Eine Raumfahrt, die ist lustig

Foto von Ijeoma Oluo
Ijeoma Oluo

Menschen stecken andere in Gruppen. Und die größere unter ihnen dominiert den Raum. Wollen wir das mal durchmessen?

Neulich musterte ich den Raum mich herum und fühlte mich wunderbar. Draußen schien die Sonne, Vögel zwitscherten und ich glitt in meinem Rollstuhl übers weite Holzparkett, alles war hell. Hätte ich nur dann nicht in die Zeitung geschaut, die stellte meinen Raum infrage.

Ich las im Guardian einen Beitrag von der Autorin und Aktivistin Ijeoma Oluo, in dem sie ihre Erfahrungen aus diversen Workshops ausbreitete. Ihr Bericht war ein einziges Ausatmen. In den Seminaren sprach sie mit Firmenangestellten über kulturelle Diversität, und in diesen Runden regierten, komischerweise, die Weißen. Obwohl People of Color (PoC) stets die Mehrheit in diesen Workshops bildeten, machten sich weiße Kolleg_Innen verbal breit, teilten mit, was sie dazu bewegte. Oluo machte bald eine Stoßrichtung aus: dass die anwesenden Weißen sich nicht als Teil eines Problems ausmachen. Die Workshops sollten für Rassismus sensibilisieren, der ist strukturell und diesem Fakt kann sich niemand entziehen, auch nicht Weiße als Nutznießer dieser alten Strukturen.

Doch was hörte Oluo?

„Ihre Sitzung war wirklich nett, Sie sagten viele Dinge, die für viele Leute sinnvoll sind. Aber all dies wird mir nicht helfen mehr Freundschaften mit PoC zu schließen.“

habe ihr eine weiße Teilnehmerin gesagt. Oder als Oluo einmal an einem Podium teilnahm, bei dem ein Ökonom erklärte, warum der Wachmann eines Supermarkts, der grundlos einem PoC Pfefferspray in die Augen gesprüht hatte, im Grunde die wirtschaftlichen Strukturen reflektierte, welche definieren, wer erwartungsgemäß Geld in der Tasche hat und wer nicht, da sei eine weiße Frau aufgestanden und habe gesagt:

„Ich kam nicht hierher für eine Wirtschaftslektion. Ich bedaure, was dem Mann geschehen ist und möchte wissen was zu tun ist.“

Ein anderes Mal habe ein weißer Mann zu ihr gemeint,

„sie würden niemals von weißen Leuten verstanden werden, wenn sie es nicht schafften zugänglicher zu werden“.

In einem anderen Workshop fragte eine weiße Frau, ob PoC zu sensitiv bei diesem Thema seien.

Was hatten all diese Leute gemeinsam?

Für Oluo hatten sie den Raum besetzt. Sie hörten und schauten weniger zu, sondern handelten. Sie wollten sich gut fühlen. Sie machten klar, wie toll sie Antirassismus finden, dokumentierten aber ihre Distanz und Ignoranz, wie sie über statt mit PoC redeten. Von PoC dagegen erhalte sie oft danach ein zustimmendes Feedback, und die Antwort:

Ich hätte gern meine Geschichte erzählt. Aber es war nicht der richtige Ort.

Nach der Lektüre musterte ich den Raum um mich herum, und er erschien mir kleiner. Mir fiel das Regal mit den unerreichbaren Büchern auf, die Treppenstufen zum Klo und die Broschüren von großen Sozialverbänden auf dem Tisch, die sich als Fürsprecher für Menschen mit Behinderung rühmten und ihre tolle Arbeit bilanzierten.

Mir geht es nicht um eine Opferhitparade. Mich treibt es auch nicht aufs Podest eines Diskriminierungsrankings. Und rassistische Erfahrungen sind halt andere als die negativen, die Menschen mit Behinderung machen. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit, und das ist der Raum.

Menschen mit Behinderung regieren selten den Raum

Meist wird über sie geredet, im Guten wie im Schlechten. Es sind Menschen ohne Behinderung, die Experten für ihre Belange sind. Sie meinen es im besten Willen. Und wenn man eine Straßenumfrage machen würde und Leute fragte, wie sie es fänden, dass ihre Nachbarn um einen angemessenen Rollstuhl kämpfen müssen, bei ihren Einkommen gedeckelt werden und dass sie gern diesen oder jenen Beruf ergreifen würden und das auch könnten, aber man sie nicht lasse – dann würden sie das blöd finden.

In einer Straßenumfrage würden viele sagen, dass sie nichts dagegen hätten, mehr Miteinander mit Menschen mit Behinderung zu haben. Sie würden sich vielleicht fragen, wo die alle sind, eben in eigenen Schulen, Heimen und Werkstätten.

In theoretischen Umfragen erfahren wir Solidarität, im Praktischen aber bleibt der Raum, wie er ist.

Menschen mit Behinderung werden als Gruppe genormt und in eine Schublade gesteckt; die ist auch noch ziemlich klein. Wenn es schließlich um Inklusion geht, um das endliche Miteinander, sind es wieder Menschen ohne Behinderung, die maßgeblich bestimmen, wie das gehen soll.

Ich musterte den Raum erneut, und diesmal durchmaß ich ihn genau. Das zu wissen, tat gut. Dann also mal los, dachte ich. Das Vogelzwitschern höre ich auch wieder.



8 Antworten zu “Eine Raumfahrt, die ist lustig”

  1. Das kann ich nur unterstreichen. 10 Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesregierung hat sich in der Praxis nichts geändert. Wir behinderten Menschen müssen uns – wenn wir die Energie dazu neben der Alltagsbewältigung aufbringen – alles erkämpfen: bessere Rollstühle, einen Arbeitsplatz, eine geeignete Wohnung usw. Jeder hält uns gern die Tür auf – aber mehr auch nicht. Nehmen wir uns mehr Raum! Durch Widersprüche, Beschwerden, notfalls Klagen usw. Anders geht es nicht.

  2. Ja ein wunderbarer beitrag. Wohl den behinderten Menschen die sich tatkräftig für Ihre Belange einsetzen können und fühlen wir uns animiert es für die zu übernehmen deren eigene Kräfte nicht reichen. Und danke und Anerkennung denen die es tun.

  3. Zu der UN-Konvention für Menschen mit Behinderung sei noch anzumerken, daß darin der Begriff Behinderung sehr viel weiter als allgemein angenommen verstanden wird: Einschränkungen jeglicher Art, was oft nicht sichtbare Behinderungen sind. Damit wird es noch komplizierter mit Teilhabe und Inklusion. Behinderte Kinder müßten eben von Anfang an mit in der Normalschule sein, statt genormte Menschen nur an Normmenschen zu gewöhnen…

  4. Grossartiger Artikel! Spricht mir aus der Seele! Bloss weiss ich manchmal nicht mehr weiter! Was kann man tun, um das zu aendern? Ich glaube, das Klagen und Bittschreiben und Briefe an Politiker allein nicht reichen! Ich bin selbst blind, habe Migrationshintergrund und bin eine Frau. Also so ziemlich alle Randgruppen in einem. Und bei den einzelnen Menschen bringen Klagen wenig. Als Selbststaendige Journalistin wuerde es mir wenig bringen zu klagen, denn ich kann ja nie nachweisen, ob man mich nicht einstellt, oder mir Auftraege gibt, weil ich behindert bin, oder weil jemand anders besser ist. Wir muessen vielmehr etwas an der Bildung, der Einstellung der Menschen tun. Wir muessen innehrhalb der Gesellschaft dafuer sorgen, dass wir nicht als das Objekt gesehen werden, mit dem sich Nicht-behinderte ruehmen, sich besser fuehlen, oder das Gefuehl bekommen die eine gute Tat am Tag begangen zu haben. Wir muessen dafuer sorgen, dass wir als Gleichberechtigte gesehen werden, und nicht nur als Hilfsbeduerftiges, unmuendiges, bemitleidenswertes, asexuelles Neutrum! Bloss wie? Ausser natuerlich durch unsere eigenstaendigkeit und unserem Charakter! Aber um den zu zeigen, muss man uns erst mal die Chance geben das zu tun. Am Arbeitsplatz, im barrierefreien Restaurant, im Kino, mit nicht-behinderten Freunden. Wer das nicht hat, der bleibt aussen vor. Und es schliesst sich weider der Teufelskreis. Manchmal macht mich das unglaublich frustriert! Und deshalb suche ich Anregung, denn allein heulen ringt auch nix! Ich hatte das Glueck inklusive Schulen zu besuchen, Freunde zu haben, die sowohl behindert, als auch nicht behindert sind, und eine Riesenklappe zu haben! Trotzdem gelingt es mir oft nicht, Vorurteile zu mindern!

  5. Wenn ich den Raum ausmesse fällt mir auf , das ich mich schon an der Unterschiedlichkeit der Worte störe : Inklusion und Integration
    Ein Beispiel : bei Werbespots von : Wir sind Deutschland
    Gibt es unterschiedliche Nationalitäten aber nicht welche mit Blindenstock, einem extra Chromosom oder Rollifahrer …
    Entweder man engagiert sich hier oder dort -?
    Zudem empfinde ich eine latente Stutenbissigkeit der Betroffenen selbst .
    Aber ich als weißer etwas zu rundgeratener Normalo bin vielleicht nicht kompetent und möchte diese Diskussion nicht kaputt reden
    Wir gehören alle zu einer Welt ?

  6. Wenn ich den Raum ausmesse fällt mir auf , das ich mich schon an der Unterschiedlichkeit der Worte störe : Inklusion und Integration
    Ein Beispiel : bei Werbespots von : Wir sind Deutschland
    Gibt es unterschiedliche Nationalitäten aber nicht welche mit Blindenstock, einem extra Chromosom oder Rollifahrer …
    Entweder man engagiert sich hier oder dort -?
    Zudem empfinde ich eine latente Stutenbissigkeit der Betroffenen selbst .
    Aber ich als weißer etwas zu rundgeratener Normalo bin vielleicht nicht kompetent und möchte diese Diskussion nicht kaputt reden aber unbedingt anregen
    !!!!!
    Wir gehören alle zu einer Welt ?

  7. Raum – das ist für mich als Rollstuhlnutzerin erst einmal architektonischer Raum. Und der hat sich seit 10 Jahren UN-BR-Konvention für mich nicht geändert. Nach wie vor muss ich mir meinen Arzt, Frauenarzt(in), Zahnarzt, etc danach auszusuchen, wie er oder sie für mich rollstuhlmässig zugänglich ist – und nicht danach, ob ich mit dem Arzt oder Ärztin klar komme. Rollstuhlgerechte Toiletten in einer Arztpraxis ? Eher gewinnt man wohl im Lotto eine Mio.
    Barrierefreiheit ist eindeutig mehr als nur ebenerdige oder be-rollbare Zugänge zu öffentlichen oder privaten architektonischen Raumgebilden. Ein Kino- oder Konzertsaal, der zwar stufenlos erreichbar ist, bei dem ich mich dann aber am äussersten Rand neben den Sitzreihen plazieren muss, so dass Sicht und Hörgenuss erheblich eingeschränkt bleiben, das ist einfach nicht barrierefrei.
    Und dann die Barrieren in den Gedankenräumen – die gehören als erstes eingerissen und weggeräumt – auch bei uns, den sogenannten Betroffenen!

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