Das werde ich öfters gefragt. Und ich finde: Ja, das können sie. Eine kleine Handlungsempfehlung.
Gemeinsam sind wir stark, heißt es in einem Kinderlied.
Dass die Welt für Menschen mit Behinderung ein besserer Ort wird, ist ein Grundanliegen in meinem Leben, da braucht man jede Stimme. Immerhin lebe ich mit dem Aufdruck „Aktivist“. Nun sind Menschen mit Behinderung zwar massenhaft vorhanden, in jedem Dorf finden Sie die. Aber nicht immer sind sie organisiert in Verbänden, Vereinen oder Bewegungen. Also: Richtig gemeinsam handeln heißt, dass Menschen mit Behinderung nicht allein die Welt zu einem besseren Ort zu machen versuchen, sondern Hand in Hand mit jenen ohne Behinderung; letztere sind auch in der Mehrheit, die hab ich lieber auf meiner Seite, ich meine: alle!
Auf diesem Weg höre ich zuweilen die Frage:
„Kann ich als Nicht-Behinderter mich für die Rechte behinderter Menschen einsetzen?“
Meine kurze Antwort: Ja!
Es ist auch ganz einfach, zumindest sollte es sein. Und damit es einfacher wird und wir Hand in Hand die Rechte von Menschen mit Behinderung verwirklichen können, gibt es hier ein paar Tipps. Danke an Margarete Stokowski für die Inspiration!
- Wenn du über Behinderungen sprichst, denke daran: Wer selbst eine hat, ist ein_e qualifizierter Gesprächspartner_in. Shut up and listen! Es lohnt sich, zuzuhören. Echte Aktivist_innen sehen sich zuerst in der Rolle des Zuhörens und nicht in der des allwissenden Erklärens.
- Nutze die Aufmerksamkeit, die du bekommst, nicht, um dich selber in den Mittelpunkt zu stellen, sondern titt sie ab, um den Stimmen der Menschen mit Behinderung Gehör zu verschaffen.
- Kriegst du ein komisches Gefühl, wenn über Belange von Menschen mit Behinderung gesprochen wird, während keiner von ihnen dabei ist – obwohl einer dabei sein könnte? Dann folge diesem Gefühl, denn du liegst richtig.
- Schau in den Raum: Fast alles ist gestaltet für Menschen ohne Behinderung. Nur, um sich das klar zu machen.
- Wo Menschen mit Behinderung selbst für ihre Belange sprechen wollen, ermögliche es ihnen.
- Eine Akzeptanz von Menschen mit Behinderung, wie sie sind und mit allen Rechten, erfordert ein Statement von dir. Und das endet nicht damit loszuspringen, wenn ein Rollstuhlfahrer einen Hügel herab geschubst wird.
- Überprüfe deine eigenen Worte über Menschen mit Behinderung: Stell dir vor, du sprichst über dich selbst. Störst du dich an etwas – gehe dem nach, denn so fühlen womöglich auch andere.
- Hörst du Witze auf Kosten von Menschen mit Behinderung, lache bitte nicht nur nicht mit, sondern widersprich. Mein Standardspruch, der gut funktioniert: Es gibt bessere Witze, über die ich nicht gelacht habe.
- Wenn du denkst, Menschen mit Behinderung kriegen nichts Großes auf die Reihe, erinnere dich an Franklin D. Roosevelt, Frida Kahlo, Michael J. Fox und Andrea Bocelli. Stephen Hawking darfst du auch gern erwähnen.
- Sieh in Menschen mit Behinderung typische Vertreter_innen der Spezies Mensch. Mit ähnlichen Wünschen, Zweifeln, Talenten, Ängsten und Böswilligkeiten. Sieh in ihnen nicht automatisch einen alten Weisen vom Berg, nur weil sie anders erscheinen. Jedi-Ritter sind sie übrigens ebenfalls nicht. Und nein: auch keine Inspiration.
- Lies Bücher von Menschen mit Behinderung, nicht über sie. Lies und schaue ihre Interviews und Auftritte und höre ihre Podcasts. Und fordere, dass Filmrollen mit Behinderung von behinderten Schauspielern besetzt werden.
- Frage dich, wie viele Menschen mit Behinderung du in deiner Kindheit zu deinen Freund_innen zähltest, wie viele du kanntest. Und wie das heute ist.
- Verkneife dir ein „Nun reiß dich doch mal zusammen“, ein „Reg’ dich nicht gleich auf“ und erst recht ein „So war das sicher nicht gemeint“.
- Fasse Menschen mit Behinderung nur an, wenn du dir vorstellen kannst selbst so angefasst zu werden. Das gilt auch für Rollstühle. Fragen geht natürlich auch.
- Frage dich, warum an deinem Arbeitsplatz nicht auch Menschen mit Behinderung beschäftigt sind.
- Es ist ok, wenn der Mensch nicht auf Anhieb alles weiß und richtig macht. Es tut gut, sich selbst einzugestehen, dass wir von einigen Dingen (noch) keine Ahnung haben. Auskunft kann ja eingeholt werden, zum Beispiel von anderen Subjekten.
- Siehe Menschen mit Behinderung nicht als Vertreter_innen einer Gruppe. Eine Partei haben sie auch nicht. Gestehe ihnen zu, links oder rechts eingestellt zu sein.
- Beschönige nicht die Behinderungen von Menschen, das bringt nichts. Genaue Sprache dagegen hilft uns allen weiter. Menschen mit Behinderung brauchen auch kaum deinen Schutz, aber mehr deine Solidarität und eine Begegnung auf Augenhöhe. Eine Behinderung kann hart sein, tragisch aber ist sie nicht. Die Umstände können tragisch sein, aber das wollen wir ja ändern.
- Dabei können die Worte der afro-amerikanischen Aktivistin Pat Parker hilfreich sein, denn was sie weißen Menschen rät, kann man auch Menschen ohne Behinderung im übertragenen Sinn raten: “For the white person who wants to know how to be my friend: The first thing you do is to forget that I’m black. Second, you must never forget that I’m black.“
- Dir ist Privatsphäre wichtig? Anderen auch. Frag bei der ersten Begegnung nicht gleich in den ersten fünf Minuten, welche Behinderung dein Gegenüber hat. Man fragt dich ja auch nicht sofort nach deiner Sexualität oder anderen biografischen Hintergründen.
- Denke nicht, Menschen mit Behinderung seien besonders geeignet deine persönlichen Geschichten zu hören. Erzwinge keine Intimität.
- Erkenne Barrierefreiheit nicht als ein persönliches Thema mancher Leute, sondern auch als deines, als unseres.
- Sei bereit, für dein Engagement nicht nur Beifall zu kriegen, sondern öffne dich für Kritik, auch für Zorn. Es geht nicht um Pluspunkte für den Himmel, sondern um – eine bessere Welt.
7 Antworten zu “Können Nichtbehinderte sich für behinderte Menschen engagieren?”
Danke für diesen Beitrag, daran kann ich mich in Zukunft ungefähr orientieren in der Begegnung mit Menschen, die ein Handicap haben. Mein handicap ist eine Sprachstörung seit Geburt an durch eine Lähmung des Zäpfchens, das ist zwar nicht so schlimm, aber es hat auch schon zu bevormundenden Begegnungen geführt.
Wow! Obwohl ich schon seit 15 Jahren für Menschen mit Behinderungen arbeite und viele der Ratschläge für mich mittlerweile selbstverständlich sind, sind diese 23 Punkte in ihrer Gesamtschau ein „Wecker“ für mich. Wachrütteln sollte wohl immer mal wieder passieren, denn so manches schläft wohl doch schneller ein, als mensch es selbst mitbekommt…
Also: Danke dafür!
Vielen Dank Raul,
ich finde Leitfäden immer gut, um darüber zu diskutieren, selten, um sie einzuhalten, ich fühle mich da immer schon so etwas mit erhobenem Zeigefinger „gegängelt“ – aber zum Diskutieren ist so ein Leitfaden immer klasse, deshalb: Herzlichen Dank.
Nie habe ich es für relevant erachtet, mich auf Menschen, die ich treffe, insbesondere vorzubereiten, egal ob diese behindert waren, wo sie herkamen, ob sie alt oder jung waren.
Warum soll ich das machen? Ich habe keine Angst davor, Menschen als dummer Mensch zu begegnen, ich habe aber den Anspruch, ihnen als freundlicher und neugieriger Mensch zu begegnen.
Das reicht doch auch!
Du schriebst mal, es wäre eine Frage der „Haltung“ – dem stimmte ich seinerzeit zu – es ist eine Frage der Haltung.
Es kommt dann sicherlich auch vor, dass ich Fehler mache, mir haben im Leben häufiger freundliche Leute (die unfreundlichen Leute verraten mir meine Fehler nicht) gesagt, ich hätte sie völlig falsch verstanden oder geglaubt, wir wären einig gewesen, wo sie es mit mir nicht waren.
Auch das ist wichtige und richtige Kommunikation, ich muss mich im Zwischenmenschlichen nicht wie eine „Ritterin“ eine „Leitfadenrüstung“ anlegen, bevor ich mich in die Menschheit begebe.
Ich mache das immer ganz direkt, nach meiner Facon und gucke, was zurück kommt. Meine Direktheit ist im Laufe der Jahre stärker geworden, die Zahl der Freunde wurde kleiner, auch gut.
Was ich generell wichtig finde ist, sich klar zu machen, dass jeden von uns im Leben eine Behinderung ereilen kann und das viele von uns gar nicht wissen, dass sie vielleicht eine Behinderung hätten, wenn sie diagnostiziert würden. Ich wurde diagnostiziert, weil ich schlapp machte, nicht mehr konnte im Arbeitsleben. Hätte ich mich irgendwie hoch gerappelt und wäre nicht über die Grenze des „so lange darf man nicht ohne Amtsarzt krank geschrieben sein“ hinaus schlapp gewesen, wäre es zu keiner Diagnose gekommen und ich wüsste bis heute von nichts.
Ich ziehe deshalb die Linie zwischen Behinderung und Nichtbehinderung im Alltag gar nicht, aus welchem Grund sollte ich?
Die Linie ziehe ich zwischen Arbeitsleben und Nichtarbeitsleben, es viel Geld weg, das behindert dann schon. Mein Grad ist 40%, ich kann das nicht fachlich beurteilen, denke aber, das könnte ok sein, ich kann meine Fahrkarten wirklich selbst kaufen, aber ich mache schneller schlapp als früher und mit direkter geworden, viel direkter.
Ich, als Partnerin eines Rollifahrers und mit vielen Bekannten mit Behinderung, muß mich hier voll und ganz der Vorrednerin Gabriele anschließen!
Es ist eine große Verlockung, für „die Nichtbehinderten“ einen ganzen Kataster an Verhaltenstipps, ja, Maßregeln aufzustellen, wie man auf behinderte Mitmenschen zugehen / mit ihnen umgehen sollte.
Aber:
Erstens wird sich das so kaum jemand merken können / wollen.
Zweitens erschwert es die Direktheit und Spontaneität im Aufeinanderzu! Eben gerade für diejenigen, die nur selten mal auf Behinderte treffen.
Wie Gabriele schon erwähnt: Die GRUNDHALTUNG ist hier einfach das Wesentliche!
Und DIESE zu vermitteln, wäre die Aufgabe hier und heute – und damit würden sich auch viele Fragen und (teils vermeintliche) Probleme rund um Inklusion und Barrierefreiheit lösen (lassen)!
Eher könnten diese Punkte, die doch sehr mit dem erhobenen Zeigefinger winken, mittels nachdenklich machender und auch lustiger Beispielen aus dem (all)täglichen Miteinander dargestellt werden, etwa unter dem Titel: „Welches ist meine Grundhaltung zu Mitmenschen, denen ich begegne? Und gilt zu Menschen mit Behinderung überhaupt eine andere?“
Alles Weitere ergibt sich doch tatsächlich aus der (durch diese Grundhaltung bedingten) Offenheit zum Gegenüber, dem man begegnet, und aus dem Bewußtsein, daß dieser auch im Rollstuhl, mit Blindenstock oder mit Sprecheinschränkung etc pp eins zu eins Teil dieser mitmenschlichen Gesellschaft ist, die grundsätzlich zu respektieren und zu beachten ist. Punkt.
Im Umgang miteinander ist niemand immer perfekt und gleich optimal. Ob mit oder ohne Behinderung. Und doch gestalten sich Begegnungen miteinander und kommen Menschen überein, auch einiger Barrieren zum Trotz. Man denke nur einmal an die Situationen, wo man, kaum der Fremdsprache mächtig, versucht, zurechtzukommen. Und wenn auch mit Händen, Füßen und Google-Translator – man schafft es doch! Selbst ohne lange Regelliste.
Und nicht zuletzt: Allermeistens sind auch Menschen mit Behinderung in der Lage, hier korrektiv einzugreifen, wenn sich der nichtbehinderte Mitmensch allzu verfehlt ihm gegenüber verhalten sollte… Solche konkreten Erfahrungen werden sich diesem weitaus besser einprägen als auswendig gelernte Verhaltensregeln… 🙂
Ich möchte angesichts der Debatten um wissenschaftliche Arbeiten und wie man diese anfertigt, noch einen Kommentar zufügen, denn es nervt mich eben nur, wenn Leitfäden ohne Ziel erarbeitet werden.
Am Beispiel einer wissenschaftlichen Arbeit kann ich es besser zeigen, denn da ist klar, worum es sachlich geht: Ein Mensch will eine Arbeit schreiben, der andere wird sie bewerten – da macht es Sinn, den Leitfaden gemeinsam zu erarbeiten anhand der einzuhaltenden Spielregeln. Der Schreiber der Arbeit kann sich so wie er ist in die Ausarbeitung einbringen mit dem was er glaubt, wie er schreiben darf und will und der Bewerter auch – heraus käme dann ein Leitfaden, der zum Einen die Spielregeln einhält, denn das ist klar, das muss sein, aber zum Anderen auch ein abgestimmtes und verstandenes „Abkommen“ darstellt, was dann beide auch einhalten können und wollen.
Leider wird sowas zu selten gemacht, keine Zeit, „das müssen Sie doch wissen, wie sowas geht“ und hinterher brechen Streitereien aus, es kommt zu persönlichen Verletzungen – das muss doch gar nicht sein.
Also, Leitfäden sind immer gut, wenn etwas gemeinsam entstehen soll und man sich auf Spielregeln gegenseitig verständigen will, auch was die Schritte der Fertigstellung angeht.
Jetzt bin ich versöhnt mit dem Leitfadengedanken, irgendwas fehlte – jetzt habe ich es!
Danke Raul für das sehr schöne und vor allem streitfreie Forum.
Einen schönen Sonntag noch, ich freue mich auf die dienstäglichen Handgepflückten!
Ich habe nun, weil ich meinte, es passe dorthin, diesen Beitrag in einen Tagesspiegel Artikel zum Thema Richtiges Zitieren, wegen der Leitfadenidee verlinkt.
Das kann man nachvollziehbar finden oder nicht, man kann es verwirrend finden, gut oder doof, wie auch immer. Das ist alles ok.
Nicht ok ist, wenn dann unterstellt wird, man würde ja nur den Link herstellen, um sich als „Friedenstaube“ zu gerieren, die im übrigen
sog. „Behinderte“ wäre.
Inklusion bleibt eine schwierige Herausforderung und sie wird in Zeiten zunehmender Verrohung die Leitfäden entweder befehlen oder in der Luft zerreißen.
Da liegt das Problem, wie bringt man Menschen dazu, gemeinsam etwas zu vereinbaren, ohne sich mit Vorwürfen zu überziehen, ich habe das vor Jahren, als ich noch etwas anders war, nicht für möglich gehalten, welcher Druck da gemacht wird, wenn mal als behinderter Mensch nicht mehr und nicht weniger möchte, als das ganz Selbstverständliche, das da wäre: Dabeisein und Mitmachen unter Voraussetzungen der Gleichheit als Bürger.
Das kam heute wohl ganz schön heftig.
Na ja. Ich mache da trotzdem weiter und überlasse denen die „Bühne“ nicht, gut ist es das es Foren gibt wie dieses – aber auf die anderen Foren werde ich nicht verzichten, auch nicht auf die Gefahr hin, keine „Friedenstaube“ zu sein.
Gute Nacht und besten Dank für den Forenplatz hier.
[…] habe vor Kurzem ein Zitat von Raul Krauthausen gelesen: „Frage dich, wie viele Menschen mit Behinderung du in deiner Kindheit zu deinen […]