auf die Tränendrüse drückt und weil Menschen, die unkritisch schreiben, eben für Menschen schreiben, die unkritisch lesen. Das werden wir nicht alles ändern können oder andersrum: Mal sehen, was wir davon ändern können ;-).

  3. Sehr richtige und weise Worte. Aber sag mal, geht es Dir mit Deiner Arbeit und der Art und Weise, wie darüber – besonders in den vergangenen Wochen – berichtet wird, nicht irgendwie genauso? Ist da nicht auch diese Tendenz erkennbar: „Der Arme – so vom Schicksal getroffen und trotzdem hat er es geschafft! Und tut so viel Gutes!“? Wirst Du da nicht auch irgendwie von den Behindernden zu einer Ikone stilisiert? Zwar (noch) ohne Mount-Everest-Besteigung, aber anhand Deiner Arbeit.

  4. Wieder mal eine gute Zusammenfassung von verunglückten Sprachbeispielen zu Thema Behinderung.
    Mich würde aber mal für jedes angegebene Beispiel eine wirklich zutreffende, passende, richtige, würdige und menschliche Alternativformulierung interessieren, die trotzdem die gleichen Fakten wiedergibt, ohne zu bevormunden, zu bemitleiden, zu benachteiligen oder zu verzerren.
    Danke.

  5. „Kranke Kinder“ wird auch gerne genommen, weil gerade Regionaljournalisten „geil“ auf Alliterationen sind.
    Raul, besonders deine Beschreibung des Rollstuhls als Freiheit fand ich sehr schön.
    P.S. Den Bambi kann man nur ignorieren, sonst regt man sich auf. Aber andererseits ist das pure Gleicheit, alles dort wird überhöht und verzerrt dargestellt 😉

  6. @ du: ich hoffe das war ironie und ich finde es einfach nicht witzig?
    @ich: „journalist_innen“ bezeichnet Menschen, die Artikel verfassen, kommentieren etc, also im Berufsfeld Journalismus arbeiten (oh wunder^^).
    Der „Gender Gap“ (dieses „_“) ist eine Möglichkeit Sprache zu gendern (ähnlich wie das Binnen-I: „JournalistInnen“ oder der Schrägstrich: „Journalist/innen). Der Vorteil des Gap besteht in 2 Aspekten: Zum einen werden auch Personen einbezogen, die sich weder als weiblich noch männlich definieren (beispielsweise, aber nicht nur trans* oder auch einfach Menschen, die sich nicht in ein Rollenbild pressen lassen wollen und lieber einfach Individuen sind). Der zweite Vorteil besteht m.E. darin, dass man den Gap auch sprechen kann, indem man einfach eine sehr kleine Sprachpause einbaut („Journalist – 0,5-Sekunden Pause – innen“). Ein Vorteil ergibt sich auch daraus, dass nicht gedoppelt werden muss (Journalistinnen und Journalisten): Das vermeidet zum einen sprachliche Redundanzen, zum anderen rekonstruiert man mit dem Gap damit keine sexuelle Binarität – also die Annahme, dass es ausschließlich nur zwei Geschlechter gibt (männlich und weiblich). Diese Annahme hat die Forschung – auch die biologische – längst widerlegt.
    Einige kritisieren, dass der Gap den Lesefluss stören würde – die Kritik kann ich nachvollziehen, weiß aber aus eigener Erfahrung, dass es einfach eine Sache der Gewöhnung ist. Mich bspw. stören Texte zum Teil mehr, wenn sie nicht gegendert sind. Besonders wenn in diesen damit alte Rollenbilder reproduziert werden (Krankenschwester vs. Mechaniker)

  7. Erinner mich an einen Autoaufkleber, den meine Mutter mal hatte: „Wenn Sie jemanden sehen, der an den Rollstuhl gefesselt ist, rufen Sie bitte die Polizei und binden Sie ihn los!“
    „Auf den Rollstuhl angewiesen“ oder einfach „Rollstuhlfahrer“ sind ihrer Ansicht nach gute neutrale Formulierungen. Beschreiben die Tatsachen und weisen auf gewisse Einschränkungen hin, ohne zu sehr zu dramatisieren.
    In der englischsprachigen Blogsphäre vollzieht sich da gerade ein interessanter Wandel. Da ist es nun üblich, nicht mehr von „the disabled“ zu reden, sondern von „person/people with disabilities“. Damit wird nicht die Behinderung zuerst genannt, sondern die Person.
    Eine wichtige Unterscheidung, die wohl auch in Deutschland gut tun würde. Denn durch die extreme Segregation in den Schulen, die hier stattfindet, lernen viele nie einen Menschen mit Behinderung persönlich kennen und nehmen diese als eine Art fremde Spezies wahr. Als direkte Angehörige (selbst ohne Behinderung) hat mensch häufig das Gefühl, zwischen zwei Welten zu leben, in der unterschiedliche Sprachen gesprochen werden.
    Am neuen Elektrogefährt meiner Mutter steht übrigens: „Ich bremse auch für Nichtbehinderte“.

  8. Das mit der „Freiheit durch Rollstuhl“ habe ich auch live miterlebt. Jahrelang hat sich meine Mutter mit Stützen und Rollator durch die Gegend geschleppt, unter starken Schmerzen und dauernd erschöpft. Was für ein Wandel, als sie endlich den Rollstuhl bekam. Weniger Last auf den geschundenen Beinen! Mehrmals am Tag das Haus verlassen können, ohne zusammenzubrechen! Freiheit!
    Das Bizarre war, dass ihr plötzlich lauter Mitleid entgegenschlug, obwohl sie extrem viel Lebensqualität gewonnen hatte und fröhlich durch die Gegend flitzte. Das hat so einige schwer verwirrt: Wer im Rollstuhl „landet“, hat sich darüber doch nicht zu freuen, das muss eine Tragödie sein! Die schlimmste war meine Tante, praktizierende Physiotherapeutin (!), die ihr vorwarf, sie würde sich im Rollstuhl „ausruhen“ (!!)
    Das schöne Ende der Geschichte ist, dass Menschen durchaus dazulernen können. Sogar besagte Tante sieht mittlerweile ein, dass sie damals Blödsinn geredet hat.

  9. @witz oder?:
    Dieses ganze Ge-Gendere geht mir langsam auf die Eier, und ja, auch als Frau hab ich welche. Ich bin Koch. Und ich gehe morgen zum Arzt, nämlich zu Frau Dr. xxx. Wenn ich in einer Besprechung ein Protokoll schreibe, dann bin ich Schriftführer.
    Ich habe nichts gegen Schwule, Lesben, Trans-idente, Frauen und Männer.
    Ich habe nur das schleichend stärker werdende Gefühl, dass die Auzählung aller Gender-Möglichkeiten uns immer mehr zu einer Unterscheidung und damit Abgrenzung führt, die möglicherweise nicht gut tut.
    Wenn ich sage, ich bin Koch, meine ich damit, dass ich diesen Beruf ausübe. Ob ich jetzt Mann bin oder Frau oder irgendwas dazwischen oder gar nichts – was soll’s? DIe Berufsbezeichnung ist „Koch“, also arbeite ich als solcher. Sonst kann ich wirklich beim Frühstück bald um „die Salzstreuerin“ bitten.
    Vielleicht täte uns weniger p.c. auch mal gut – weniger aufregen, einfach machen, nicht um die Form streiten, sondern lieber Inhalte füllen, und wer weiß, vielleicht verbiegt sich dann ja die Form von selbst.

  10. Seit langem beschäftige ich mit dem energetischen Gebrauch der Sprache. Dabei bemerke ich immer wieder, wie wir uns immer wieder daran orientieren, was fehlt, was scheibar nicht in Ordnung ist. Das bedeutet, das Hauptaugenmerk liegt auf dem Mangel. Wo meine Aufmerksamkeit ist, ist meine Kraft; d.h. lenke ich die Aufmerksamkeit auf den Mangel, stärke ich ihn. Lenke ich die Aufmerksamkeit auf den Nutzen, in diesem Fall auf das Freiheitsgefühl des Rollifahrers, stärke ich dieses.
    Interessant finde ich die Kommentare vor mir: ein langer Artikel, 2 oder 3x ein seltsames Gendergebilde, eine Menge Kommentare darüber

  11. Ich habe mal für ein Kreis-Jugendamt eine kleine Erhebung gemacht, bei der festgestellt werden sollte, was Vereine allgemein für Jugendliche anbieten.
    In einem Unterpunkt der Studie fragte ich nach Angeboten für behinderte Jugendliche. Daraufhin erklärte mir der zuständige Jugendamts-fuzzi, dass dieser Begriff gar nicht verwendbar sei.
    Er habe überall den Begriff ersetzt durch „behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen“.
    Ich sagte, das sei Blödsinn, weil letztlich jeder Mensch von Behinderung bedroht sei. Und dass es hier um statistische Begriffe von Grundgesamtheit und Untergruppen gehe, die für die Studie irgendwie unterschieden werden müssten.
    Hat er nicht verstanden.

  12. Ich denke das Problem ist, dass es in Medien, aber auch in persönlicher Kommunikation in der Regel nicht um Informationsvermittlung sondern um das Weitergeben oder Teilen von Gefühlen geht, und dieses „Bedürfnis“ wird durch Tränendrüsen-stories besser bedient. Es gibt kein tatsächliches Interesse an den Lebensumständen oder den Menschen selbst, es geht nur um die Gefühle, die der Leser oder Zuhörer spontan mir dem Berichtenden teilt. Im besten Falle, sonst geht es wie üblich nur darum, seine story am besten zu verkaufen.
    Mitleid als Reaktion ist eigentlich doch auch verständlich, da es nun mal schwierig ist, sich in von Grund auf andere Lebensumstände hinein zu versetzen, oder?
    Und: Wheee, Gender Diskusion. Lange nicht mehr gehabt.

  13. Es ist doch schon eine Errungenschaft für sich, dass die breite Mehrheit der Bevölkerung genug Empathie für Behinderte hat, um ihnen zu helfen. Natürlich ist Mitleid nicht schmeichelhaft, aber ohne es wären die Behinderten die Ausgestoßenen. Und würde man sie wirklich gleichberechtigt mit den ‚Normalen‘ behandlen, so würden sie permanent an ihre Grenzen stoßen. Wenn man sagt, dass eine Person ‚an den Rollstuhl gefesselt ist‘ drückt das nur aus, wie sich ein durchschnittlich gesunder Mensch fühlen würde, wenn ER SELBST plötzlich nicht mehr in der Lage ist, das zu tun, woran er sich gewöhnt hat. Wenn sich das ganze Leben um eine Krankheit dreht, belügt man sich nur selbst, wenn man so tut, als ob man nicht dadurch beeinträchtigt wird.
    In dem Fall hat es nichts mit Diskriminierung Behinderter zu tun, sondern mit gesundem Menschenverstand.
    Behinderte Menschen sind nunmal behindert. Ob man sie so nennt oder nicht, spielt keine Rolle. Jeder Mensch wird von irgendetwas überfordert, was für andere umso einfacher ist. Wenn das Privatfernsehen einem Behinderten applaudiert, tut es das eher aus Dankbarkeit für die unterhaltsame Freakshow, nicht für die wahre Leistung, sofern sie denn wirklich herausragt (genauso im Kino – man denke nur an „Forrest Gump“ oder „Gattaca“) und sich nicht immer nur um sich selber dreht und etwas zum Wohle der Behinderten beiträgt, sondern dem der ’normalen‘, alltäglichen Gesellschaft. Damit ist nicht gemeint, dass diese Leistungen weniger herausragen und für sich minderwertiger sind, aber es widerstrebt meinem Willen zur Aufrichtigkeit,so zu tun, als ob nichts wäre. Wenn es allein darum ginge, welche Leistungen der Mensch vollbracht hat, ungeachtet der Behinderung – wer wäre davon sonderlich beeindruckt?

  14. Wenn man, so wie ich, 15 Jahre mit einer Frau verheiratet ist, die einen Rollstuhl benutzt, verschwinden solche Begrifflichkeiten fast völlig aus dem eigenen Wortschatz.
    Es ist tatsächlich fast so, dass ich die Behinderung meiner Frau vergesse. Wir benutzen dieses Wort untereinander nie und auch nach Außen spreche ich, wenn es nötig ist, davon, dass meine Frau einen Rollstuhl benutzt. Auch im ausländischen Urlaub benutze ich nur den Begriff „uses a wheelchair“. Mehr muss man nicht wissen.
    Spannend finde ich tatsächlich, dass mein Bewusstsein für Äußerlichkeiten dadurch verändert wurde.
    Ich registriere zwar, wenn ein Mensch im Rollstuhl sitzt, schwarz ist oder was auch immer, aber vergesse es binnen Sekunden. Wenn ich dann mit diesem Menschen z.B. ein interessantes Gerspräch hatte, erinnere ich mich nur sehr schwer oder überhaupt nicht daran, welche Farbe der Rollstuhl hatte. Ich sehe praktisch durch die Behinderung durch.
    Dazu sind mir vor einiger Zeit einige Zeitungsartikel aufgefallen, in denen über die künstlerische Arbeit von Thomas Quasthoff berichtet wurde. In diesen Artikeln (ohne Fotos!) stand rein garnichts über irgendwelche Behinderungen. Ein „Unwissender“ hätte da keine Behinderung vermutet und das ist doch genau richtig so.

  15. Also ich kann die Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten des Autors im Bezug auf den „Mount Everest“-Aspekt nicht teilen. Ich finde „trotz“ ist hier das richtige Wort. Denn wenn z.B. ein Rollstuhlfahrer den Everest hochkommt, dann ist er gegenüber laufenden Personen „behindert“ im Wortsinn. Also: „trotz“. Genau wie jede andere Einschränkung gegenüber einem durchschnittichen Everest-Besteiger. Ansonsten volle Zustimmung.

  16. Bin auch über Bildblog hier her gekommen. Schöner Artikel (und wie wahr!) als guter Anstroß, über die eigene Sprache nachzudenken – und erholsam umaufgeregte Beiträge. – Als Journalist eines Lokalblättchens kann ich nur sagen: ich bemühe mich zwar immer wieder, aber manchmal rutscht einem das eine oder andere Klischee heraus – Sprachinkontinenz… eben doch eine Behinderung, denn wie Tucholsky mal schön sagte: saubere Sprache zeugt von einem sauberen Denken. P.S. ich bin übrigens an ein Hörgerät gefesselt und leide unter einer Brille… Mach‘ weiter, Raul! 😉

  17. Hi, Raul, ich hab dich damals bei Tim Pritlove das erste Mal gehört – keep up the good work!
    @ Carsten: Ich glaube, es ist gar nicht so sehr ein Problem des intellektuellen Erfassens, sondern mangelndes Einfühlungsvermögen. Dabei kann man sich doch leicht vorstellen, dass es einem Rollstuhlfahrer irgendwann tierisch auf den Geist geht, wenn ihm/ihr gegenüber immer nur Mitleid oder diese seltsame Bewunderung („wie tapfer!“) geäußert wird.
    Aber manche Menschen lernen’s einfach nicht. Es gibt ja Leute, die einen dunkelhäutigen Menschen immer ganz dringend und gleich als Erstes fragen müssen, woher er/sie denn kommt -.-
    Trotzdem ist das Gegenteil von „gut“ immer noch „schlecht“, und nicht „gut gemeint“. 😉

  18. Hi,
    Ich finde du hast recht was das „Sorgenkind“ und so unnütze Formulierungen wie „an den Rollstuhl gefesselt“ angeht.
    Aber „leidet an“ finde ich ist keine falsche Formulierung da leider viele handicaps mit schmerzen oder einer Krankheit einhergehen an der man durchaus leidet. Besonders an den schmerzen leidet man dann auch sehr.

  19. „Die Behinderten-Gemeinschaft und die ganze Welt werden bald eine bemerkenswerte Veränderung erleben, da das Exoskelett auf den Markt kommt.“
    (gelesen auf http://www.exoskelette.com/index.html)
    So viel zum Thema Behinderung durch Sprache … Wenn ich so etwas lese, macht es mich sprachlos.
    Die „Behindertengemeinschaft“ auf der einen Seite, „die ganze Welt“ auf der anderen. Ja, danke. Kann man jemanden noch offensichtlicher ausgrenzen???
    Wie kommen die überhaupt auf die Idee, dass ich aufgrund der Tatsache, dass ich bestimmte Dinge nicht kann, mit anderen Menschen eine Gemeinschaft bilde? (Ganz zu schweigen davon, dass ich mich wohl in meinem Rolli fühle und mir nicht vorstellen kann, mich alternativ in irgendeinem seltsamen Roboteranzug fortzubewegen … denn wer sagt überhaupt, dass es besser ist, auf Beinen von der Stelle zu kommen als auf Rädern?)
    Gut geschriebener Artikel, Raùl, ich kann dir nur zustimmen.
    Ich will wegen meiner Behinderung nicht für alltägliche Dinge bewundert werden, die für andere eine Banalität sind, weil das nur zeigt, dass man mir nichts zutraut. Ich will wegen meiner Behinderung nicht bemitleidet werden. Das suggeriert doch, dass mein Leben weniger wert ist als das anderer. Ich will wegen ihr nicht in Schubladen gesteckt werden. Das Wort Behinderung ist ein so weit gefasster Begriff, dass sich damit kaum eine Schublade beschriften lässt, denn welche Gemeinsamkeit wird dadurch schon ausgedrückt? (Überhaupt würde mich mal eine Definition dieses Wortes interessieren.)
    Und trotzdem wird mir immer wieder bewusst, dass bei Weitem nicht alle so denken. Es gibt so viele Menschen mit Behinderung, die sich bewusst abgrenzen oder sich schämen, weil sie „anders“ sind und dadurch das Feuer am Brennen halten. Ich glaube, wenn mehr Leute offensiver mit ihrer Behinderung umgehen würden, wäre das auch gar nicht mehr ein so großes Thema in der Gesellschaft.

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