Mit Olaf Scholz zur Arbeit?

Nord-Mazedoniens Präsident Stevo Pendarovski begleitet Mädchen mit Down-Syndrom

Heute wird ein Geheimnis gelüftet: Menschen mit Behinderung sind nichts Besonderes und wollen auch nichts Besonderes sein. Wir wollen unsere Rechte, keine Extrawürste und spezielle Behandlungen. Auch nicht von einem Staatsoberhaupt.

Ich könnte mich jetzt unbeliebt machen, ein wenig. Denn ich krittele an einer Sache herum, die vielleicht grundgut gemeint war und alle ganz großartig finden sollten. Vor einem Monat las ich, wie Stevo Pendarovski, der Präsident Nordmazedoniens, einen „besonderen“ Spaziergang unternahm – und seitdem geht die Sache mir nicht mehr aus dem Kopf. 

Pendarovski war zu Ohren gekommen, dass einer Mitbürgerin Grundrechte vorenthalten wurden: Embla Ademi, 11, wurde in ihrer Schule mehrmals von ihrer Klasse getrennt, weil sie mit Trisomie 21 lebt und dies ein Problem zu sein schien; je mehr man über den Fall liest, desto mehr erfährt man von Eltern, die mit der Situation eines inklusiven Lernens haderten, und weniger von Mitschüler*innen. Das erlebe ich oft: Wo die Kids und Teenager schon längst miteinander klarkommen, stören dann Eltern mit abgehobenen Konzepten, sozialen Abstiegsängsten für ihre Kleinen und einem verstörenden Sozialdarwinismus.

Ademi wurde also aus dem Klassenraum verbannt, lernte allein im Schulflur, dann wurde ein erneuter „Versuch“ gestartet – und ein Boykott durch Eltern organisiert. So weit, so hässlich.

Pendarovskis Büro kriegte das mit, und das Staatsoberhaupt reagierte. Besuchte als gelungenen PR-Stunt die Familie Ademi und begleitete Embla Ademi auf ihrem Schulweg. Dann setzte er noch pathetische Statements ab: „In dieser Gesellschaft sind wir alle gleich. Ich bin hierhergekommen, um meine Unterstützung zu geben und das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Inklusion ein Grundprinzip ist“, sagte er. Und in einem Interview mit Bild-TV (Wo auch sonst?): „Es gibt immer noch so viele Stigmata, die diese Kinder immer noch begleiten“ – denn da waren die Bilder seines Spaziergangs längst viral & global gegangen und hatten einen Berichtsrausch aus verschiedenen Kontinenten ausgelöst, den das 2,1-Millionen-Einwohner-Land nur selten erlebt.

Pendarovskis Geste mag gut gemeint sein. Schließlich kritisierte er damit eine Verletzung von Menschenrechten und setzte ein Zeichen dagegen. Wenn man sich aber die Berichterstattung anschaut, legt sich eine Sauce aus Betroffenheitsschmalz über die Angelegenheit, die Missstände mangelnder Inklusion geraten dabei in den Hintergrund. „Großes Herz für die keine Embla“, heißt für RTL die Messlatte. Die kreiszeitung schrieb über Pendarovski, „der sich rührend für sie einsetzt“. Auch für bild.de war es ein „rührendes Zeichen“, die Redaktion titelte: „Präsident beschützt Embla (11) auf dem Weg zur Schule“; das klingt ein wenig nach „Rambo“ und „Bodyguard“. Das Rührende wurde schließlich bei bild.tv zu „berührenden Gesten“ gesteigert, dazu surrte ein gedämpftes Piano. Und die Moderatoren fragten den zugeschalteten Präsidenten dann ganz emotional: „Was ging Ihnen durchs Herz, als Sie von Embla gehört haben?“

Man könnte ja auch über die UN-Behindertenrechtskonvention sprechen, die auch Deutschland unterschrieb, lange die eigene Signatur ignorierte und nun bei der Umsetzung dieser Rechte für behinderte Menschen hinterherhinkt. Stattdessen gibt es das bekannte Muster: Zucker aufs Problem. Gefühl. Mit behinderten Menschen kann man halt so toll Mitleid haben. Diplomatisch ausgedrückt, ist diese Pornonummer nicht lösungsorientiert. Und direkter: Es ist ein Mittel, Menschen mit Behinderung weiter kleinzuhalten und die Gewährung von Rechten als etwas Großzügiges, eben rührend bis Berührendes darzustellen. Rechte aber sind verbriefte Garantien. Und wenn sie verweigert werden, kennt der Widerstand dagegen keinen Zuckerguss. Die Mitleidspose jedenfalls belässt Menschen mit Behinderung in der Objekthaltung, mit denen etwas gemacht wird, ihr Aktivstatus wird dabei hartnäckig umschifft.

Denn Pendarovskis Spaziergang bleibt eine Geste. Von Kanzler Olaf Scholz weiß man zwar, dass er leidenschaftlicher Jogger ist, aber er hätte schon eine Menge zu tun, sollte er bei jedem ähnlich vorliegenden Fall in seiner Republik zur Tat „schreiten“. Soll jetzt für jede und jeden ein mächtiger Beschützer her? Ehrlich, die Vorstellung, dass Scholz mich auf meinem Weg zur Arbeit begleitet, hat etwas Beklemmendes.

Im Fokus hat nicht eine Embla Ademi zu stehen, sondern jede und jeder, die diesen verdammten Boykott organisierten; mit denen könnte mal ein Spaziergang unternommen werden, um mit ihnen über ihr Menschenbild zu plaudern. Der mediale Umgang mit diesem Fall zeigt die Tendenz auf, behinderte Menschen besonders zu machen. Sie kriegt gar einen Präsidenten zur Eskorte! Dazu passt, dass in vielen Artikeln die Rede von „besonderen Bedürfnissen“ Embla Ademis die Rede war. Dabei sind solche Bedürfnisse immer konkret. Das angedichtete „spezielle“ oder „besondere“ aber verniedlicht eine Behinderung, an der übrigens nicht zu beschönigen gibt. Man lebt mit ihr. Mit ihr kommen gewisse Erfordernisse. All dies ist arrangierbar, machbar und nur besonders oder speziell, wenn man darin keine Selbstverständlichkeit sieht.



4 Antworten zu “Mit Olaf Scholz zur Arbeit?”

  1. Ich stimme mit allem überein. Seit langem kämpfe ich darum das Verordnungen in Schleswig-Holstein umgesetzt werden. Immer wieder fällt den Verantwortlichen alles mögliche ein, damit dies nicht umgesetzt werden kann.
    In SH wird die UN Behindertenrechtskonvention nicht umgesetzt.

  2. absolut super Beitrag! Ich bin so dankbar für deine eloquente und scharfe Analyse der Dinge. Ich selber, Mama einer kleinen Tochter mit Trisomie 21 fuchse mich schrittweise ins Thema – und jedes mal, wenn du wieder treffend und entlarvend die gesellschaftlichen Missstände bezüglich Behinderung (und anderer intersektionaler Diskriminierungsverhältnisse) aufzeigst bin ich erleichtert! Mir fehlen noch die klaren und ins Mark gehenden Worte und teilweise auch der Mut.

  3. Treffende Analyse.
    Was hätte man alles draus machen können: Sich z.B. fragen, wie denn die Situation in Deutschland ist – und dann wäre vielleicht aufgefallen, dass wir Helden darin sind, Behinderte, Alte, Gebrechliche, Sterbende zu verstecken und möglichst aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Wie viele Kinder kommen erst gar nicht auf eine Regelschule? Dann beschwert sich auch niemand und alles ist gut – außer für die Kinder.

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