Die Werbung hat Menschen mit Downsyndrom entdeckt. Nicht nur, dass Model Jamie Brewer dieses Jahr für die New York Fashion Week lief, auch Firmen spielen Spots mit Menschen dieser Behinderung. Jetzt hat Coca Cola für ihr Produkt “Lift Apfelschorle” gleich zwei Spots mit Menschen mit Downsyndrom produziert. Ich hab mal geschaut, was da für ein Bild vermittelt wird.
Im Neueren Spot namens “Wünsche” der Kooperation von Lift mit den Special Olympics Deutschland sehe ich Menschen mit und ohne Downsyndrom zusammen joggen:
Die Mitglieder der “Lift Unified Laufgruppen” verbreiten die Botschaft: Sport-Training gemeinsam macht Spaß und jeder hat ein Recht auf Sport. Ein moderner Schritt in Richtung inklusive Freizeitgestaltung, denke ich. Auch die Bildsprache ist modern und erinnert an die Naturaufnahmen zahlreicher Indiemusik-Videos. Aber vor allem kommen die Läuferinnen und Läufer selbst zu Wort, und es geht um Sport, nicht um ihre Behinderung. Doch dann höre ich mir nochmal genau an, was sie da eigentlich sagen. “Ob ich gerne stärker wäre? Schneller? Oder besser?” – “Natürlich!” Im Abspann dann der Spruch “Wir bewundern alle, die für ihre Träume trainieren. Lift ist stolzer Partner von Special Olympics Deutschland.“ Sage mir: “Ja, sie müssen sichtbarer werden.” Frage mich aber auch: “Warum muss man behinderte Menschen eigentlich immer bewundern?”
Ich klicke auf den zweiten Spot “Performance”:
Etwas ähnlich, spielt auch in der Natur und Menschen mit und ohne Downsyndrom sind dort zusammen. Nur dieses Mal wird auf einer Bühne getanzt, und es sind Kinder und Jugendliche. Die Musik ist ein Ohrwurm, die Choreographie ist schnell und auch die Kleidung ist fast schon Hipster. Erinnert mich vom Coolness-Faktor an die Band Pertti Kurikan Nimipäivät beim Eurovision Song Contest, die vor allem Punker sind.
Plötzlich wird mir klar, dass wir noch viel mehr solcher Werbespots brauchen, die zeigen, dass Menschen mit und ohne Downsyndrom (und anderen Behinderungen!) zusammen Spaß haben. Und die zeigen was Menschen mit Downsyndrom alles können, solange sie noch von der Gesellschaft unterschätzt werden. Letztes Jahr gab es zwei virale Kampagnen-Videos zum Weltdownsyndromtag, die ähnliches vermittelt haben: Ein geremixter Spot zu “Happy” von Pharrel Williams und die internationale Kampagne “Dear Future Mom”. So ist dann auch der Claim “Lust auf Leben” im zweiten Apfelschorle-Spot richtig und wichtig, wenn man bedenkt, dass in Deutschland momentan 90 Prozent der Kinder mit Downsyndrom abgetrieben werden.
Es wäre schön, wenn andere Unternehmen es den Vorreitern nachmachen. Und noch mehr Menschen mit anderen Behinderungen entdecken, etwa auch blinde Menschen – wie Cola jetzt Dosen mit Brailleschrift versah – oder gehörlose Menschen wie Footballer Coleman bei Duracell. Auch Apple lässt sich schon lange für seine barrierefreien Produkte feiern. Besonders cool: nicht mehr “inklusiv” oder “Welt-Downsyndrom-Tag” drauf schreiben, sondern einfach über Freundschaft reden, wie bei Guinness. Was all diese Firmen erkannt haben: Es geht darum die Zielgruppe ihrer Produkte um Menschen mit Behinderung zu erweitern – jeder 8. in Deutschland – und dass inklusives Leben auch Lifestyle heißt, und nicht nur schwierige Inklusionsdebatten der Feuilletons. Wär doch mal was, wenn die Politik von der Werbung lernt, dass die Gesellschaft schon viel weiter ist – “Something in the air…everybody feels it”.
2 Antworten zu “Lust auf Leben!”
[…] Der Artikel erschien erstmalig auf dem Blog von Raúl Krauthausen. […]
[…] werden Menschen mit Behinderung hier als “Hingucker” instrumentalisiert? In meinem Artikel “Lust auf Leben” habe ich mir Gedanken dazu […]