Wann du als behinderter Mensch über Assistenz nachdenken solltest.


Assistentinnen und Assistenten können das Leben von Menschen mit Behinderung erleichtern. Bereiten alltägliche Situationen zunehmend Schwierigkeiten, lohnt es sich, über diese Form der Unterstützung nachzudenken.
Den wenigsten Menschen fällt es leicht, sich einzugestehen, dass sie bestimmte Dinge im Alltag nicht alleine erledigen können. Natürlich holen sie einen Klempnerin, wenn die Toilettenspülung nicht mehr funktioniert, oder lassen die brummende Waschmaschine von einem Profi reparieren. Wenn es aber um vermeintliche Kleinigkeiten geht, etwa eine Gardinenstange anzubringen, oder eine neue Kommode aufzubauen, bitten die Wenigsten um Hilfe. Vielleicht holen sie sich einen Freundin als Unterstützung dazu.
Anders gestalten sich solche Aufgaben für Menschen mit Behinderung. Für sie kann es bereits eine unüberwindliche Hürde sein, auf Toilette zu gehen, die Geschirrspülmaschine auszuräumen oder den Müll raus zu bringen (hallo Stufen!) – von der Gardinenstange ganz zu schweigen. Damit sie so selbstbestimmt wie möglich leben können, benötigen einige behinderte Menschen Unterstützung durch Assistent*innen. Dazu müssen sie sich jedoch auch eingestehen, dass sie bestimmte Dinge nicht alleine bewältigen können – und das fällt Menschen mit mindestens genauso schwer, wie Menschen ohne Behinderung. (Ich weiß, wovon ich schreibe, denn ich habe selbst oft genug versucht, meine Behinderung zu ignorieren.)

Wann Assistenz hilfreich sein kann

Ob und wann eine helfende Hand sinnvoll ist, muss jede*r selbst entscheiden. Wer noch zögert, ob er oder sie Unterstützung braucht – oder möchte -, für den oder die lohnt sich möglicherweise eine Checkliste wie diese:

  • Wobei und wann brauchst du Unterstützung?
    Ganz am Anfang steht die Frage, bei welchen Tätigkeiten und zu welcher Tageszeit man am ehesten Hilfe braucht. Nur so lässt sich auch jemand Passendes finden. (Mehr dazu erfahrt ihr in meinem Artikel „Auf der Suche nach der passenden Assistenz – 11 Tipps für behinderte Menschen„.)
  • Stellen alltägliche Aufgaben wie Anziehen, Waschen, Kochen, Wäschewaschen oder Einkaufen bereits eine große Herausforderung für dich dar?
    Hier können Assistent*innen genau die richtigen Ansprechpartner sein, denn bei Bedarf schmeißen sie den Haushalt nach den Vorstellungen des Assistenznehmers. Das heißt nicht, dass die Helfer*innen bessere Putzkräfte sind. Sie sollen einem vor allem dann unter die Arme greifen, wenn man diese Dinge alleine nicht oder nur mit sehr viel Mühe hinbekommt. Denn gerade diese vermeintlichen Kleinigkeiten nicht eigenständig bewältigen zu können, führt zu Frust und Unzufriedenheit.
  • Droht regelmäßige Verletzungsgefahr bei alltäglichen Dingen?
    Für mich etwa kann es lebensgefährlich werden, wenn ich stürze. Deshalb benötige ich unter anderem Assistenz beim Duschen. Behinderungen sind ebenso vielfältig wie die Ressourcen, um mit ihnen umzugehen. Aber wenn sich jemand regelmäßig verletzt, ist unbedingt über Unterstützung nachzudenken. Dazu gehört übrigens auch, dass jemand seine tägliche Körperhygiene nicht bewältigen kann oder unter Unterernährung leidet, weil Einkauf, Kochen und Essen große Herausforderungen darstellen.
  • Nimmst du weniger am gesellschaftlichen Leben teil als früher und vereinsamt zusehends?
    Manchmal ist es ein schleichender Prozess. Der regelmäßige Kinobesuch fällt immer häufiger aus, der Kontakt zu Freunden und zur Familie nimmt ab oder das einst so heißgeliebte Hobby wird nicht mehr ausgeübt. Für Menschen mit Behinderung ist es oft anstrengend, solche Aktivitäten zu organisieren – gerade, wenn sie Ablehnung erfahren haben oder immer wieder auf bauliche und gesellschaftliche Hürden stoßen. Soll heißen: Sie wurden beispielsweise abgewiesen, weil der Veranstaltungsort nicht behindertengerecht ist oder sie haben die Erfahrung gemacht, wie ermüdend es ist, ohne Hilfe mit dem Rollstuhl über die unebenen Wege des Tierparks zu fahren. Auch seinen Liebsten nicht zur Last fallen, wenn diese einem zum Beispiel beim Toiletten- oder Treppengang helfen oder Orte ohne Treppenstufen auswählen müssen. Wer jedoch aus solchen oder anderen Gründen zunehmend vereinsamt, wird über kurz oder lang unglücklich. Depressionen und Ablehnung der eigenen Behinderung können die Folge sein. Hier kann Assistenz helfen. Sie übernimmt nicht nur die Unterstützung auf hügeligen Wegen, sondern begleitet den oder die Assistenznehmer*in auch zu Freizeitaktivitäten oder hilft beim Toilettengang. Das Ziel: Ein so selbstbestimmtes Leben wie möglich zu leben.
  • Sind Angehörige und Freunde zunehmend überfordert?
    Oft übernehmen Familienmitglieder und Freunde verschiedene Aufgaben, um dem behinderten Menschen zur Hand zu gehen. Doch für sie bedeutet das, verfügbar zu sein und ihre Freizeit zu opfern. Hiermit meine ich nicht, dass ein Kumpel, mit dem ich unterwegs bin, mal meinen Rollstuhl schiebt, sondern die alltäglichen Aufgaben wie Körperpflege oder Einkauf, die nicht behinderte Menschen ebenso wenig von ihren Freunden erledigen lassen. Denn das führt wiederum dazu, dass sich der behinderte Mensch fühlt, als stünde er in der Schuld seines Gegenübers. Mit seinem*r Assistenten*in ist dies etwas anderes. Zwischen Klient*in und Unterstützer*in herrscht ein professionelles Verhältnis. Der oder die Assistent*in wird vom Assistenznehmer bezahlt, um dessen Bedürfnissen gerecht zu werden. Es entsteht somit keine emotionale Schuldigkeit.

Wie gesagt, ob professionelle Unterstützung sinnvoll ist, muss jeder individuell entscheiden. Aber in vielen Punkten kann eine Assistenz das Leben erleichtern – ohne, dass hierfür die Selbstbestimmung aufgegeben oder eigene Bedürfnisse eingeschränkt werden müssen. Assistenz kann die eigene Freiheit und somit Lebensqualität massiv steigern und ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven ermöglichen. Treffen einer oder mehrere der genannten Punkte zu, ist es allemal eine Überlegung wert.
Aber, worauf solltest du achten, wenn du Assistenz brauchst? Wo beantragt man was? Wie findet man denn bloß die passende Assistenz?
Hier gibt es 11 Tipps für behinderte Menschen, die auf der Suche nach der passenden Assistenz sind.


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(Foto: Andi Weiland | Sozialhelden e.V.)



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