Behinderungen: Ich passe in keine Schublade

Ich bin 1,89 Meter groß und gute zwei Zentner schwer. Ich passe in keine Schublade.

Menschen denken sehr oft in Schubladen. Das erleichtert ihr Leben ungemein. Das Leben der Anderen erschwert es mitunter jedoch.

Alle, denen ich begegne, erkennen sofort: Dieser Mann ist blind. Dass ich nicht viel sehe, kann jeder gleich sehen.

„Blinde haben das absolute Gehör.“ Dieser irrigen Vorstellungen begegne ich oft. Allerdings ist die meistverbreitete Erblindungsursache bei jungen Männern neist auch mit einer Einschränkung des Gehörs in besonders schweren Fällen bis hin zur Taubblindheit verbunden.

 Mein Hörvermögen ist leicht eingeschränkt. Wenn von vielen Seiten unterschiedliche Geräusche auf mich einstürmen, verstehe ich fast nichts. Im Alltag merke ich diese leichte Hörbehinderung jedoch kaum.

 Meine Gehbehinderung kann man auch nicht sofort sehen. Die Schiene am linken Bein trage ich meist unter der Hose. Aber beim Treppensteigen muss ich sehr vorsichtig sein.

Am meisten bedrückt mich meine vierte Behinderung. Während der Nazi-Diktatur wurden Tausende deswegen als angeblich „lebensunwertes Leben“ ermordet. Noch heute ist Epilepsie ein Stigma, weshalb viele Betroffene sie lieber verschweigen.

All diese Behinderungen sind für mich ganz normal. Sie gehören zu mir wie die undefinierbare Farbe meiner Augen, der Klang meiner Stimme oder meine rheinische Frohnatur. Meine Lebensfreude schmälern sie allenfalls, wenn jemand mich wegen einer meiner Behinderungen in meiner Entfaltung behindert.

Menschen denken sehr oft in Schubladen. Sie sehen meinen weißen Stock und erwarten von mir das absolute Gehör. Alles, was andere Blinde können, muss ich genauso machen wie sie.

Mir passen keine Schubladen, in die man Menschen wegsteckt. Das Leben ist sehr viel vielgestaltiger als die Vorstellungen, die Menschen sich davon oft machen. Insbesondere Behörden verwalten Menschen mitunter mit Hilfe von Schubladen, anstatt die Einzelnen in ihrer individuellen Persönlichkeit zu respektieren.

Wer eine Komode kennt, glaubt alle Komoden zu kennen. Jeder Schublade ordnet er einen bestimmten Inhalt zu. Dabei ist aber vielleicht ganz hinten in der untersten Schublade ein wunderschönes Schmuckstück verborgen.

Ich wünsche den Bürokraten einen neuen Schreibtisch: Wer eine diskriminierende Schublade öffnet, verschwindet sofort selber darin. Heraus kommt nur, wer sich mit aller Kraft gegen alle Schubladen stemmt.



Eine Antwort zu “Behinderungen: Ich passe in keine Schublade”

  1. Guten Abend Raul Krauthausen, besten Dank Franz-Josef Hanke. Auch ich passe in keine Schublade, dabei habe ich oft den Eindruck, dass andere Leute eine Schublade für mich vorsehen möchten. Ich gehe aber nicht hinein. Gerade heute ist es so, dass ich nur in einem Tagesspiegel-Beitrag kommentieren darf und das ohne Zeitlimit. Ich will das gar nicht. Klar, ich kommentiere gerne und auch gerne zu dem Beitrag „Literaturtipps“ Lichtefelde, mache ich gerne, aber das heißt nicht, dass ich das jetzt nur noch machen will. Das ist aber ein Phänomen, was mir im Leben öfter begegnete, der Tagesspiegel ist da jetzt keine Ausnahme und es ist auch im noch erträglichen Rahmen. Es ist aber ein Beispiel. Auch habe ich den Eindruck, Menschen meinten, ich wäre unglücklich in meinem Leben. Bin ich nicht, ich wünsche mir, dass mein Leben so bleibt wie es jetzt ist. Dennoch versuchen dauernd, auch draußen, Leute mich zu manipulieren – das bilde ich mir nicht ein, ich kenne es von anderen Gelegenheiten, auch vom Prenzlauer Berg. Es ist eine „Spielecke“, die mir nicht liegt, die ich nicht will, aber bemerke.
    Was kann man tun? Man kann mitteilen: Ihr könnt das machen, ich kann euch nicht davon abhalten. Aber ich werde nicht drauf einsteigen, nicht in hundert Jahren.
    So bin ich stur, und das führt wiederum dazu, dass ich in die nächste Schublade gerate. Manchmal bin ich sauer über diese Schubladen, manchmal traurig, denn ich kann drauf verzichten, brauche das nicht. Ich bin grenzenlose Kosmopolitin, findet Euch gefälligst alle einfach damit ab.
    Anders gibt es mich nicht. Macht eure Gruppenarbeit bitte ohne mich, und versucht einfach mal mich so zu respektieren, wie ich Euch respektiere. Das reicht mir locker.
    Einen schönen Abend, besten Dank.
    Gabriele Flüchter

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