Am letzten Sonntag war ich zusammen mit Suse Bauer (Redaktion von KRAUTHAUSEN – face to face) in spezieller Mission unterwegs: Auf Einladung der Piratenfraktion NRW durfte ich an der Bundesversammlung teilnehmen und den Bundespräsidenten mitwählen.
Ich hatte mir im Vorfeld einige Gedanken gemacht, ob ich das Delegierten-Amt wirklich annehmen sollte, denn an der Art der Wahl des Bundespräsidenten habe ich einiges zu kritisieren: Ist die bisher praktizierte wirklich die beste Art einen Bundespräsidenten zu wählen? Warum dürfen nur Auserwählte mitwählen? Warum muß der Bundespräsident mindestens 40 Jahre alt sein? Was ist mit der jüngeren Generation? Wo sind die Frauen? Menschen mit Migrationshintergrund? Menschen mit Behinderung?
Denn unter den Wählenden und den Kandidaten dominierte eindeutig der Typus: Alter, weißer, heterosexueller priviligierter Mann.
Aber meine Neugier siegte und im Grunde war ich ja stellvertretend für viele Menschen mit Behinderung eingeladen worden und kann euch jetzt berichten:
Am Vorabend gab es ein nettes Abendessen mit den @20piraten und ihren Gästen – unter anderem Rayk Anders und Tilo Jung -, die am Folgetag den Bundespräsidenten zur Vollversammlung gemeinsam mitwählen durften.
Zwei großartige Menschen. Ich fühle mich geehrt, sie persönlich kennen lernen zu dürfen. Tolle Gespräche mit #Pispers und @raulde pic.twitter.com/ecaICriThW
— Patrick Schiffer (@pschiffer) 11. Februar 2017
Der Wahlsonntag begann mit einem feierlichen Gottesdienst in der Sankt-Hedwigs-Kirche, an dem allerhand Promis und natürlich auch die Polit-Elite teilnahm. Ich musste ein bisschen grinsen, als man mich in der Kirche direkt hinter Schäuble platzierte.
Wer mich kennt weiß, dass ich Agnostiker bin. Die Predigt von Dr. Martin Dutzmann war allerdings auch für Nicht-Gläubige und gerade für Politiker treffend – das biblische Gleichnis des guten Hausherren nutzte Dutzmann um darüber nachzudenken, ob Menschen grundsätzlich nach ihrer Leistung bezahlt werden sollten – und nicht eher nach ihren Bedürfnissen. Eine durchaus inklusive Idee.
Danach ging es ins Paul-Löbe-Haus zum kurzen Treffen mit den Piraten – und dann schon ab in den Plenarsaal des Bundestages.
Insgesamt muss ich sagen, dass die Veranstaltung wesentlich lockerer war, als ich dachte. Die Stimmung war gelassen und man hatte viele Gelegenheiten sich mit anderen Gästen zu unterhalten. Die Rede von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert zur Eröffnung der Bundesversammlung, traf den Zeitgeist ziemlich gut: Sein Fazit, dass wir das Feld nicht den Populisten und Demagogen überlassen dürfen, richtete sich unter anderem direkt an die Leute der AfD. Ich weiß nicht, womit ich es verdient hatte – aber man hatte den Behindertenplatz direkt neben diesen unsympathischen Zeitgenossen platziert, so dass ich deren Reaktionen und Gepöbel live und in Farbe mitbekam.
Hier ein kleiner Videobericht:
Zwar wurde in den Reden wiederholt betont, dass die Vollversammlung “ein Querschnitt der Bevölkerung sei”, aber das kann ich so nicht bestätigen. Mir als Mensch mit Behinderung fehlten wesentlich mehr Betroffene. Es war schon auffällig, wie wenig Menschen mit Behinderung einem da begegneten.
Auch gab es beispielsweise keine Gebärdensprachdolmetscher.
Zwar war ich froh, als Stellvertreter für behinderte Menschen dagewesen zu sein, aber das reicht einfach nicht aus. Auch fehlten mir andere sog. Minderheiten, wie z.B. von Armut Betroffene oder geflüchtete Menschen.
Im sogenannten Pressezentrum der Bundesversammlung hatte ich die großartige Gelegenheit auf ein kurzes Gespräch mit Carolin Kebekus. Und lud sie in meine Talkshow KRAUTHAUSEN – face to face ein. Wenn das klappen würde – das wäre doch was. Sie drehte bereits gemeinsam mit Martin Fromme und Samuel Koch.
Außerdem liefen mir über den Weg:
Olivia Jones
Kathrin Göring-Eckardt
Cem Özdemir
Die Kanzlerin
Schon wieder Herr Schäuble
Der Bundespräsidentenkandidat der Freien Wähler: TV-Richter Alexander Hold
Und noch viele, viele weitere Politiker.
Spannend war es auch zu sehen, wie die verschiedenen Nachrichten-Dienste emsig wie im Bienenstock sofort alles vor Ort verarbeiteten, sich um die Promis drängten – und in Promi-Pausen fast in Zeitlupe verfielen und wartend erstarrten.
Emsig (mit Veronica Ferres, die auch mitwählte)
Warten (mit Iris Berben, auch Mit-Wählerin)
Und als wir gerade gehen wollten, lief uns unser neuer Bundespräsident über den Weg. Ich habe ihn zwar nicht gewählt, aber wollte ja auch nicht unhöflich sein 😉
Auch wenn ich ein bisschen das Gefühl hatte, dass ich in dem Moment als Quotenbehinderter herhielt und Päsident Steinmeier sich sozial zeigen konnte…
Ein mir unbekannter CSU-Politiker beendete diesen beeindruckenden aber auch obskuren Wahltag, als er lachend auf den frischgebackenen Bundespräsidenten zeigte und mir zuzwinkerte: “Warum klatschen die denn alle, hat der im Lotto gewonnen?”
Tja. So in etwa…
(sb)
Fotos: Suse Bauer
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8 Antworten zu “Einmal Bundesversammlung und zurück: Wie ich den Bundespräsidenten (nicht) wählte”
„Quotenbehinďerter“ . Genial. ;o))
Der Bericht von Raul Krauthausen zeigt die Wachsamkeit, die man aufbringen sollte in einer SOLIDARISCHEN GESELLSCHAFT – die sich Federstrich um Federstrich – aufgelöst hat. Die Reden – konzipiert und zusammengenäht nach einer Redaktionssitzung von x Redenschreibern – sie zeigen nichts, was Herzen bewegt, sie zeigen Kalkül und Absichtserklärungen, die schon x-mal gebrochen wurden. Ein BUNDESPRÄSIDENT, der so tief verstrickt ist in die Wirrungen der “ Hannover-Connection „, der HARTZ IV mit auf den Weg gebracht hat unter der Rädelsführerschaft von SCHRÖDER, MÜNTEFERING, FISCHER & Co, ist erpressbar und kann nicht Katalysator sein für eine zerbrochene Gesellschaft. Zu tief sind die Differenzen zwischen denen , die nichts mehr haben dürfen und denen , die raffen können, weil sie alles beherrschen: die LEGISLATIVE, die EXEKUTIVE und die JUDIKATIVE. Die zugesicherte GEWALTENTEILUNG wurde zur Beute von Kapital und Renditestreben, die RECHTSSTAATLICHKEIT ist aufgekündigt, der STAATSBÜRGER in seiner EIGENSCHAFT als TEIL des SOUVERÄNS wird domestiziert von einem STAAT, der sich von ihm – dem SOUVERÄN – gelöst hat und eigene GEWALT übt über das STAATSVOLK ! Ich nenne es HOCHVERRAT – de facto und de jure !
@ Rainer Kühne:
„de jure“ ganz sicher nicht.
„de facto“ … Dafür nennen Sie exakt 0 (NULL) Fakten in Ihrem Text
„de sensum“, das passt. Nach Gefühl. Nach Ihrem subjektiven Gefühl. Gefühlte Wahrheit.
Der Text sieht auch übelst nach rechpopulistischen copypasting aus.
Vor Allem die VERSALIEN gehen mir hart auf den Sack.
Ihren Hinweis darauf, dass Armut und Migration unterrepräsentiert sind, finde ich gut. An Schauspielern mangelt es jedenfalls nicht. 😎
Vielen Dank für Ihren interessanten Bericht hinter die Kulissen, lieber Raul Krauthausen.
Ich sah noch Bettina Bentele.
Was mir jetzt in dem Bericht sauer aufstößt:
Raul, wo sind denn die einfachen Leute, die auch mit gewählt haben?
Du zeigst auch nur Promis, wie es mich auch im Fernsehen schon genervt hat.
Mit Vertretern der AfD zusammen zu sitzen, stelle ich mir auch furchtbar vor.
Die Hamburger FDP-Abgeordnete Süding sah auch sehr leidend aus.
Lieber Raul,
ich finde dein Bericht gibt einen schlüssigen Eindruck auch meiner Erlebnisse wieder.
Vielleicht laufen wir uns ja in Schleswig-Holstein mal wieder über den Weg. Es würde mich freuen.
Piratige Grüße aus S-H
Toni Köppen
[…] Einmal Bundesversammlung und zurück: Wie ich den Bundespräsidenten (nicht) wählte: […]
Wer bestimmt denn die Bedürfnisse? Und nach welchem Schlüssel? Und wer will diese Bürokratie? Als ob der Staat nicht schon aufgeblasen und teuer genug ist!
Meine Güte, wie oft muss diese Ideologie noch direkt vor unseren Augen krass und mörderisch scheitern, damit die Leute Sozialismus endlich, ENDLICH abhaken und dahin werfen, wo sie hingehört: auf den Müllhaufen der Geschichte?