Klar, Förderschulen sind für mich nicht der Hit. Wenn sich aber Familien für ihre Kinder dafür entscheiden, gibt es vor allem eines zu tun: Viel zuhören.
Seit Jahren kritisiere ich Förderschulen in Deutschland. Für mich sind sie, so engagiert und qualifiziert das Personal auch agiert, Orte der Isolierung. Nun kann mir gesagt werden: Was lästert der herum, er war ja selbst als Schüler auf keiner Förderschule – die damals ehrlicherweise Sonderschule hieß. Zum Glück, kann ich nur entgegnen, immerhin ermöglichte mir die Regelschule Abitur, später das Studium und dann meinen Beruf.
Ich will mich zu Beginn dieses neuen Schuljahres auch nicht aus dem Fenster lehnen und arrogant einen Preis ausloben für diejenigen, die mir eine tolle Förderschule in Deutschland zeigen. Was ich aber in den vergangenen, nicht wenigen Jahren von und in diesen Lehrstätten mitbekommen habe, spricht einfach nicht für sie. Es geht besser. Schule muss anders.
Wie, darüber schreibt zum Beispiel der Inklusionsaktivist Tim Vegas immer wieder in seinem Blog. Neulich thematisierte er: Was tun, wenn Eltern für ihr Kind unbedingt eine Förderschule wollen? In seinem Beitrag macht er vier häufig genannte Gründe aus, warum sie sich so entscheiden:
- Die dortige (kleinere) Klassengemeinschaft
- Abwechslungsfreie Umgebung
- Spezialisierter Lehrplan und Lehrkräfte
- Verhaltensunterstützung
Nun zitiert Vegas allerdings eine Studie in den USA, die zu dem Schluss kommt: In den spezialisierten, heraustrennenden Schulen findet man diese vier Punkte jedenfalls nicht. „Stattdessen wurden die in der Studie beobachteten Schüler nicht in einer schützenden und starken Community unterrichtet, sie befanden sich stattdessen in viel mehr (und nicht weniger) Stresssituationen, es gab keinen individualisierten Zugang zum allgemeinen Lehrplan, und das Lehrpersonal benutzte keine durchdachten Verhaltensinterventionen, sondern gebrauchte Drohungen, Timeouts und Beschränkungen.“
Nun, vielleicht wurden die falschen Schulen untersucht. Es gibt sie ja, die engagierten und mit Herzblut unterrichtenden Förderpädagog:innen. Aber aus deutscher Erfahrung lässt sich hinzufügen: Zahlreiche Statistiken dokumentieren eindeutig, dass Schüler:innen mit Behinderung an einer Regelschule mehr lernen und öfters einen Schulabschluss absolvieren als Schüler:innen mit vergleichbarer Behinderung an einer Förderschule. Zudem sind sie weniger von Stigmatisierung betroffen und haben später bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und damit auf ein selbstbestimmtes Leben.
Und dennoch. Was, wenn die Eltern trotzdem mit ihrem Liebsten dorthin wollen? Es gibt nach wie vor Neugründungen von Förderschulen in Deutschland, zum Beispiel in Berlin – angeblich als Reaktion auf den Elternwillen. Und klar, niemand kann genau nachempfinden, was Eltern für ihre Kinder durchmachen, um ihnen einen guten Start in die Mitte der Gesellschaft hinein zu ermöglichen.
„Familien kämpfen für ihre Kinder und tun, was sie für das Beste halten“
schreibt Vegas. „Das Beste, was wir also tun können, ist ihren Belangen zuzuhören. Das ist es. Das ist unser Hauptjob. Niemals ist es in Ordnung, eine Familie sich schlecht fühlen zu lassen, wenn sie sich für einen Klassenraum mit ‚Special Education‘ entscheidet.“
Denn zu oft geraten Beratungsgespräche der Behörden zu Manövern, die in Zwängen enden. Zu selten hört man sich zu. Und vielleicht gelingt es ja dann in einem echten Gespräch zu vermitteln, dass Kinder ein verbrieftes Recht auf Schulbildung haben, die inklusiv belegbar für alle am besten ist.
Hierfür braucht es einen kräftigen Push. Die Förderpädagog:innen werden gebraucht, und zwar in den Regelschulen. Es muss Schluss sein mit Inklusionsschulen, deren Inklusivität nur darin besteht, dass sie ihr Namensschild am Eingang entsprechend ändern. Es muss Schluss sein mit der ewigen Flickschusterei meist sozialdemokratischer Bildungspolitik, die halbherzig gemeinte Reformen Jahr für Jahr durchs Dorf treibt. Es muss Schluss sein mit halbehalbe. Bildung ist das Wichtigste, was ein Land haben kann. Eine schlechter werdende Bildung vermasselt uns allen die Zukunft.
Daher lasst uns trommeln für eine neue Initiative: Schule muss anders setzt sich ein für vier Punkte, die nur zu unterstreichen sind:
- Mehr Zeit für Beziehung und Team – Entlastung für alle
- Teams aus unterschiedlichen Berufen an die Schulen
- Mehr Personal und mehr Ausbildungsplätze
- Diskriminierung bekämpfen und Teilhabe garantieren
Macht mit!
6 Antworten zu “Wenn Eltern für Exklusion kämpfen”
Guten Tag Raul Krauthausen,
besten Dank für den Beitrag. Ich bin seit langem für Inklusion, also für Schulen für alle und jeden.
Das mit dem „Team“ aber treibt mir den Schweiß auf die Stirn. Das wäre ein Punkt, an dem ich passen müsste, fürchte ich. Ich bin ein Mensch, für den es einigermaßen läuft, wenn ich auf Teams weitgehend verzichten kann, das ist mir zuviel Gerede, zu viel Abstimmerei, zu viel „durcheinander“ – für mich eben, für die anderen nicht.
Ich war auch immer für Frontalunterricht, ich meine, auch als Schülerin, oder vor allem auch als Schülerin. Einen besseren Unterricht, als wenn die Lehrkraft vorne stand und sprach und ich dachte und schrieb – oder manchmal auch nicht. Das war ideal.
Von daher stehe ich vor dem Teamansatz eher hilflos davor, denn genau den kann ich nicht und wäre dann aus der Schule für alle wieder raus.
Da sehe ich noch keinen Lösungsansatz, gäbe es da überhaupt einen?
Da hätte ich gerne noch mehr Erklärung zu.
Lieber Raul,
Förderschule, Sonderschule,
Wenn Du keine Förderschule kennst, die gut ist, befürchte ich, dass Du in Deutschland um so weniger Regelschulen findest, die nicht nur wohlklingende Websites haben, sondern auch eine Praxis aktiven und empathischen, selbständigen Lernens.
Auf dem Hintergrund könnte eine gute Förderschule doch insbesondere für kleinere Kinder immerhin noch das kleinere Übel sein.
Unser Kindergarten zum Beispiel genoss Sparmaßnahmen, und die „Inklusionskinder“ wurden fortan von einreisenden Therapeuten behandelt, statt von der vorher festangestellten vielseitigen Therapeutin betreut zu werden, die nicht nur scheibchenweise Expertentum zur Anwendung brachte, sondern neben ihren Kernaufgaben mit ihren Fähigkeiten den ganzen Betrieb unterstützte.
Solange wir in keiner inklusiven Gesellschaft leben, und Pädagogen vom Staatsexamen bis zum Pensionsalter praktisch unkündbar auf die Kinder losgelassen werden, könnte es sein, dass Schutzräume auch Vorteile haben.
Das Mädchengymnasium war in früheren Zeiten nicht nur falsch.
Egal wie in-/exklusiv InklusionsSchulen in der Realität sind, ist das Zusammenleben für Kinder, die früher in Mehrheitsschulen waren, eine unschätzbare Bereicherung, die der Gesellschaft langfristig zu Gute kommt.
Wenn Inklusionsschulen – von antiquierten Schulämtern beaufsichtigt – aber weder über genug Mittel, noch über genug Einfühlung und Wissen verfügen, sondern Inklusion als unterfinanziertes Pflichtprogramm durchziehen, kann das auf dem Rücken der „inkludierten“ Kinder passieren.
Es geht nicht mehr um das OB, sondern um das Wie! Wie setzen wir alle ein gerechtes und inklusives Schulsystem um? Und nein Foerderschulen sind keine inklusiven Schulen, denn das bedeutet Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten.
Es geht bei dem Bundesrecht der UN-BRK ratifiziert durch die Bundesrepublik Deutschland, für alle Kinder mit Behinderung nur noch darum wie der Art 24 fair für alle Kinder umgesetzt werden kann! Die Diskussion ob oder warum es nicht geht, darf es seit 2009 bzw. 2011 nicht mehr geben! Hier hat Deutschland sich verpflichtet die aussondernden Strukturen aufzuheben!
Ich empfehle hierzu:
1. Hans Wocken „Die Auch-Inklusion“
2. Brigitte Schumann „Streitschrift Inklusion“
und die Eltern die sich dann immer noch fuer die Förderschulen, Foerderzentren, ( frueher Sonderschulen, Hilfsschulen) entscheiden und damit zum gerne propagierten „Schutzraum, mit kleineren Klassen und keinem Lerndruck“ (aber natürlich auch I. D. Regel ohne Schulabschluss dafür mit Freifahrtschein zur nächsten aussondernden Einrichtung der Werkstatt oder Behinderteneinrichtung beeinflusst von bestimmten Behörden, Politikern, einem antiquierten Schulsystem und leider auch einer fehlenden Haltung einiger Menschen in unserer Gesellschaft.
Denen empfehle ich das Buch von Dagmar Hänsel „Sonderschulausbildung im Nationalsozialismus“.
Ich werde auch keine Diskussion mehr führen, über fehlende Ressourcen etc., die auch ganz sicher ganz bewusst nicht an Regel Schulen erbracht werden, denn die Lobby der Ausdonderung ist mächtig.
Wir alle können gemeinsam unseren Teil zu einer wahrhaft inklusiven Gesellschaft beitragen!
Ich bin Mutter einer Tochter, die vor 20 Jahren bei der Einschulung aufgrund einer Sprachentwicklungsstörung erst Einwortsätze sprechen konnte. Für sie war die Förderschule der absolute Glücksgriff, denn dort hat sie zwei Jahre lang eine exzellente Förderung erhalten und es wurden die Grundlagen gelegt, dass sie mit viel Freude richtig Sprechen und Lesen gelernt hat. Nach zwei Jahren haben wir sie auf die Regelschule umgeschult, wo alles viel schwieriger war, wir immer um Verständnis kämpfen mussten und wo ihr die Freude am Lernen abhanden gekommen ist. Sie hat mit viel Förderung und eigener Kraftanstrengung durchgehalten und arbeitet nach einem Realschulabschluss mittlerweile erfolgreich als Erzieherin.
Für uns war der Beginn der schulischen Laufbahn auf der Förderschule das Beste, was uns passieren konnte. Allerdings muss diese durchlässig zur Regelschule sein und die Regelschule muss sich weiterhin sehr in Richtung Inklusion verändern. Letzteres halte ich für das größte Problem.
Daher kann ich nur dafür plädieren, die Situation differenzierter zu sehen und Förderschulen nicht zu verteufeln.
Es geht nicht darum, die Förderschule zu verteufeln, sondern darum in welcher Gesellschaft wir leben möchten . Die ständige Förderung der Exklusion verhindert, dass Menschen wie meine Tochter eine Chance haben zu erfahren, was Inklusion bedeutet und Inklusion zu erleben. Hier wird immer und immer wieder gesagt, dass Inklusion nicht für alle möglich ist. Solange Inklusion nur als zweite Wahl angeboten wird und nur als Chance für „unproblematische“ Kinder wird es nie eine echte und effiziente Inklusion geben.
Die Lobby der Förderschule ist extrem stark und ist schon dabei die wenigen guten Beispiele der Inklusion zu vernichten. Deswegen bin ich für eine komplette Abschaffung der Förderschule. Solange sie existiert, wird es nie möglich sein, die Inklusion mit den richtigen und erforderlichen Mitteln auszustatten. Eine halbe Inklusion ist keine Inklusion und es nutzt niemanden, nur die Befürworter der Förderschule.
Ich hoffe sehr dass in einer sehr nahen Zukunft Menschen mit Behinderung nicht immer mit komischen und verachtenden Gesichtern angeguckt werden, wenn sie auf der Straße laufen, wie oft der Fall ist, wenn ich mit meiner Tochter unterwegs bin. Die Gesellschaft und ihre Haltung ändert man nicht, indem man diese Menschen ständig einsperrt und von dem normalen Leben ausschließt. Und ein Land wie Deutschland hat eine gewisse historische Verpflichtung das zu tun, das sollte man nie vergessen. Inklusion ist der Weg zu einer positiveren, offeneren und toleranten Gesellschaft , die Exklusion ist es nicht.
Lieber Hr. Krauthausen,
ich bin ambivalent was das Thema Förderschulen angeht. Auch was das Thema Werkstätten angeht. Was mir oft nicht klar ist: Von welcher Gruppen beeinträchtigter Menschen sprechen wir? Körperlich? Psychisch? Geistig? Ich arbeite in einer Wohnform für psychisch erkrankte Menschen. Da sind einige Klient*innen dabei, die in den Werkstätten arbeiten und stolz wie Bolle darauf sind. Aufgrund individueller Unmstände kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Klient*innen auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten könnten – und die Klient*innen denken ebenso. Warum ist es dann für dieses Klientel vonnöten, dass sie auf Biegen und Brechen inkludiert werden? Dagegen bin ich sehr für mehr Mitsprache in den Werkstätten, mehr Lohn, die Möglichkeit von Teilzeit schon im Eingangsverfahren ect. Ich habe oft das Gefühl, Hr. Krauthausen, dass sie primär für körperlich Beeinträchtigte die Inklusion wünschen, falls ich damit falsch liege, lasse ich mich gern korrigieren.
Petra