Zum Tanzen in den Keller gehen

Ist Inklusion nicht dann erfolgreich, wenn man sie nicht mehr benennt? Und führen manche gut gemeinte Inklusions-Aktionen nicht sogar zur Exklusivität? Raúl Krauthausen hat in den letzten Wochen viel darüber nachgedacht.
Nach der Veröffentlichung meines letzten Artikels wurde ich öfter gefragt, was mir denn an dem Inklusionstanz nicht gefällt? In dem Artikel hatte ich es am Ende schon angedeutet, aber die Antwort war sehr verkürzt, und ich habe deswegen ein bisschen länger darüber nachgedacht. Seitdem das Wort „Inklusion“ die Welt erblickte und zu einem politischen Baby geworden ist, werden besonders oft Menschen mit Behinderungen gefragt, was für sie denn Inklusion bedeutet. Ich antworte dann gerne, dass auch zu mir Busfahrer unfreundlich sein sollen oder ich auch mal in einer Schlange stehen will. Denn nur weil ich im Rollstuhl sitze, möchte ich nichts Besonderes sein. Weder im Alltag noch in der Politik. Daher sind Busfahrer manchmal „inklusiver“ als einige gut gemeinte Veranstaltungen.
Ein bisschen Unverständnis
Deswegen ist auch der Inklusionstanz für mich ein bisschen unverständlich. Denn der Inklusionstanz ist ein Tanz, den es nicht geben dürfte. Denn es geht hier um Alltag und nicht um eine Tanzveranstaltung. Ich habe dann Bedenken, dass daraus eine Exklusivität entsteht: eine „Randgruppe“ (schlimmes Wort) tanzt dafür, um damit ihren Willen zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe zu demonstrieren. Der Tanz und das Video sind toll gemacht, der Song von Andreas Bourani passt dazu, aber genau diese exklusive Rolle möchte ich nicht einnehmen. Ich frage mich dann immer, ob es auch einen Bartträgertanz oder einen Arbeitslosentanz gibt?
Der Tanz ist nur ein Beispiel, und natürlich kann man auch argumentieren, dass in dem Tanz auch Nicht-Behinderte vorkommen und per Definition auch Inklusion für alle da ist. Aber je mehr man nur diesen Begriff betanzt und dabei Behinderte auftreten, umso mehr werden sie mit dem Begriff definiert werden, als Nicht-Behinderte.
Homer Simpson sagte mal in einer Folge: „Was soll mir schon passieren? Ich bin gelb, männlich und im besten Alter. Ich regiere die Welt!“, und leider hat er damit Recht (bis auf die gelbe Hautfarbe). Verschiedene Gruppen (wie zum Beispiel Männer) werden nie einen Tanz brauchen, um ihren Anspruch in der Gesellschaft geltend zu machen. Die Gruppen, die um Anerkennung in der Gesellschaft kämpfen müssen, können durch Veranstaltungen, Tänze, Demonstrationen noch mehr auf ihr Defizit beschränkt werden oder ihr auch ein Alibi geben á la: „Ja schaut mal, es gibt doch Veranstaltungen für euch.“
Gratwanderung zwischen „gut“ und „gut gemeint“
Doch was will ich eigentlich? Es ist immer einfach zu schreiben, was einen an anderen Projekten stört, und mir ist es auch ganz wichtig festzuhalten, dass es gut ist, wenn es überhaupt Projekte gibt und Personen oder Gruppen etwas machen, weil nur Aktionen uns weiterbringen, die nicht schon in der Planung sterben. Wir bei den SOZIALHELDEN probieren deswegen auch vieles aus und arbeiten dann mit dem konstruktiven Feedback weiter. Uns fällt dabei auch auf, wie schwer die Gratwanderung zwischen einem „guten“ inklusiven Projekt und einer „gut gemeinten“ eher exklusiven Idee ist. Gerade war ich mit meinen Kollegen Lili und Andi an der d.school in Potsdam, bei der zwei Studentengruppen Projekte entwickeln sollten, die Behinderungen kommunizieren, die im Alltag oder in den Medien vorkommen könnten. Die Ergebnisse sollten aber nicht als Projekte für Behinderte erkennbar sein.
Viele Ideen
Eine Idee war die Veranstaltung eines komplett barrierefreien Festivals, was ja eigentlich schon so der Anspruch an ein Festival wäre, aber wir wissen ja, wie weit Anspruch und Realität auseinander liegen können. Wir kamen jedoch auch schnell zu den Fragen: Ist das dann nicht exklusiv, oder kann es zu sehr die Diskussion nur auf Menschen mit Behinderung konzentrieren, anstatt die Kunst und Kultur zu zeigen? Nach vielen Diskussionen wollten die Studenten dann eher den Weg verfolgen, wie man bestehende Festivals barrierefreier machen kann, also wie man den Eventmanager dazu bringt, überhaupt über die Frage nachzudenken, und wie man es mit anderen künstlerischen Darbietungen, wie einem Deaf Slam, bereichern kann. Als ein kleines Puzzleteil in dem großen Festival. Das Wort Inklusion würde nirgends fallen, aber vielleicht wäre das der Erfolg?
Nun gut, genug gegrübelt. Ich gehe jetzt weiter tanzen. 😉
Dieser Text entstand für das Inklusions-Blog der Aktion Mensch.



5 Antworten zu “Zum Tanzen in den Keller gehen”

  1. Neulich war ich in der Bundeskunsthalle in Bonn in der spektakulären Ausstellung „Schätze der Weltkulturen“. Zur Ausstellung gibt es eine Broschüre, die über das Begleitprogramm informiert. Unter der Überschrift „Inklusion“ werden da Führungen in Gebärdensprache angekündigt. Ähem, so stelle ich mir ein inklusives Angebot irgendwie nicht vor.
    In der Ausstellung selbst wurde bei der Gestaltung der Vitrinen offensichtlich nicht an Rollstuhlfahrer gedacht. Auch nicht an fußschwache Besucher, denn es sind keine Sitzgelegenheiten in die Ausstellungsräume integriert. Es läuft ein Film ohne Untertitelung. Die Schrifttypen der Ausstellungstexte sind zierlich und eine ältere Besucherin musste daher die Aufsicht bitten, ihr die Texte vorzulesen. Ob der Audioguide so konzipiert wurde, dass er für Blinde ein echtes Angebot darstellt, kann ich nicht beurteilen, da ich ihn nicht ausgeliehen habe. Wohl eher nicht.
    Was Inklusion bedeutet, wurde von den Damen und Herren der Bundeskunsthalle leider missverstanden. Tststs.
    Aber: Im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart geht’s doch. Im Mai 2012 eröffnete da die neue Dauerausstellung: Mit Texten in Brailleschrift, mit höhenverstellbaren Monitoren, mit Vitrinen in allen möglichen Augenhöhen, mit einer eleganten Rampe für alle (also keine Treppe daneben), die die beiden Geschosse mit einander verbindet. Wer nicht drauf angewiesen ist oder extra drauf achtet, merkt’s nicht: ganz schön inklusiv.

  2. Inklusion ist ein „wunderbar“ beflügeltes Wort.
    Es wird für alles mögliche genutzt.
    Viele Bücher gibt es dazu, diese dienen oftmals nur einem- dem Umsatz für die Verfasser.
    Liest man diese Bücher, so kommt man aus den Wirren nicht mehr raus.
    Meine Mitstreiter und ich fragen uns oft, was die Verfasser nun eigentlich bezwecken wollten.
    Da wird in fachlichem Kauderwelsch geschrieben, mit sozialpädagogischen Ansätzen um sich geschmissen- obwohl in der Zusammenfassung/ Einleitung steht, das sich die Bücher an alle Menschen richten.
    Ganze wohlmeinende Luftschlösser werden erdacht die nicht einmal die Menschen ohne Behinderung erreichen- wir alle können nicht fliegen!
    Auch befürchten wir, das sich das Wort Inklusion recht bald abgenutzt hat- weil es nicht im ursprünglichen Sinne verwendet wird.
    Das zeigt Herr Krauthausens Beispiel mit dem Inklusionstanz.
    Für mich gehört diese Veranstaltung in die Kategorie
    Ü30/ Ü40/ Senioren/ Single usw.- der reinste Firletanz!
    Alle bleiben schön unter sich, es wird von vorn herein reglementiert wer an dieser Party teilnehmen soll.
    Ich gehöre nicht zu denjenigen, die solche Veranstaltungen bevorzugt.
    Mir ist das viel zu verkrampft.
    Ich warte auf den Tag, an dem die Werbung den Begriff Inklusion für sich entdeckt und uns als „dankbare“ Zielgruppe.
    Dann gibt es wohlmöglich ein Inklusionsbier, einen Inklusionskeks, eine für alle fahrbare Sonderedition „Golf Inklusio“, u.v.m.
    Mit dem missverständlich gebrauchten Begriff Inklusion ist es wie mit der neuen Knigge-Regel zum Niesen:
    Wenn eine/r niest, sollte auf gar keinen Fall „Gesundheit“ gesagt werden.
    Das rückt Betroffene/n ungewollt in den Fokus und ändert ad hoc nicht viel an der roten, triefenden Nase.
    Betroffene/r muss sich dann auch noch dafür bedanken das alle auf den gepeinigten Zinken starren.
    Mit dem Wort Inklusion sollte bedachter umgegangen werden!

  3. Kunst muss aus dem Keller raus…ohne Inklusion…aber mit und für ALLE, z.B. mit einem Mail Art-Projekt: Behinderte Zukunft 4.0:
    Wie sieht die Zukunft aus?
    Wie sieht Behinderung aus?
    Wie bringen wir das zusammen?
    …und was kann das web 4.0 damit zu tun haben?
    Seit der Filmemacher Werner Herzog den Film „Behinderte
    Zukunft“ über behinderte Menschen in München präsentierte, sind über 40 Jahre
    vergangen.
    Viel hat sich getan seitdem: Aktion Sorgenkind, Aufbruch, Teilhabe, Inklusion sind hier Stichworte.
    Denken wir uns 40 Jahre weiter, was mag noch alles kommen und was nicht?
    Wie sind unsere Wünsche, unsere Erwartungen?
    Entwickelt künstlerische Visionen zum Thema „Behinderte
    Zukunft 4.0“ und sendet sie als klassische Mail Art, selbstverständlich auch als E-Mail-Art an:
    Dieter Tretow
    Art-Assistenz
    Christoph-Probst-Weg 19
    20251 Hamburg
    dtretow@artassistenz.de
    https://www.facebook.com/ArtAssistenz
    Ich möchte alle Menschen (zeig mir einen, der nicht
    behindert wird) dazu ermuntern, sich kreativ und künstlerisch mit ihrer zukünftigen Situation auseinanderzusetzen. Nimm diese kreative Herausforderung an und beschreibe
    dein Zukunftsverständnis künstlerisch!
    Von Acrylfarbe bis Zettel sammeln, alle Techniken und Ideen sind erwünscht, um sich diesem Thema zu nähern.
    Getreu einem Mail Art-Gebot werden alle
    angekommenen künstlerischen Objekte gezeigt, im virtuellen Netz und offline in geeigneten Ausstellungs-räumen.
    Das Projekt endet am 31.12.2013.
    Bitte beachtet, es ist keine Rücksendung der
    Kunstwerke vorgesehen.
    Los geht’s und stürmt die Mailboxen.
    Euer Dieter Tretow

  4. Guten Morgen Raul Krauthausen, der Tagesspiegel Checkpoint, heute dank Nina Breher, regt mich an, hier nach fast 8 Jahren seit der Veröffentlichung, zu kommentieren. „Inklusionstanz“ – da soll aktuell das Tempelhofer Feld für herhalten, barrierefrei, denn es ist auch Sommer. Kalle Harberg schrieb 2013 „Ein Flughafen unter Dampf“, es ging um den damaligen Chef der „Tempelhof Projekt GmbH“ Gerhard Steindorf, „Bread & Butter“ tanzten an, Platz war ja da, Gerhard Steindorf erklärte:
    „Insgesamt stehen 300 000 Quadratmeter – davon 70 000 überdacht – zur Verfügung. […] Langfristig kann das die beste Präsentationsfläche in der Hauptstadt werden – diese historische Kulisse mit dem neuen Park im Rücken.“
    Ich bin zwar friedlich, aber nicht mehr ganz jung und sehe die Staatsoper unter den Linden auch als „beste Präsentationsfläche“ an, z. B. für Schwanensee, und nein: Ich werde keine Mailboxen mit meinem selbst getanzten Schwan-Video stürmen, wie Dieter Tretow 2013 empfahl. Ich möchte den Tanz der Tänzerinnen und Tänzer genießen. Menschen wie Ralf Stabel machen solche Aufführungen zu einem Genuss, denn die ehemaligen Schülerinnen und Schüler können das, was mir so gut gefällt, weswegen ich bereit bin, auch etwas tiefer in den Geldbeutel zu greifen, um eine Eintrittskarte zu kaufen.
    Aber Berlin ist ja nicht „55“ und ist mit etwas Geld auch nicht sexy – damals 2013 schwärmte Gerhard Steindorf vom „Park im Rücken“, derselbe könnte nun „in den Rücken“ fallen als „Berliner Tanze“ – von Inklusion spricht man gerne, wenn sie umsatzversprechend und wenig aufwändig daher kommt. Nebenbei wird die Geschichte platt getanzt: „Das ist Adolfs großer Flughafen“, erinnerte Gerhard Steindorf 2013 ein Plakat am Flughafen Tempelhof, die „Bread & Butter“ war damals die freakige Antwort auf die gesetztere „Fashion Week“, so wie heute der „Airport-Dance“ die freakige Antwort auf das „Staatsballett“ lautet.
    Inklusion ist das nicht, es ist der Wettbewerb der Märkte, und der fragt als solcher vor allem eines nicht nach: Geschichte.
    Raul Krauthausen fragte zu Recht, warum es keinen „Bartträgertanz“ gebe, ich füge hinzu: Warum gibt es kein „Roth-Büchner GmbH“ Plakat am Tempelhofer Feld?
    Ein kurzer Sommer war der Sommer mit den „Kinos für Jedermann“, wie es am Potsdamer Platz mal zu finden war, dann kam doch noch Adolf Hitler, kühl wurde es. Grübe man am Tempelhofer Feld, es kämen gewiss Knochen zu Tage, auch Menschenknochen, vielleicht auch Keller.
    Hatte Kurt von Schleicher es „vertanzt“? Ich kommentiere später dank Tagesspiegel weiter.

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