Zeichen statt Kreuze setzen!

Alle vier Jahre werden Versprechungen gemacht, um Stimmen geworben und riesengroße Plakate aufgestellt, damit das Kreuz auch an der richtigen Stelle landet. Alle vier Jahre werden Menschen ausgeschlossen, weil sie laut mancher Politiker keine Zeitung kaufen können und deswegen auch nicht wählen sollten. Was für ein schlimmes Signal für die Inklusion.
Na endlich ist es wieder soweit! Dreieinhalb Jahre mussten wir warten, bis wir endlich wieder von Steuergeschenken, Energiewenden, mehr oder weniger Löhnen träumen können – es ist Wahlkampfzeit! Die letzten Sitzungswochen sind vorbei, und es werden wenige bis gar keine weiteren Gesetze bis zur Wahl am 22. September verabschiedet. Dafür dürfen wir träumen, was wir mit einem kleinen Kreuz für die nächsten vier Jahre für eine Regierung haben. Doch jetzt kommt die Stimme aus den Asterix-Comics: „Alle? Nein, ein kleines Dorf …“, in unserem Fall eine Gruppe, darf nicht an der Wahl teilnehmen. Denn Menschen, die unter „Totalbetreuung“ stehen, dürfen in diesem Land nicht wählen. Auch wenn sie das 18. Lebensjahr erreicht haben, deutsche Staatsbürger sind und keine Freiheitsstrafe absitzen, werden sie in den nächsten Wochen keine Wahlbenachrichtigung bekommen. Dabei handelt es sich offiziell um circa 12.000 und inoffiziell um 200.000 Menschen, die ihrem Bürgerrecht nicht nachkommen können. Doch woran liegt es, dass diese Menschen ausgeschlossen werden? Der CDU-Innenpolitiker Günter Krings bringt es wohl am besten auf den Punkt, was viele seiner konservativen Parteikollegen denken: „Es ist nicht plausibel, warum ein Mensch, der nicht mal selbstständig eine Zeitung kaufen kann, eine Wahlentscheidung treffen soll.“

Exklusives Wahlrecht

Für mich ist es nicht plausibel, warum jemand, der angeblich eine Zeitung kaufen kann bzw. dieser ein Interview geben darf und ein Repräsentant der deutschen Demokratie ist, so eine Aussage treffen kann. Aber sie entlarvt wohl Gedanken, die einige konservative Menschen haben: Das Wahlrecht ist nur einer besonderen Masse von Menschen vorbehalten, und wir wollen das auch nicht ändern. Denn schließlich ist es ja auch nicht so, dass jeder, der wählt, eine Zeitung vorher gekauft, geschweige denn gelesen hat.
Immerhin ist es eine Masse, die in Florida auch schon mal einen Präsidenten stellen könnte, und auch wenn es nur zehn Menschen wären, ist diese Ausgrenzung nicht nachvollziehbar. Es soll eine Behindertenrechtskonvention umgesetzt werden, aber mit solchen Aussagen und der mangelnden Bereitschaft zu einer Veränderung des Wahlrechts wird ein politisches Signal gegen die Inklusion gesetzt.
Und dabei ist die Diskussion nicht neu: Schon 2009 wurde über eine Novellierung des Wahlrechts für mehr als 9 Millionen Menschen diskutiert, aber passiert ist wenig. Auch 2011 forderte das Deutsche Institut für Menschenrechte eine Anpassung bis zur Bundestagswahl 2013.

Warum dürfen bestimmte Menschen nicht wählen?

Doch warum ist das so schwierig? Warum dürfen Menschen, die unter „Totalbetreuung“ (gibt es das Wort eigentlich wirklich?) stehen, nicht wählen? Einige Gegensprecher glauben daran, dass das Wahlrecht missbraucht werden könnte oder es nur eine kleine Gruppe betrifft und laut Krings auch nur eine „Scheindiskussion“ ist, die viel zu sehr aufgebläht werde. Aber irgendwie widerspricht es sich doch alles: Entweder ist es nur eine kleine Gruppe, die betroffen ist, aber was würde dann der Wahlmissbrauch für ein Problem sein? Und was genau ist eine „Scheindiskussion“, wenn es um die Grundsätze einer Demokratie und die Mitbestimmung geht?
Mir fehlen die Argumente gegen eine Änderung des Wahlrechts, denn was wäre der größte anzunehmende Unfall, der passieren könnte? Vielleicht dass Krings und Co in der Zeitung lesen müssten, dass sie nicht wiedergewählt wurden?
Es ist schon ein Kreuz mit dem Wahlkreuz.
Dieser Text entstand für das Inklusions-Blog der Aktion Mensch.



4 Antworten zu “Zeichen statt Kreuze setzen!”

  1. Welche Menschen fallen den in diese Gruppe der Menschen die unter “Totalbetreuung” stehen? So weit ich es kenne gibt es normalerweise keine “Totalbetreuung”, es werden normalerweise von Richter eine Betreuung nur in bestimmten Feldern eingerichtet, wie Aufenthaltsrecht oder Gesundheitsangelegenheiten oder Vertretung gegenüber Geschäftspartnern und Behörden usw., die Liste ist sehr Abgestuft und wird normalerweise auf den Einzelfall zugeschnitten. Menschen mit Altersdemenz und Alzheimer werden mittlerweile ohne Probleme unter Betreuung gestellt und das zurecht. Die sind ab einen bestimmten Grad ihres Zustandes wirklich nicht mehr fähig Entscheidung irgendeiner Art zu machen. Dass die Richter das mittlerweile machen ist ein Fortschritt, den meistens sind sie mit Betreuungsfällen total überfordert, sie sind schlicht für so etwas nicht ausgebildet, haben kurz gesagt keine Ahnung davon. Und bis dahin galt, je nach Bundesland verschieden stark ausgelegt, nur wer sich oder andere gefährdet oder nicht mehr fähig ist Entscheidungen zu treffen wird unter Betreuung gestellt. Und das mit „nicht mehr fähig ist Entscheidungen“ zu treffen muss eher wörtlich verstanden werden. Wenn der Mensch halbwegs verständlich antworten kann auf Fragen des Richters dann kann er auch Entscheidungen treffen, so die meisten Richter.
    Wer ist den also, neben den fortgeschrittenen Demenz und Alzheimer Betroffenen, also in der Gruppe der unter “Totalbetreuung” stehenden enthalten? Ohne Beantwortung dieser Frage kann ich diesen Artikel nicht einordnen.
    Dass die Betreuer (meist irgendwelche Unternehmen die aber als Vereine firmieren) der Menschen mit den fortgeschrittenen Demenz oder Alzheimer oder vergleichbaren Fällen angeblich „für“ sie stimmen, also im Grunde Stimmtöpfe werden, da bin ich strikt gegen. Wenn aber einen psychisch Kranken das Stimmrecht, unabhängig von der Krankheit die er hat, entzogen wird, das ist eine andere Sache und da regt man sich zurecht auf.

  2. Drei Buchstaben: BGH!
    Und wenn Ich Worte wie die von Herrn Krings höre frage Ich mich in welch einem Land Ich eigentlich lebe…….
    Grüße aus Kaiserslautern
    Philipp

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