Die Sozialen Medien einfach hinter sich lassen? Auch keine Lösung. Wie wäre es mit längeren Debatten, mehr Zuhören – oder einfach machen?
Dies ist ein bisschen die Geschichte einer abflauenden Liebe. Natürlich bin ich gern in virtuellen Netzwerken unterwegs, schaue hier rein und lese dort; Soziale Medien sind Teile meines Alltags. Doch eine Enttäuschung macht sich breit.
Damit meine ich nicht die Trolls und die Welle an Hass, über die hinlänglich geschrieben wurde und die vor allem rechts, weiß und männlicher Natur ist. Mit der lernen wir gerade zu leben. Ich finde aber darüber hinaus, dass wir die guten Potenziale des Netzes nicht genügend ausschöpfen. Schlechte Potenziale setzen sich öfters durch, und damit meine ich: das Schlechtreden, ein Dauernörgeln, ein ewiges Kritisieren und … letztendlich dadurch ein nicht zu Potte kommen.
Da ufert etwas gerade aus. Es geht mittlerweile nicht mehr von einer kleinen, aber wirksamen Gruppe aus, sondern entwickelt sich zu einem generellen Habitus – das Suchen der Fehler der Anderen.
Mich beschleicht der Eindruck eines destruktiven Trends. Natürlich gibt es zig Beispiele, wo es Not tut das Wort bei Unmenschlichkeiten zu erheben; ich möchte kein Plädoyer für unkritisches Verhalten halten.
Mir fällt die Werbung eines Rasierklingenherstellers ein, der sein Macho-Image ändern wollte und in einem Video ein Plädoyer für Respekt, liebevolle Vaterschaft, eben “soft skills” hielt – das Ergebnis war ein Shitstorm besorgter Männer, die meinten, ihre Männlichkeit könnte flöten gehen. Oder der Fußballer Franck Ribéry: Der ließ sich ein mit Blattgold überzogenes Steak servieren, postete es und erntete globale Beschwerden; das sei “dekadent”, “unsensibel”, “großspurig”. Du meine Güte, der Herr ist Großverdiener – ist es nicht egal, was er verspeist und viral verschickt? Revolutionen jedenfalls werden nicht gewonnen, indem man sich über Symbolik empört.
It’s drama, baby! Das scheint das Motto vieler Spaziergänger entlang der Sozialen Medien zu sein. Schnell ist man aufgeregt. Zeigt mit dem Finger auf Andere. Entdeckt Fehlverhalten, entwickelt jakobinische Züge.
Das Leben ist komplizierter.
Es gibt nicht nur Richtig oder Falsch.
Die steil durch die Decke gehende Erregungskurve schärft nicht gerade unsere Sinne, zum Beispiel die des Zuhörens. Lange, schwierige und auch schmerzhafte Debatten werden immer schwieriger. Die aber brauchen wir. Wenn wir überzeugt werden wollen und wenn wir andere überzeugen wollen, gelingt uns das mit dem ausschließlichen Austausch von Vorwürfen kaum. Daher sollten wir versuchen, diese Callout-Kultur konstruktiv zu gestalten.
Denn diese entwickelt sich immer mehr zu einer In- und Out-Kultur, ähnlich wie bei den Verlierern oder Gewinnern des Tages bei der „Bild“-Zeitung. Dass dieses Verhalten vornehmlich von politisch mir nahestehenden Menschen kommt, gibt dem eine ironisch-bittere Note. Schon die Nähe zu angekreideten Personen kann ja schon ausreichen, um selbst zur Zielscheibe zu werden.
Letztlich besteht Meckern nur aus Worten. Und man sieht es an den politischen Prozessen zum Beispiel in Italien, dass Worte allein keine gute Politik machen: Dort sind die Nachrichten voll davon, wer was gegen wen gesagt hat – und die Sachthemen fallen runter. Dabei gibt es davon so viele. Und es gibt viel zu machen.
Daher wünsche ich mir, dass wir uns weniger aufregen, ohne Verletzendes oder Beleidigendes zu ignorieren. Im Gegenteil. Aber gewisse Kirchen könnten im Dorf bleiben, und stattdessen könnte man sich überlegen, WOFÜR man ist, und WAS man dafür ANSTELLT.
Eine Antwort zu “Das Leben passt nicht hinter ein Hashtag”
Lieber Raul Krauthausen, besten Dank für den Kommentar.
„Ich finde aber darüber hinaus, dass wir die guten Potenziale des Netzes nicht genügend ausschöpfen. Schlechte Potenziale setzen sich öfters durch, und damit meine ich: das Schlechtreden, ein Dauernörgeln, ein ewiges Kritisieren und … letztendlich dadurch ein nicht zu Potte kommen.“
Das stimmt! Nörgeln ist einfach, jeder kann es, wer Schwierigkeiten damit hat, nörgelt sich beim Nachbarn was ab und nörgelt nach, das gleiche gilt für Jubeltaumelei, auch den gibt es ja bei Social Media zuhauf, Toll-Finderei, auch das ist einfach, und wenn mir selbst nichts einfällt, folge ich jubelnd anderen nach.
Konstruktive Kritik üben, Sachverhalte erfassen, analysieren, in Worte kleiden, ist schwierig, es setzt Bildung voraus. Die Mehrsprachigkeit eines einzigen Bildes anerkennen zu können, setzt innere Freiheit voraus, gleiches gilt für die Mehrstimmigkeit eines enzigen Musikstückes, eines einzigen Gedichtes.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen, denen man schon frühzeitig klar machen will, dass es zu einer Frage auch immer nur eine Antwort geben kann,
weshalb sich dann das Fragen auch noch erübrigte, dann eben nur dies beherrschen: Nörgelei im Gefolge oder Jubelei im Gefolge. Im Tagesspiegel schreibt Jost Müller-Neuhof (Sawsan Cheblis Twitter Krieg..)
„Er soll die in weiten Teilen unfassbar primitiven Netzdebatten in ein ziviles Maß überführen. Bei diesem hohen Anspruch muss die Enttäuschung groß ausfallen.“
Das „zivile Maß“ setzt die Würde jedes einzelnen Menschen voraus, auch die des vermeintlichen Täters, eine Klage vor Gericht tut dieser keinen Abbruch.
Die Prävention aber wäre meiner Meinung nach kulturelle Bildung für alle, alles für jeden einzelnen Menschen. Social Media darf nicht der Kampfplatz der Bildungsreichen gegen Bildungsarme sein. Genau das ist es aber.