Das bekannte Model Jillian Mercado ließ ihre 130.000 Instagram-Follower*innen live dabei zusehen, wie sie vergeblich versuchte, Flughafenangestellte davon abzuhalten, ihren Rollstuhl zu demolieren. Die Service-Kräfte waren der Meinung, man müsse den E-Rollstuhl doch irgendwie zusammenklappen können – und drückten und zogen, bis schließlich Teile brachen. Die Warnungen der Besitzerin missachteten sie.
Jillian Mercado schreibt dazu:
“THIS HAS TO STOP! THIS IS OUR WAY OF LIVING!”
“Das muss aufhören! Das ist unsere Art zu leben!”
Ich selbst habe so unzählige Male Übergrifflichkeiten auf meinen Rollstuhl erlebt, dass ich sie unmöglich zählen kann.
Für alle Menschen, die nicht auf Hilfsmittel angewiesen sind, möchte ich grundsätzlich eines klarstellen: Hilfsmittel wie Rollstühle, Rollatoren usw. sind keine Möbelstücke und keine austauschbaren Gegenstände. Seit Jahren weise ich nun darauf hin, dass ich nicht an meinen Rollstuhl “gefesselt” bin – sondern mein Rollstuhl mir Freiheit und Selbstbestimmung ermöglicht. Und genau deshalb ist er für mich ganz und gar unverzichtbar. Sobald mein Rollstuhl defekt ist, hat das massive Auswirkungen auf mein ganzes Leben.
Mein Rollstuhl ist exakt auf mich angepasst worden – und keineswegs von heute auf morgen ersetzbar. Ich besitze zwar noch einen Aktiv-Rollstuhl, aber aufgrund meiner Behinderung kann ich mich nicht so gut alleine damit fortbewegen, müsste immer einen Assistenten bei mir haben – was aber nicht den Assistenzleistungen entspricht, die ich erhalte.
Ohne meinen E-Rollstuhl funktioniert mein Leben nicht.
Und so geht es eben den meisten Menschen, die auf Hilfsmittel angewiesen sind. Trotzdem erleben wir immer und immer wieder, wie Menschen ungefragt gedanken- oder sogar rücksichtslos mit unseren Hilfsmitteln umgehen. Das beginnt schon beim Aufstützen auf meinen Rollstuhl. Wie oft haben sich Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln aus Bequemlichkeit auf meinem Rollstuhl abgestützt oder sich bei Busbremsmanövern daran festgehalten. Aber dafür ist mein Rollstuhl nicht gebaut worden – und es können durch derartige Unachtsamkeiten schnell Unfälle entstehen.
Es geht allerdings gar nicht nur um mögliche Verletzungen – es geht vor allem um Respekt.
Mein Rollstuhl ist für mich kein Gegenstand, sondern eine Erweiterung meines Körpers – manchmal gefühlt sogar ein Körperteil.
Und ich bin derjenige, der zu entscheiden hat, was mit dieser Erweiterung meines Körpers passiert, ich bin der Experte, ich weiß wie man damit korrekt umgeht.
Und genauso wenig, wie man sich aus Bequemlich- oder Müdigkeit einfach auf die Knie der fremden Sitznachbarin in der U-Bahn stützt oder die Arme um die Hüfte des fremden Mitfahrers legt, wenn der Bus heftig in die Kurve geht – genauso wenig hat man den Rollstuhl oder andere Hilfsmittel eines behinderten Menschen anzufassen!
Was Jillian Mercado passierte, ist eine der größten Ängste, die mich von Flugreisen mit meinem E-Rollstuhl abhält – und mich damit in meiner Freiheit einschränkt. (Wir können das Thema CO2-Fußabdruck gerne an anderer Stelle diskutieren) Hier geht es nur einzig darum, dass ich durch das unbesonnene oder rücksichtslose Verhalten von anderen Menschen in meinen Möglichkeiten beschnitten werde. Jillian Mercado schreibt:
“WE have heard too many horror stories from people feeling afraid to travel (which is my favorite thing to do, and it hurts me that this is standing in the way of someone enjoying the world).”
Jillian Mercado
Und genau darum geht es, dass das Verhalten anderer Menschen mich davon abhält, mein Leben in vollen Zügen genießen zu kommen. Und ich liebe es zu reisen.
Auf Twitter reagierten Tausende auf Jillian Mercados Erlebnis, Hunderte kommentierten, viele erzählten eigene Geschichten: Oft von Rollstühlen, die ihren Besitzer*innen wortlos abgenommen und abtransportiert wurden – ohne weitere Informationen, wo sie jetzt hingebracht werden, wann man sie wieder bekommt usw. Häufig wird berichtet, dass Rollstühle verloren gingen – laut Informationen des U.S. Department of Transportation gehen alleine in den USA täglich 26 Rollstühle bei Flügen verloren.
Eine andere Kommentatorin erlebte ebenfalls, dass ihr E-Rollstuhl während des Fluges verloren gegangen war. Daraufhin verfrachtete man sie in einen Flughafenrollstuhl, mit dem sie sich nicht fortbewegen konnte und in dem sie 4 Stunden in einer Ecke des Flughafens sitzen und warten musste – ohne Zugang zu einer Toilette.
Der bekannte Inklusionsaktivist Shane Burcaw weist in seinem Youtube-Video darauf hin, dass es eigentlich eine Menschenrechtsverletzung ist, dass man behinderte Menschen zwingt, zum Fliegen ihre Rollstühle zu verlassen. Dass man – statt technische Möglichkeiten umzusetzen, die das Fliegen im Rollstuhl ermöglichen – Menschen mit Behinderung in zum teil zutiefst unwürdige Situationen zwingt.
Diese Geschichten sind wichtig – denn hier findet systematische Diskriminierung statt. Es muss aufhören, dass andere Menschen unsere Hilfsmittel ungefragt anfassen oder benutzen, dass mit ihnen umgegangen wird, ohne dass das notwendige Fachwissen dafür vorhanden ist – und man den Besitzer*innen der Hilfsmittels nicht zuhört. Es muss aufhören, dass Rollstühle, Rollatoren usw. wie x-beliebige, austauschbare Gegenstände behandelt werden. Sondern als das, was sie sind: Ein Teil unseres Körpers, der uns frei und selbständig macht.
Im Grunde würde ich soweit gehen, dass ein so rücksichtsloser Umgang mit einem Rollstuhl, wie es Jillian Mercado erging, an Körperverletzung grenzt.
Aber ich möchte hier nicht nur auf diese Form der Diskriminierung hinweisen – ich möchte auch Mut machen: Was auch immer ihr als Hilfsmittel benötigt – Rollstühle, Rollatoren, Roller, Laufräder usw. – ihr habt jedes Recht darauf zu bestehen, dass ihr die Expert*innen für euer individuelles Hilfsmittel seid. Und es ist keine Kleinigkeit, wenn andere Menschen mit eurem Hilfsmittel gedanken- oder rücksichtslos umgehen! Ihr seid vollkommen richtig, wenn ihr euch wehrt!
Im Herbst fahre ich nach vielen Jahren mal wieder richtig lange in den Urlaub – ich wünsche mir bedachte und rücksichtsvolle Flughafenmitarbeitende, die verantwortungsbewusst mit meinem E-Rollstuhl umgehen. Denn ich liebe es, die Welt zu entdecken.
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Suse Bauer erschienen.
4 Antworten zu ““Mein Rollstuhl ist ein Teil von mir!” #disabledairlinehorror”
Das ist eine interessante Idee. Breche ich einem nicht behinderten Menschen die Beine, dann ist es Körperverletzung. Also müsste es auch so sein, wenn ich einen behinderten Menschen den Rollstuhl zerstöre, dann ist es auch Körperverletzung, denn der braucht den Rollstuhl zur Fortbewegung, wie eben ich die Beine.
Gut gedacht und gesagt. Bravo!
Danke für den anregenden Beitrag. Ich wollte schon offline gehen, ich bin müde, aber der Beitrag hat mich auf die Idee gebracht, wie das wäre, wenn jemand mit Rollstuhl mich morgen auf dem Weg ins „tiefe Dorf“ von Lichterfelde-Süd aus, reisend begleiten wollte. Ich wohne ebenerdig, d. h. es ginge vergleichsweise leicht nach draußen, drei Stufen könnten per Rampe überwunden werden, die müsste beschafft werden. Der Gehweg ist holprig, mit dem Rollstuhl fährt man besser auf der Straße, es geht frühmorgens um halb 6 los, da kann man sich noch erlauben, auf der Straße zu fahren, ich weiß es, ich ziehe meine Koffer dann auch über den glatten Asphalt und nicht über das Kopfsteinpflaster. Der S-Bahnhof Lichterfelde-Süd hat, so nehme ich es wahr als Fußgängerin, die diese nur gelegentlich nutzt, ich würde gerne wissen, wie Rollstuhlfahrer dies beurteilen, zwei Aufzüge, die recht gut funktionieren, die S-Bahnen 25/26 haben, so wie ich es wahr nehme einen tiefen Einstieg, also das ginge.
Ich steige immer an der Friedrichstraße aus, um zum Hauptbahnhof umzusteigen. Weil ich das Aufzugsystem unübersichtlich finde, nehme ich immer ein paar Stufen und dann den Aufzug zur S7 usw. zum Hauptbahnhof. Ich weiß nicht, wie ich überhaupt, wollte ich ausschließlich Aufzug fahren, zur S7 käme?
In die S-Bahnen zum Hauptbahnhof geht es, so ist meine Wahrnehmung, aber stimmt die? – eher leicht. Noch nie aber habe ich diese für mich schwer zu verstehenden Aufzüge am Hauptbahnhof benutzt, entweder es dauerte ewig bis überhaupt einer kam oder ich war verwirrt, wo ich raus muss. Hier fahre ich, weil ich es einfacher durchschaue, Rolltreppe. Ein Reisender mit Rollstuhl ist dazu verdammt, den Aufzug zu nehmen. Findest Du das einfach mit dem Aufzug, Raul?
Ich bin in technischen Sachen schnell unmotiviert, müde und nehme statt dessen Kosten und körperliche Anstrengung in Kauf, weshalb ich gar nicht richtig weiß, wie das Reisen für jemanden ist, der es „im Kopf“ haben muss weil er es „in den Beinen“ nicht „hat“ – es gibt da ja diesen dussligen Spruch: „Was man nicht im Kopfe hat, muss man in den Beinen haben“ – auf mich trifft der partiell wohl zu – aber was macht derjenige, der vom Kopf her so drauf ist wie ich, und es nicht „in den Beinen hat“?
Gut: Hauptbahnhof erreicht. Wie ist das, wenn Du Brötchen oder sowas kaufen willst? Die Theken sind ja alle hoch, wie setzt man sich da durch?
Gleis 13/14 ist direkt neben den Brötchen, wir aber stellen uns wieder am Aufzug an – wir bräuchten mehr Zeit, viel mehr Zeit, denn die Aufzüge sind langweilig. Dann führen wir bis Hamm – ich überlege jetzt, wo Du sitzt, Raul? Mit Rollstuhl kriegtest Du vielleicht so ein Abteil, wie das auch Mütter mit Kindern kriegen, also dieses Platzangst befördernde „geschlossene Abteil“, ich käme mit und schwitzte wegen der Enge vor mich hin und Du vielleicht auch, wenn Du die so belastend fändest wie ich. Im Großraumabteil, geht das mit Rollstuhl? In Hamm gibt es Aufzüge, kein Problem, bis Münster kämen wir schon. Wie gehst Du zur Toilette im Zug? Ich stelle mir selbst oft vor, wie ich mir Zähne ausschlage beim Geruckel im Bad, ich gehe vorzugsweise auf das „große“ Klo – da ist Platz, im Zug ist aber meistens das Handwaschbecken trotzdem hoch, die Seife auch, das Papierhandtuch auch. Wir kämen in Münster an – Münster hat auch Aufzüge, jetzt müssten wir bis Billerbeck – geht schon, denke ich, müsste gehen. Aber dann… Von Billerbeck kommt man nicht in mein Dorf. Wir könnten über Coesfeld fahren, wird aber teurer, im Linienbus könnte es schwierig werden, ich weiß nicht, ob der Bus auf Rollstuhlfahrer eingerichtet wäre. In Billerbeck könnte man einen Taxibus bestellen, der ist, glaube ich aber noch teurer, ich weiß es nicht genau. Taxi ginge auch, wäre aber noch noch teuer.
Mich holt morgen meine Schwester ab – mit dem Auto – wie kommst Du mit deinem Rollstuhl in ein Auto, Raul? Geht das, welches Fahrzeug bräuchtest Du, hast Du Erfahrungen mit Taxis, kommen da die Passenden, fährst Du Bus, wie ist das?
Kämen wir nun irgendwie bei mir Zuhause an – könntest Du nicht rein, das Haus meiner Herkunft ist nicht barrierefrei. Mir fällt auf, dass ich nicht weiß, ob es eine Unterkunft gibt, die Du barrierefrei nutzen könntest in meinem Herkunftsdorf – das Seniorenheim wie auch betreutes Wohnen, ich wüsste nicht, dass die an Reisende vermieten und ob Du Dir das vorstellen könntest.
Mir fällt auf, dass Du ins „tiefe Dorf“, jedenfalls in meines, kaum hin kommen könntest – Du verpasst nicht viel, das sei zum Trost gesagt.
Wo reist Du denn hin und wie ist das so, ich würde mich über Deinen Reisebericht, wenn Du im Herbst reist, wirklich freuen!
Dein Gedanke zu dem
Thema gefällt mir sehr und vermittelt eine andere Sichtweise auf Hilfsmittel.
Ich selber habe keinen Rollstuhl. Ich bin jedoch auf eine Brille angewiesen. Diese wurde während eines Volleyballspiels kaputtgemacht. Natürlich war das nur ein Versehen, aber es wurde von der Haftpflichtversicherung als Sachbeschädigung bezeichnet. So wird das sicherlich auch bei einem Rollstuhl sein.
Schliesst man den Aspekt der Körperverletzung ein, der ja dann eine Folge der Sachbeschädigung ist, wird viel mehr darauf hingewiesen, dass Hilfsmittel eben nicht nur irgendwelche Mittel zur Defizitkompensation sind, sondern Dinge, die das Wohlergehen und die Gesundheit eines Menschen garantieren oder befördern können. Ein sehr interessanter Gedanke, fände doch ein kleiner Paradigmenwechsel statt!
Die Annahme mit der Körperverletzung stimme ich dir zu.
Meine Überlegung wäre ob man das nicht sogar als eine schwere Körperverletzung (StGB §226) werten kann . Denn der 3. Satz bezieht auf die Auswirkungen der Verletzung, welche zu einer Behinderung führt. Man kann das auch auf schon behinderte Menschen beziehen, weil das Hilfsmittel ja den Menschen dazu veranlasst nicht behindert zu sein bzw. besser damit klar zu kommen und ohne dieses Hilfsmittel fällt der Mensch stärker in diese Behinderung