Heute soll es um ein Thema gehen, was uns in gewisser Weise alle immer und immer wieder betrifft – Erwachsenwerden.
September 2015: Oh mein Gott, heute war es soweit: Heute war der große Tag gekommen, an dem ich ins Berufsbildungswerk nach Potsdam „umziehen“ würde. Weit weg von der Familie, denn ich komme ursprünglich aus der Lutherstadt Eisleben, und mit ganz neuen Herausforderungen wie Pflegedienst und Internatsleben. Das Internatsleben stellte sich nach ein paar Wochen Eingewöhnungszeit und einigen anfänglichen Schwierigkeiten, die wir aber gut lösen konnten, als die beste Entscheidung meines Lebens heraus. Ich lernte, alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, mit Freunden shoppen zu gehen, nach Berlin „rüberzumachen“ und mit tollen Menschen ausgelassen zu feiern. Außerdem lernte ich, was echte Freundschaft, Selbstbestimmung und Selbstwert bedeutete, war ich doch durch unzählige Höhen und Tiefen gegangen.
Der Pflegedienst hingegen war, bis auf wenige Ausnahmen, eine echte Katastrophe! Das lag nicht Mal unbedingt an den Mitarbeitern selbst – sondern eher am System. Sonderlich viel Selbstbestimmung oder ein großes Interesse waren hier einfach nicht vorgesehen. Sehr oft habe ich mit diesem Pflegedienst „angelegt“, doch nicht bösartig, ich wollte nur ganz normale Dinge. Selbstbestimmung eben!
Dezember 2019: Wie schnell war nur die Zeit vergangen? Nun war ich schon beinahe vier Jahre im Berufsbildungswerk in Potsdam und hatte so gute und so schlechte Dinge zugleich erlebt – nur wer diese Story live miterlebt hatte, konnte da auch wirklich mitreden. Hier waren Freundschaften fürs Leben entstanden und wir waren, ob wir es wollten oder nicht, erwachsen geworden.
Besonders schwer gestaltete sich hier die Suche nach einem Team aus persönlichen Assistenten. In Potsdam gab es zwar auch Assistenzdienstleister, diese steckten jedoch noch sehr in der Anfangsphase und waren so leider sehr unzuverlässig. Letztendlich entschied ich mich für den Berliner Verein ambulante Dienste e.V., da viele meiner Freunde ihre persönlichen Assistenten auch von dort bezogen. Der Verein machte bei mir allerdings eine Ausnahme, da ich in Potsdam (Land Brandenburg) lebte und der Verein eigentlich nur für Berlin zuständig war. Um mir meine Flexibilität zu erhalten, wählte ich das Splitting-Modell. Das bedeutete, dass ich die Vorteile des Persönlichen Budgets nutzte, würde mir aber Mal ein Assistent / eine Assistentin ausfallen, könnte ich bei AD um „Ersatz“ bitten. Das gab mir die nötige Sicherheit.
Das Sozialamt Mansfeld-Südharz, was sich für mich zuständig fühlte, weil ich da nun einmal geboren war, hatte leider nicht viel Ahnung vom Persönlichen Budget. Also war kämpfen angesagt.
In den nächsten Monaten erwartete mich also nun doch jede Menge Papierkram: Stellenanzeigen schalten, Vorstellungsgespräche führen, Einarbeitungen, Arbeitsverträge schließen, Lohnbüro, Finanzamt, Dienstpläne schreiben und Widersprüche beim Sozialamt waren an der Tagesordnung.
Nun haben wir Ende Mai und Anfang Juni soll mein „neues Leben“ mit Assistenz beginnen. Ich bin unendlich aufgeregt und stelle mir Fragen wie: Werde ich auch genug Privatsphäre haben? Aber vor allem hoffe ich, dass sich all meine Mühen gelohnt haben. Für mich ist das nochmal eine ganz neue Form des Erwachsenwerdens…