Was steckt hinter dem Bild eines Rollstuhlfahrers, der beim Elb-Hochwasser hilft und Tausende von „Likes“ erhält? Menschen mit Behinderung müssen sich Herausforderungen stellen. Aber sind sie deswegen Helden?
Irgendwie war es klar: Ronald Zeidler ist für den Bürgerpreis nominiert. Wem der Name nicht sofort etwas sagt, der kennt bestimmt das Bild von dem Rollstuhlfahrer, der bei der Flutkatastrophe in Dresden tatkräftig unterstützt hat. Bei Facebook wurde das Bild so oft geklickt, als handele es sich um eine Katze, die in ein Nutella-Glas gefallen ist und im Hintergrund lacht ein Baby. Die Nominierung bei dem Bürgerpreis ist jetzt ein weiterer Schritt hin zum “Rolli-Helden“, was aber in die falsche Richtung gehen kann.
Kurz vorweg: Ich freue mich sehr, dass Ronald Zeidler nominiert wurde. Auch die recht spontane Aktion des Bürgerpreises, das einmalige Engagement vieler Bürger zu ehren, ist toll. Jedoch kommt jetzt mein großes ABER: Wofür wird Zeidler ausgezeichnet? Er selbst sieht sich nicht als “Held“, wird aber jetzt zu einem gemacht und ich habe das Gefühl, dass leider sein Rollstuhl viel dazu beiträgt.
Inklusion vs. Inspiration
Ja, auch wir haben bei wheelmap.org das Bild geteilt, aber mit einem anderem Hintergrund: Wir wollten nicht zeigen, dass ein Rollstuhlfahrer trotz seiner Behinderung hilft, sondern dass jeder die Möglichkeit bekommen sollte, zu helfen! Denn das ist ein Ziel von Inklusion: Menschen mit Behinderung müssen die gleichen Rechte und Pflichten erhalten. Das bedeutet auf der einen Seite, dass man gerechte Unterstützung bei Assistenzen bekommen sollte, gleichzeitig Steuern bezahlen, aber keine Angst vor Altersarmut haben sollte. Das bedeutet auch, dass Menschen, auch wenn sie angeblich keine Zeitung kaufen können, ein Wahlrecht besitzen sollten. Und das bedeutet auch, dass man helfen sollte, wenn man kann und sich die Möglichkeit dafür ergibt – genau wie es Ronald Zeidler getan hat.
An dieser Stelle möchte ich die Autorin Stella Young zitieren, die in einem tollen Artikel schreibt:
We’re not here for your inspiration
(Wir sind nicht hier für eure Inspiration)
Der von ihr benannte “Inspiration-Porn“ meint besonders die Bilder von Sportlern oder Kindern mit Behinderungen, deren Motive als Hintergrund für inspirierende Sprüche genommen werden wie:
„The only disability in life is a bad attitude“
(Die einzige Behinderung ist eine schlechte Einstellung)
Denn genau das stimmt nicht: Der Rollstuhl, die Prothese oder der Blindenleitstock sind keine Behinderungen, sondern Hilfen. Mit ihnen erreicht man die selbst gesteckten Ziele. So wie andere Schuhe tragen oder eine Sonnenbrille aufsetzen. Was die wirklichen Behinderungen sind, kann man jeden Tag in diversen Blogs und Zeitungsartikeln lesen. Ja sogar in dem BILD-Artikel zu Zeidler steht:
…der um seine Existenz bangt.
Also muss man sich doch die Frage stellen, warum jemand der 2007 einen Unfall hatte, jetzt einen Rollstuhl benötigt, auf einmal um seine Existenz bangen muss? Leider wird das in dem Artikel nicht erläutert.
Natürlich kann auch ich meine Glasknochen nicht ständig ausblenden und an einigen Stellen nervt es wirklich, aber es ist auch keine so außergewöhnliche Sache, dass sie andere inspirieren muss, nach dem Motto:
Wenn der Raúl es im Rollstuhl schafft, dann muss ich es doch auch schaffen können
So wird „Inspiration“ nur zur doofen Schwester des „Mitleids“
und von beiden kann man sich nichts kaufen, sondern es lenkt nur von den eigentlichen Herausforderungen einer Gesellschaft ab, die es auf dem Weg hin zu mehr Inklusion gibt. Und genau das bestätigt auch Ronald Zeidler als er von der Nominierung erfahren hat:
Das ist doch übertrieben, ich hab doch gar nichts Besonderes gemacht! Da hätte man auch jeden anderen Helfer nominieren können!
Vielleicht sollte uns diese Aussage viel mehr dazu inspirieren, dass Menschen mit Behinderungen einfach dazu gehören. Nicht mehr, nicht weniger!
Dieser Text entstand für das Inklusions-Blog der Aktion Mensch.
7 Antworten zu “Wir sind hier nicht zur Inspiration!”
Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht blind werden für „Besonderheiten“, sondern sensibel.
erst wenn der Respekt vor dem anderen Menschen (und ich sehe jede andere Person als mich als „Anderen“) im Mittelpunkt steht, werden die Kategorien „normal“, „besonders“ „Held“ nebensaechlich. die Hauptsache muss der respektvolle Umgang mit allen Lebewesen werden
Allein die Bezeichnung „Rolli-Mann“. Der Mann ist doch nicht mit seinem Fortbewegungsmittel verwachsen.
Gibt es Fahrrad-Kinder, Auto-Frauen, Bus-Männer? Nö. Aber die „Behinderten“, die sind sowohl ihre sogenannte „Behinderung“ als auch ihr Fahrzeug. Alles, nur keine normalen Menschen.
Was ist normal? Gibt es überhaupt normale Menschen? Ich denke eher nein! Jeder von uns ist auf seine Art einzigartig. Wir definieren uns in unserem denken und handeln. Ich kann von mir behaupten, dass ich innerhalb meiner Familie aus der Art geschlagen bin. Das betrifft sowohl mein Handicap als auch mein Character. Ich würde nie behaupten dass ich ein einfacher Mensch sei. Aber ich bin umgänglich und über dumme Sprüche zu meiner Behinderung ärgere ich mich schon seit Jahren nicht mehr. Ich stehe zu dem was ich habe, was ich bin und was ich tue. Allein das sollte entscheidend sein.
Guten Abend Raul Krauthausen, nun stehe ich noch etwas unter dem Eindruck ges´trigen „Triells,“ die „Kinder“, rief Annalena Baerbock in die Runde, sie „kuschelten“ sich an ihre Mütter in Afghanistan, soeben überlebt habend, es zerreiße ihr das Herz. Die „Menschenrechtlerinnen“, die „Frauen“, appellierte Armin Laschet , auf die sähe er auch, wenn er auf die Ortskräfte gesehen hätte.
Ich bin Frau, ich war Kind, ich habe eine seelische Behinderung.
Als Frau fühle ich mich nicht angesprochen von Armin Laschet, weil er sich nur dann um Frauen kümmert, wenn er meint, etwas davon haben zu können, „Kümmerei“ würde ich mir sowieso nicht wünschen, es wäre schön, die Kandidaten für das Regieren kommunizierten einfach mit den Menschen, die da sind.
Denke ich an meine Kindheit – so wie Annalena Baerbock für sich in Anspruch nimmt, die Kindperspektive kennen zu wollen, nehme ich in Anspruch meine Kindheitsgeschichte zu kennen – möchte ich mich selbst erklären, ich hätte mich auch als Kind lieber öfter mal selbst erklärt, als dass der Blick über meinen 1 Meter hohen Kopf wie selbstverständlich Richtung 1,60 hohem Kopf meiner Erziehungsberechtigten gegangen wäre. Nun sind, auch nicht neu, Kinderrechte im Grundgesetz im Gespräch, als ob das am fundamentalen Problem etwas änderte – das Kind ist schwächer, als diejenigen, die für es verantwortlich sind – eine Machtfrage primär , keine primäre Rechtsfrage.
Was tun? Würde es nicht reichen, einfach das Kind ernst zu nehmen, weil es ein Mensch ist. Punkt! Genauso wie es reichen müsste, einen Menschen mit Behinderung jeder Weise, ernst zu nehmen, weil er ein Mensch ist. Punkt!
Das müsste ja möglich sein, scheitert aber primär an Finanzierungsfragen, denn der mächtigere Teil der Gesellschaft ist es gewohnt, Verteiler zu sein und nicht gewillt, auf Teile seines Hab und Gutes zu verzichten, damit andere Menschen genauso ernst genommen würden wie sie selbst.
Hier hat sich im Grunde genommen der Feudalismus erhalten, nach der nicht geglückten Revolution von 1848 ist das durch die Einführung der parlamentarischen Demokratie nach dem 1. Weltkrieg zwar besser geworden, aber nicht gut.
Die Praxis kommt nicht an den Anspruch des Grundgesetzes heran und viele Praktiker/-innen wollen das auch offenbar gar nicht, wegen des Status Quo, den man schätzen gelernt hat. Das ist leicht zu verstehen, nicht kompliziert. Akzeptabel ist es aber auch nicht für all jene, die genau diesen Status Quo verändern wollen, Leute wie ich.
Deswegen müsste man einen Solidaritätsbeitrag Inklusion erheben, sagen wir: 5 Euro pro Einkommensbezieher und Jahr, das ist sogar weniger als ein Glückslos der Aktion Mensch und weniger als zwei Donuts eines bekannten Herstellers derselben.
Das müsste ja wohl drin sein! Über das Geld, das so hereinkommt, wird dann Barrierefreiheit bezahlt, was das heißt, bestimmen Menschen mit Behinderung.
Aber: Wieder ein Problem: Jetzt steht der Beschluss, z. B. barrierefreier Zutritt Schule, dann kommt der Schulbau nicht – wegen etwas anderem.
Dann muss Strafe gezahlt werden, egal welcher Hintergrund, und die Strafen müssen relativ hoch veranschlagt werden, denn sonst sind es keine.
Wie hilft man den Kindern? Sie brauchen ab der beschränkten Geschäftsfähigket, also ab 7, ein eigenes Ifög, über das ganz ausdrücklich eben nicht die Eltern bestimmen, sondern das Kind selbst.
Das Ifög heißt „Inklusionsförderungsgesetz“ und jedes Kind ab dem 7. Lebensjahr bekommt, sagen wir, 1.000 Euro im Jahr, darüber bestimmt es selbst, und kann dafür kaufen, was nicht schon die Eltern für das Kind zu kaufen haben – das darf eben nicht sein, dass die Eltern dass dann ihrem Einkommen zuschlagen!
Das Kind braucht für die Verwendung nicht das Einverständnis der Eltern, diese bleiben selbstverständlich in der Erziehungsberechtigung, aber haben über diesen Betrag keine Verfügungsgewalt, es fungiert als erweiterter Taschengeldbegriff.
Zu viel verlangt? Nein, finde ich nicht, wir sind ein reiches Land, leisten uns so viel und da kann man das schon mal machen. Nicht mehrheitsfähig? Ok, dann muss man solche Wahlwerber wie Armin Laschet, Annalena Baerbock u. a. aber auch mal ganz klar als Frauen- und Kinderbenutzer bezeichnen, denn wer sich Menschen mit Behinderungen, also auch vermeintlich die „Frau als Menschenrechtlerin“ auf die Wahlkampffahne schreibt, oder das Kind als „bedrohtes Wesen“, der muss dann auch erklären können, wo das Geld herkommen soll, sonst kann er/sie es auch gleich lassen. Und es muss nicht nur erklärt werden, wo das Geld herkommt, sondern, ganz wichtig, dass es auch zum Kind kommt und nicht in die Hände der Eltern.
Menschen mit Behinderungen müssen einfach besser mit der Macht des Geldes versehen werden, um eine Chance zu haben, ihren Nachteil mindern zu können – alles andere ist ein Rohrkrepierer. Beliebter werden Frauen, Kinder, alle Menschen mit Behinderungen nur, wenn sie selbst Geld zum Anbieten haben – so ist auf der Welt, inklusiv.
Besten Dank Raul Krauthausen, für den Beitrag und das Forum. Gute Nacht.
Guten Morgen Raul Krauthausen, ich fand einen alten Tweet an Klaus Lederer wieder und finde, dass auch die Geschichte der Bauhauskünstler *innen mit dem Satz „Wir sind hier nicht zur Inspiration“ versehen werden können, denn sie werden präsentiert, auch mit politischer Haltung interpretiert, aber die Geschichte ihres Werkes, ihrer Leistung, die dann in die Hände der Nationalsozialisten gefallen sind, ist weitgehend unergründet. Das muss sich ändern. Die Bauhauskünstlerin Anni Albers begegnet mir dank des Ausstellungskataloges „Anni Albers“, hrsg. von Ann Coxon, Briony Fer und Maria Müller-Schareck, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Verlag Hirmer 2018, S. 63, und auch der Architekt Hannes Meyer. Es ging um „schalldämpfende Wandbekleidungen“, die im Zeiß Ikon AG GoerzWerk Zehlendorf, hergestellt wurden, ein Ausschnitt aus einem Geschäftsbrief des Unternehmens an Hannes Meyer belegt dies. Anni Albers habe den gewebten Entwurf beigetragen, im Ausstellungskatalog schrieb T´ AI Smith auf S. 61/62 „Albers reichte den Entwurf am Bauhaus als Diplomarbeit ein, und Philip Johnson sagte ihr später, es sei ihr „Pass für Amerika“ gewesen, der zu Johnsons Empfehlung an das Black Mountain College geführt und aufgrund dessen sie ein Visum erhalten habe. Dieser subtile Entwurf, dessen Effekt durch eine genaue Analyse und grafische Darstellung der lichtreflektierenden Eigenschaften des Materials seitens der Zeiß-Ikon AG (Abb. S. 63) bestätigt wurde, war nach Auffassung des Kurators am Museum of Modern Art, eine monumentale Leistung“
Die Wirtschaft und die Kunst wirken oft zusammen, heute wie früher, der Handel mit den Werken und der Druck, dem jüdische Künstler*innen ausgesetzt waren, das ist kaum besprochen bisher.
Politik kann das ändern, wenn sie will. Ich finde, es ist ein Muss.
Besten Dank Raul Krauthausen, einen guten Wochenstart.
Guten Tag Raul Krauthausen, wie oft lief ich schon auf der rechten Seite von der Wismarer Str. aus gesehen, des Teltowkanals Richtung Teltow, und fragte mich auch oft, was ist da hinter den Bäumen und Aufschüttungen? Ich sehe ja nicht viel, ich bin sichtbehindert. Heute traf ich, fast schon in Teltow, an der Stelle, wo es auch für Fußgänger und Radfahrer schwierig ist, mit einem Rollstuhl wagte ich mich da nicht entlang, zwei freundliche Frauen. Während wir uns aneinander vorbei schoben, dem Matsch ausweichend, kamen wir kurz ins Gespräch. Das es schwierig sei, sich fortzubewegen, aber auch nett, auf dieser Seite. Und viel Geschichte, sagte die ältere der beiden Frauen. „Welche denn“? fragte ich, denn da, an der Stelle kannte ich noch keine Geschichte. Es sei dort ein Wasserwerk, sie habe es einmal entdeckt, etwas weiter Richtung Lichterfelde liege ein Baumstamm, da rüber etwas die Böschung herauf, schon sähe ich es. Das wollte ich wissen und ich sah, hinter dem Baumstamm, vielleicht einen Meter weiter oben, eine „Parallelwelt“, wie im Märchen, Sumpflandschaft, seltsam sauber aussehende Wege, kleine Seen rechts und links, in der Ferne schimmert ein rotes Gebilde, das muss ich unbedingt sehen. Es sieht aus wie eine Bahnschiene, sie geht über eines der Gewässer und zwar, wenn ich sie mir verlängert vorstelle, da über den Teltowkanal, wo auf der anderen Seite das weiß angestrichene Gemäuer ist. Anders als bei der Brücke beim Stichkanal, sehe ich hier keine Vögel, keine Enten, ich höre keinen Vogel zwitschern, ich sehe keine bunten Blumen, es ist ganz still, das Wasser wirkt silbrig, aber es stinkt nicht. Was ist das für ein Ort? Welche Geschichte hat das Wasserwerk?
Im Geschäftsbericht der Spinnstofffabrik Zehlendorf Aktiengesellschaft aus dem Jahr 1945 ist festgehalten:
„Zur Versorgung der Berliner Bevölkerung pumpten wir aus unserer umfangreichen Brunnenanlage größere Mengen Trinkwasser ins Leitungsnetz. Auch kam eine Bandstraße wieder zum Laufen“
Seit Jahren versuche ich, die Geschichte zu verstehen, ich habe viel geteilt via Social Media, freundliche Fragen gestellt, eine Antwort bis heute nicht gefunden, aber ich werde langsam etwas klüger, zu langsam. Die Zeit drängt, es ist doch nicht gerecht, dass so ein Areal da liegt, von jemand mal geschaffen wurde, Menschen zu versorgen mit Wasser – und einfach nicht mit Bildung zum Leben erweckt werden kann. Ich weiß, es hat auch Zwangsarbeiter gegeben in der Spinnstofffabrik, darunter auch jüdische.
War dies das Gewässer, über das der damalige Vorstand der Spinnstofffabrik Zehlendorf Aktiengesellschaft, vertreten durch Dr. Werner Winkel und Albert Fest, schrieb? Als Aufsichtsrat steht Dr. Fritz Blüthgen eingetragen, davor, bis 1945 seien noch Dr. Arnold Köster, Walter Linder und Dr. Walther Schieber im Aufsichtsrat aktiv gewesen.
Wenn ich von da aus am Teltowkanal Richtung Lichterfelde laufe, und die erste Möglichkeit zur Goerzallee nutze, komme ich am anderen Ende der Anlage „Mc Nair Barracks“ heraus, die Ecke Richtung Wupperstr., der Platz des 4. Juli ist am Ende Richtung Wismarer Str.
Ich bin jetzt hier schon in 1945, aber ich möchte das von 1906 an wissen, Jahr für Jahr. Dazu wechsele ich gerne zum Tagesspiegel zu Thomas Lippolds Artikel über das Grab Kurt von Schleichers auf dem Parkfriedhof.
Besten Dank Raul Krauthausen, es ist doch hier Ost-West noch immer eine Barriere, „Berliner“ und „Brandenburger“, die Barriere kann weg, finde ich.