Im Herzen der Macht

Ohne sie geht bei Gehörlosen nichts: Dolmetscher*innen. Klar, ein bisschen Alltag hier, ein bisschen Alltag da geht auch ohne Verdolmetschung und wo Gebärdensprache gesprochen wird, geht’s auch so. Manche Gehörlose kommen auch gut mit Papier und Stift klar, manche können auch sprechen und verstehen Hörende auch ohne Übersetzung. Trotzdem gilt: Ohne Dolmetscher*innen bist du als gehörloser Mensch außen vor: Keine Teilhabe, kein Zugang zur Politik. Das hat seinen Preis.

In erster Linie ist es ein finanzieller Preis: Eine Stunde Dolmetschen kostet zwischen 55 und 75 Euro, Tendenz steigend. Im Ehrenamt und beim Einstieg in die Politik wird das nicht bezahlt. Ohne Dolmetscher*innen erreicht man hier nichts. Dem „mit uns statt über uns sprechen“ steht da vieles im Weg. Auch dass gehörlose Aktivist*innen sich wenig mit anderen Behinderteninteressenvertreter*innen vernetzen, wird hier seine Gründe haben. 

Zweitens ist es ein psychologischer Preis. Das Wissen um die eigene Abhängigkeit von anderen Personen kann ganz schön belasten. Wenn du immer hoffen und bangen musst, dass jemand anders Zeit hat. Wenn du deine Termine nicht nur von der Verfügbarkeit von Arzt und Anwalt abhängig machst, sondern auch von anderen Leuten. Die dann meist ausgebucht sind. Oder du kein Geld dafür von Kostenträgern bekommst. 

Und weil aller guten Dinge drei sind – oder eine Kombination aus den ersten beiden Dingen – gibt es auch etwas, was ich einen psychologisch-finanziellen Preis nennen will. Das Wissen, dass man selber wenig oder nichts verdient (in den USA sind nur 40% der Gehörlosen in Vollzeit beschäftigt) und die Person, die für einen dolmetscht, innerhalb weniger Stunden mit einem Hartz IV-Regelsatz nach Hause geht, kann ganz schön zermürben. Oder dass die eigene Dienstleistung, etwa ein von Gehörlosen angebotener Workshop, sich zu 30% aus eigenem Honorar und zu 70% aus Verdolmetschungskosten zusammensetzt.

Ich glaube, alles zusammen ist ein großer Frustfaktor. Das ist natürlich nicht die ganze Geschichte. Es gibt natürlich Dolmetscher*innen, die sich in der Community engagieren, die ehrenamtlich arbeiten, die etwas zurückgeben. Und ich bin auch der Meinung: Jede*r Dolmetscher*in, di*er im Einsatz gesehen wird, ist ein Plus für die Gebärdensprachcommunity. Letztendlich ist es wie beim Klimawandel. Nicht der Einzelne ist das Problem, sondern das System. 



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