Mein Alltag und ich

Ich finde es immer wieder erstaunlich wie viel Halbwissen über blinde und sehbehinderte Menschen existiert. Und ich finde es ebenso interessant mit wie viel Vehements manche nicht blinden Personen diese Klischees verteidigen. 

Ich erinnere mich an eine ältere Dame, die mir ernsthaft erzählen wollte, dass blinde Personen nichts am Herd zu suchen hätten, da sie sich sonst verbrennen würden. Und sie kannte eine ältere Dame, deren Sehkraft nachließe, und die deshalb kein Essen mehr selbst zubereiten würde. Ich war damals Mitte zwanzig, und hatte meine eigene Wohnung. Als hoffnungslose Optimistin versuchte ich ihr meine Vorgehensweise zu erklären. Doch irgendwann begriff sogar ich, dass sie mir nicht zuhören wollte. Für sie war es so, das blinde Menschen nicht kochen können und Basta! 

Im Laufe meines Lebens bin ich immer wieder solchen Menschen begegnet, für die Blindheit eine der schlimmsten Schicksalsschläge im Leben waren. Dementsprechend gehörten Menschen wie ich in die Obhut sehender Angehöriger, eines gesetzlichen Betreuers oder in eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung. 

Später, als ich heiratete, gingen viele Personen davon aus, dass ich einen sehenden Partner habe. Am liebsten einen, der eine Mischung aus meinem Krankenpfleger, Betreuer und Fahrdienst abgibt. Und natürlich muss er auch noch kochen und den Haushalt führen können. Und das neben seinem Job. Leute, der Tag hat nur 24 Stunden. Und dem Übermenschen, der das alles leisten kann, bin ich noch nicht begegnet. Ihr etwa? Jedenfalls ist mein Partner ebenfalls sehbehindert, und führt wie ich ein selbst bestimmtes Leben. 

Aber die Story geht noch weiter. Als mein erstes Kind unterwegs war, kamen Bemerkungen wie „Die Familie hilft ja bestimmt“, oder „Das Kind kann Dir später viel helfen“. Kopfkino: Das Grundschulkind zaubert ein gesundes Frühstück, stellt die Waschmaschine vor der Schule an, und kocht nach der Schule das Mittagessen für die Eltern. Nach dem Mittagessen beantwortet es die Post der Eltern, begleitet sie zu Terminen oder geht einkaufen. Leute, wir reden hier von Kindern, und nicht von einem Roboter.

So, genug gemeckert. Wir können alle etwas dafür tun, dass die Gesellschaft lernt, dass wir Menschen mit Behinderung mehr können als Hilflosigkeit. Ich fange mal damit an, dass ich Euch einen Beitrag ans Herz lege, der meine Vorgehensweise beim Backen eines Kuchens beschreibt. Kuchen backen, wenn man blind ist.



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