Offener Brief an Dilek Kalayci, Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, zur Impf-Priorisierung von Menschen mit Behinderungen in Berlin

Sehr geehrte Frau Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Dilek Kalayci (SPD),
sehr geehrter Herr Staatssekretär Martin Matz (SPD),

zunächst einmal hoffen wir, dass Sie persönlich gut durch diese pandemische Zeit kommen.

Wir schreiben Ihnen heute, weil wir mit großer Sorge die Situation von Menschen mit Behinderungen in Berlin beobachten – insbesondere derer, die mit Persönlicher Assistenz/ambulanter Pflege in der eigenen Häuslichkeit leben oder deren Pflege durch Angehörige übernommen wird. Wir fordern von Ihnen eine zügige Umsetzung der von der STIKO empfohlenen Einzelfallentscheidung bzgl. der Impf-Priorisierung im Land Berlin.

Viele behinderte Menschen leben seit März letzten Jahres, also seit 10 Monaten, weitestgehend isoliert. Was derzeit viele nicht behinderte Menschen als sehr belastend wahrnehmen, ist für viele Menschen mit Behinderungen seit fast einem Jahr Realität. Sie sind überwiegend zu Hause und sehen keine Menschen mehr persönlich. Jeder Mensch ist eine potentielle Gefahr. Doch gerade Menschen, die auf Assistenz und Pflege angewiesen sind, kommen um diese Situation nicht herum und haben zwangsläufig engen Kontakt zu wechselnden Pflegepersonen. Auf Pflege angewiesene Personen leben somit in ständiger Angst sich zu infizieren. Deshalb war für viele die Zulassung des Impfstoffes ein Lichtblick. Doch dass sie bei der Priorisierung nicht berücksichtigt werden, ist für viele bitter. Wie so oft bei der Pandemie wurden diese Personen vergessen. Denn viele Diagnosen finden sich aufgrund der Seltenheit und der dadurch fehlenden Daten nicht in den Empfehlungen der STIKO.  

Es hat uns erfreut, dass Sie in einem Schreiben bereits mit den Vorbereitungen beginnen und Beschäftigte ambulanter Pflegedienste impfen. Doch vergessen Sie hierbei bitte nicht die pflegenden Angehörigen und Angestellte im Arbeitgeber*innen-Modell! Diese müssen, so wie es in Berlin in anderen Bereichen vorbildlich bereits passiert, gleichgestellt werden. Auch wenn wir in der Vergangenheit nicht immer mit allen Dingen einverstanden waren und uns vieles nicht schnell genug geht oder weitreichend ist, so ist uns doch bewusst, dass Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern zu den Progressiven bei der Umsetzung der Inklusion gehört. In Berlin ist es im Vergleich zu anderen Bundesländer nicht ungewöhnlich, dass behinderte Menschen selbstbestimmt mit Assistenz leben. Lassen Sie uns also auch beim Thema Impfung progressiv handeln und kommen Sie den „Fragen zur Impfstrategie“ des AK Barrierefreies Gesundheitswesen des Landesbeirats für Menschen mit Behinderung vom 11.01.2021 nach! Brandenburg und Bremen haben solche Clearing-Stellen bereits eingerichtet.

Wir unterstützen dies ausdrücklich. Setzen Sie die Empfehlungen der von der STIKO empfohlenen Einzelfallentscheidung bzgl. der Impf-Priorisierung auch in Berlin zügig um! Hierfür bedarf es insbesondere eine Anlaufstelle für Betroffene und klare Kommunikation der Nachweis-Möglichkeiten.

Mit freundlichen Grüßen,

  • Raul Krauthausen, Sozialhelden e. V.
  • Anne Gersdorff, Sozialhelden e. V.
  • Jenny Bießmann, aktiv und selbstbestimmt e. V.
  • Birgit Stenger, ASL e.V.
  • Laura Mench, Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke Landesverband Berlin
  • Karen Hensel
  • Marie Gronwald, freie Journalistin und Honorardozentin für Inklusion
  • Alexander Ahrens und Wiebke Schär, Geschäftsführung der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. – ISL
  • Hanna-Maria Kindlein, aktiv und selbstbestimmt e.V.
  • Hans Werner Fuhlroth, Helga Herzog und Felix Heilmann – Vorstand des Bezirksbeirates von und für Menschen mit Behinderungen Lichtenberg
  • Jasper Dombrowski, Handicap Lexikon
  • Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. und  stellv. Vorsitzende des Landesbeirats für Menschen mit Behinderung Berlin
  • Rebecca Maskos, Doktorandin Disability Studies und freie Journalistin
  • Jochen Hoffert, Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin und Ausschussvorsitzender Gleichstellung & Inklusion  
  • Daniela Kaup, Beauftragte für Menschen mit Behinderung in Lichtenberg 
  • Annika Möller, Mitarbeiterin der Beauftragten für Menschen mit Behinderung und der Geschäftsstelle der Beauftragten in Lichtenberg 
  • Dr. Sven Drebes
  • Ulrich Hundt, Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e.V. – BZSL e.V.
  • Dr. Klaus Mück, Netzwerk für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz NITSA e.V.
  • Martin Seidler, Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim Assistenzdienst ambulante dienste e. V.
  • Dr. Filippo Smerilli, SPRECHRAUM. Beratung bei Stottern und anderen Behinderungen
  • Alexander Koch, Vorsitzender des Behindertenbeirats Berlin-Mitte
  • Ferdinand Handrick, Assistent im Arbeitgebermodell
  • Richard Bauer, Assistenznehmer und Vereinsmitglied bei ambulante dienste e.V.
  • Lars Hemme, PEER Counselor (ISL)
  • Valeska Herget, Assistenznehmer im Arbeitgebermodell
  • Ewgeni Cherbanski, Lehrer, ehemaliger Assistent bei ambulante Dienste e.V.
  • Doris Kelm, Geschäftsführerin, Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e.V. – BZSL e.V.
  • Christian Grune, Assistenznehmer im Arbeitgebermodell
  • Dominik Peter, Vorsitzender Berliner Behindertenverband e.V.
  • Katharina Holl, Netzwerk behinderter Frauen Berlin e.V.  
  • Godrie-lanoê Antoine, Assistent im Arbeitgebermodell
  • Dagmar Schnürer, Rechtsanwältin
  • Jürgen Dietrich, 100 % schwerbehindert: Team Dietrich, Assistenz durch 8 Mitarbeiter inklusive betroffene Person die gepflegt werden muss
  • Nike Rasche, Persönliche Assistenz bei einem Pflegedienst und Assistentin im Arbeitgebermodell
  • Christin Binde, Persönliche Assistentin im Arbeitgebermodell 
  • Dr.med.Liselotte Schöffler, Mutter einer schwerbehinderten Tochter, welche durch Assistenz betreut wird.
  • Christine Schirmer, Vorstand von Eltern beraten Eltern von Kindern mit und ohne Behinderung e.V. 
  • Christina Hoffmann, schwerbehindert und mit Pflegegrad selbstständig lebend
  • Arne Zank, Pflegeperson
  • Petra Stephan, schwerbehinderte Assistenznehmer*in, (BZSL e.V., Netzwerk behinderter Frauen)
  • Hiltrud Walter, Mitglied Beirat für behinderte Menschen Berlin-Mitte
  • Antje Claaßen-Fischer, Assistenznehmer im Arbeitgebermodell
  • Rüdiger Fischer, Ehemann einer Assistenznehmerin und pflegender Angehöriger
  • Natascha Tadic, Persönliche Assistenz im Arbeitgebermodell
  • Robert Bartsch: Assistenznehmervertreter und Assistenznehmer bei Ambulante Dienste e.V.
  • Alexander Smith, Assistenznehmer bei Ambulante Dienste e.V.
  • E. Graßhoff, Assistenznehmerin bei Ambulante Dienste e.V.
  • Katrin Behr, Persönliche Assistentin im Arbeitgebermodell
  • Ute Bauer, Mutter von Richard Bauer (Assistenznehmer bei Ambulante Dienste e. V.)
  • Wilhelm und Helga Lischke, Großeltern von Richard Bauer
  • Professor Dr. Karl Wegscheider, Post-Polio, berufstätiger Assistenznehmer
  • Dr. Sigrid Arnade, Vorstand NETZWERK ARTIKEL 3 e.V., Sprecherin der LIGA Selbstvertretung, Assistenznehmerin
  • George Smith, Vater von Alexander Smith
  • Linda Mannheim, Schriftstellerin und Verwandte von Alexander Smith
  • Kathleen Schmidt, Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland e.V.
  • Gerd Thiele, Berliner Behindertenverband und Pflegender Angehöriger
  • Karl-Heinz Bauer, Vater von Richard Bauer
  • Carola Pohlen
  • Tim Schirmer, Assistent bei ambulante dienste e.V. im Einsatz Richard Bauer
  • Christin Binde, Persönliche Assistentin im Arbeitgebermodell
  • Helene Brunsch, SMA Typ II a, Assistenznehmerin
  • Ursula Grune
  • Stefan Schenck, stellv. Vorsitzender Landesbeirat für Menschen mit Behinderung Berlin
  • Sabine Schwarzburg, Tante von Richard Bauer
  • Markus Weidenbach, Assistenznehmer bei Ambulante Dienste e.V.
  • Martin Seidel, Assistent bei Ambulante Dienste e.V.
  • Simon Paa, Assistent bei Ambulante Dienste e.V.
  • George Reimer, Assistent bei ambulante dienste e.V.
  • Maurice Ferdinand, Assistent bei Ambulante Dienste e.V.
  • Joannis Dourdis, Assistenznehmer im Arbeitgebermodell
  • Shaon Huq-Dourdis, Angehörige
  • Friederike Matz, Vorstand aktiv und selbstbestimmt e.V.
  • Graeme Miller, Sozialpädagoge
  • Konrad Hoffmann, Assistent bei ambulante Dienste e.V.
  • Anna Wittchen, Assistenznehmerin im Arbeitgebermodell
  • Friederike Wittchen, Assistenznehmerin im Arbeitgebermodell
  • Christian Owusu-Ansah, Assistent bei ambulante dienste e.V.
  • Florian Dietze, Assistent bei ambulante dienste e.V.
  • Janina Brehmer, Assistenznehmerin im Arbeitgebermodell
  • Nico Meichsner, Assistenznehmer im Arbeitgebermodell
  • Anna Schütz, Assistenznehmerin bei ambulante dienste e.V.
  • Stefan Halte, Assistenznehmer bei ambulante dienste e.V.
  • Elias Probst, Assistenznehmer bei ambulante dienste e.V.; Mitglied Assistenznehmervertretung
  • Viktoria Eckert, Assistenznehmerin im Arbeitgebermodell
  • Peer Nowak, Assistent bei ambulante dienste e.V.
  • Angelika Schenk, schwerbehindert mit Pflegegrad, selbständig leben mit Unterstützung durch ambulanten Pflegedienst und Betreutem Einzelwohnen
  • Regina Pferdt Sozialarbeiterin ambulante dienste e. V. 
  • Hannah Furian, Assistenznehmerin im Persönlichen Budget und bei Neue Lebenswege GmbH und Beraterin bei der EUTB der GETEQ, Berlin-Blankenburg
  • Reimund und Rosi Döring – Freunde der Familie Bauer
  • Annika Wagner Persönliche Assistentin im Arbeitgebermodell


3 Antworten zu “Offener Brief an Dilek Kalayci, Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, zur Impf-Priorisierung von Menschen mit Behinderungen in Berlin”

  1. Viele Dank für den Einsatz und dieses Schreiben, das ich als Betroffener gerne mit unterschrieben hätte!
    Auch wenn Politik und Wissenschaft mit dieser Pandemie teilweise überfordert sind; so hätten diese wenigstens im Laufe dieser Pandemie lernen müssen, mit der Bevölkerung besser zu kommunizieren, um die Bevölkerung auf dem Weg zur Beendigung dieser bisher schlimmsten Pandemie mitzunehmen. Stattdessen agiert die Politik mitunter sehr kopflos , statt angemessen zu reagieren und wundert sich, dass die Unvernünftigen und Corona-Leugner zunehmen und lauthals zwar noch in der Minderheit immer mehr Leute mit „kruden“ bis „rechts-nationalen“ Verschwörung-Ideologien „infizieren“. Diese Leute sind genauso gefährlich wie das Virus selbst. Denn sie wissen nicht mehr, was sie damit anrichten oder es interessiert sie nicht mehr.
    Nach dem Staat brauche ich nicht mehr zu rufen, weil dieser de facto seit 1984 die Polizei und andere Sicherheitsbehörden kaputt spart; geschweige denn die herrschenden „politischen Weicheier“ zu knallharten Entscheidungen fähig wären, um ggf. Recht und Ordnung wieder herzustellen. Ich vermisse fähige Vollblut-Politiker wie Hellmut Schmidt, Hans-Jürgen Wischnewski und Franz-Josef Strauß und erinnere nur an das Krisenmanagement der drei bei der Befreiung der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ im Oktober 1977. Noch geht es ja relativ gesittet zu. Das kann aber mit der fortschreitenden Pandemie schneller umkippen, als uns lieb sein wird…
    Ich befürworte einen knallharten gemeinsamen und solidarischen europäischen Shutdown als dieses derzeitige Hickhack in Europa und unserem föderalen Kindergarten hier.

  2. Ich stimme dem Kommentator zu. Auch ich setze meine Unterschrift gerne dazu. Was ich insbesondere erstaunlich finde, ist, dass das ganze Thema Familie, was ja sonst doch sehr gehypt wird in der Politik, und Menschen, die in Gruppen leben, sind ja nichts anderes als Familien, jedenfalls nicht für das Virus.
    Trotzdem wird dieser Umstand in der ganzen Impfstrategie so vollkommen ausgesperrt, sind den „Familien“ nur dafür da, Vater Staat Nachwuchs zu verschaffen? Und auch hier, Karl Lauterbach warnte bereits, wird nicht gut genug geprüft, ob das SARS-COV-2 Virus nicht doch auch langfristige Schädigungen bei Kindern hinterlassen kann.
    Mir ist die derzeitige Vorgehensweise vollkommen unverständlich.

  3. Im Namen meines Mannes, Oliver Meiß, und seiner Pflegefachkräfte in der Außerklinischen Intensivpflege, möchte ich diesen Aufruf mit Nachdruck unterstützen! Es ist ein Armutszeugnis für die Politik des Gesundheitsministeriums, dass beinahe alle Menschen mit starken Einschränkungen und schweren Erkrankungen in der häuslichen Pflege/Betreuung vergessen wurden! Was sind das für Experten, die diese Gesetze ausarbeiten?

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