Ich mag Wörter. Sie können erheitern, verwirren und über Jahre auch ihre Bedeutung ändern. Wenn man vielleicht vor fünfzig Jahren gesagt hat: “Ich gehe in einen Photoshop!“, dachten die meisten, dass man Bilder abholen möchte. Spricht man heute von Photoshop, denkt man zuerst wohl an das Bildbearbeitungsprogramm, was so viele Diskussionen auslöst: Wurden bei dem eh schon zu dünnen Model noch ein paar Gramm an der Hüfte wegretuschiert? Ist der Mann um zehn Jahre jünger gezeichnet worden? Ist auf dem Bild nicht eigentlich noch eine dritte Person gewesen? Aber nicht erst mit Photoshop wurden neue Realitäten von perfekten Menschen erstellt, schon immer wurden durch Mode, Make-up, Operationen, Gegenstände etc. Menschen optisch verbessert, um einem angeblichen Ideal der aktuellen Gesellschaft zu entsprechen.
Werbewelt ohne Behinderung?
Einen Rollstuhl kann man jedoch nicht so einfach wegretuschieren. Während man vom amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt keine Bilder machen durfte, wenn er im Rollstuhl saß, würde es bei mir komisch aussehen, wenn ich durch das Bild schwebte. Aber 2013 ist vielleicht auch die Akzeptanz für Menschen im Rollstuhl größer als zu Roosevelts Zeiten. Gestern wie heute entsprechen aber Menschen mit Behinderungen nicht der Norm und werden eher mit “Unperfektem“ und als “nicht normal“ assoziiert, denn auf aktuellen Werbeplakaten habe ich noch nie einen Menschen mit Behinderung gesehen. Behinderungen entsprechen eben nicht dem aktuellen Körperkult von Leistung und Schönheit.
Einige Ausnahmen bestätigen die Regel: wenn paralympische Athleten oder schöne Schauspielerinnen mit Prothesen oder Rollstühlen in popkulturellen Kontexten gezeigt werden. Vielen Menschen mit Behinderungen, die diese Eigenschaften nicht erfüllen können, werden dann medizinische Lösungen angeboten, um dann wieder der Norm zu entsprechen. Operationen oder Exoskelette, die das Laufen wieder ermöglichen sollen, oder auch das sehr umstrittene Cochleaimplantat für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen werden dann vorgeschlagen. Eine Art reales Photoshoppen.
Lieber Barrieren abbauen
Natürlich würde ich lügen, wenn ich sagen würde: “Hey, ich bin mit meinen Körper immer zufrieden und habe keine Probleme!“ Aber wer würde das schon von sich behaupten? Ich habe gelernt, mit und in meinen Körper zu leben, genau wie jeder andere, der seine Nase zu groß, seinen Bauch zu dick, sich selbst zu klein oder seine Haare zu „straßenköterblond“ findet. Die körperlichen Defizite, die ich habe, versuche ich durch meinen Rollstuhl und Assistenz auszugleichen, und so gehört es einfach dazu. Wenn jetzt ein Arzt ankommen und mich fragen würde, ob ich für 30 Millionen Euro Operationen und technische Neuerungen auf mich nehmen wolle, damit ich endlich laufen kann, dann würde ich antworten: Für 30 Millionen Euro könnten sie lieber die Stufen an meinen Lieblingscafés beseitigen oder die Wartungsintervalle von Fahrstühlen verkürzen.
Ich persönlich möchte nicht mehr das Laufen lernen, einen anderen Körper besitzen oder was sonst noch so alles möglich ist. Ich möchte aber auch, dass das in einer diversitären Gesellschaft akzeptiert wird und nicht von jedem Plakat, in fast jedem Film oder auch in Zeitungen vorgestellt wird: Das ist der ideale Mensch! Denn somit kann man sich gut vor seiner Verantwortung für eine inklusive Gesellschaft drücken, weil wir den Individuen lieber das Laufen beibringen wollen, als die allgegenwärtigen Barrieren abzubauen. Denn die reale Stufe zum Photoshop kann man nicht wegretuschieren.
Wie geht es euch mit eurer Behinderung?
Dieser Text entstand für das Inklusions-Blog der Aktion Mensch.