“Menschen mit Behinderung müssen bitte draußen bleiben”. Barrierefreiheit auf freiwilliger Basis bedeutet leider nach wie vor: Viele behinderte Menschen haben keinen Zugang zu Banken, Ärzten, Restaurants und Erholungs- und Freizeit-Locations. Und auch Transportunternehmen wie FlixTrain scheinen Barrierefreiheit als Option zu verstehen – aber nicht als Umsetzung eines Menschenrechts.
Praktisch alle sind sich einig, dass Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden vorhanden sein sollte. Meldestellen, Gerichte und ähnliche Orte müssen grundsätzlich für alle Bürger*innen zugänglich sein. Der Gesetzgeber hat im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) klar festgelegt, wie Barrierefreiheit im öffentlich-rechtlichen Raum umgesetzt werden muss.
Wenn aber darüber diskutiert wird, ob man die Wirtschaft ebenfalls zur Barrierefreiheit verpflichten sollte, haben Regierung und die nicht behinderte Mehrheitsgesellschaft große Bedenken. Die dadurch entstehende finanzielle Belastung sei einfach nicht zumutbar. Deshalb überlässt man den Unternehmen selbst, ob sie Barrierefreiheit umsetzen wollen oder nicht. Selbst in der Novellierung des BGG 2016 konnte sich die Bundesregierung nicht zur Verpflichtung der Privatwirtschaft durchringen. Obwohl die von Deutschland mitunterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention ganz eindeutig “umfassende Barrierefreiheit” fordert.
Kein Zugang für Menschen mit Behinderung
Die Folgen im alltäglichen Leben vieler behinderter Menschen sind einschneidend. Ein entspannter Abend im Restaurant und danach ein Kinobesuch – in vielen deutschen Städten nicht möglich.
Noch gravierender: Viele Arztpraxen und Banken sind nicht barrierefrei.
Wenn ich mit dem Sachbearbeiter meiner Bank reden muss, bin ich gezwungen bei meiner Bankfiliale zu klingeln und das Gespräch vor der Tür auf der Straße zu führen. Nicht barrierefreie Geldautomaten lassen mir regelmäßig keine andere Möglichkeit, als wildfremden Menschen meine Geheimnummer zu verraten, damit sie für mich Geld abheben.
Bei der Forderung nach Verpflichtung der Wirtschaft zur Barrierefreiheit geht es nicht – wie so oft von Barrierefreiheitgegnern*innen angebracht – um den kleinen Zeitungsladen, der durch die entstehenden Kosten eines Aufzugeinbaus unweigerlich in den Ruin getrieben würde.
Es geht um Banken, Ärzte, große Läden, Restaurants, Transportunternehmemn usw., denen die Verpflichtung zur Barrierefreiheit durchaus zumutbar wäre.
Die Regierung blockiert
Im vergangenen Jahr hatten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine kleine Anfrage eingereicht zum Thema “Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft”. Dabei bezogen sie sich auf einen bereits 2015 von der Europäische Kommission vorgelegten „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen“, auf den sich die Mitgliedstaaten u.a. wegen der Vorbehalte der Bundesregierung seit mehr als 2 Jahren nicht einigen konnten. Die Antwort der Bundesregierung war desillusionierend und versprach weitere Verzögerungen: Natürlich unterstütze man die Richtlinie “ausdrücklich” – aber es gäbe nach wie vor zu viele Punkte, die konkretisiert werden müssten. Dabei galt die größte Sorge der wirtschaftlichen Belastung der Wirtschaft durch die Verpflichtung zur Barrierefreiheit. CDU, CSU und die SPD ignorieren mit dieser Sichtweise komplett die Erfahrungen von Staaten, in denen Barrierefreiheit für die Privatwirtschaft bereits Pflicht ist. Tatsächlich konnten die Unternehmen in Großbritannien, den USA und weiteren Ländern aufgrund von Barrierefreiheit ihren Kundenstamm erweitern und ihre Erträge steigern.
Einen Versuch etwas Schwung in das Thema zu bringen, versucht jetzt DIE LINKE und reichte im letzten Monat einen Antrag ein: „Menschenrecht auf Barrierefreiheit umsetzen – Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit verpflichten“.
Vollkommen zutreffend wies die ehemalige behindertenpolitische Sprecherin DER LINKEN Katrin Werner darauf hin, dass “ das Leben der Menschen (…) sich nicht nur in Bundesbehörden (ab)spielt.”
Kein Platz für behinderte Menschen im FlixTrain
Aktuell zeigt ein Beispiel aus der Wirtschaft, wie die fehlende Verpflichtung zur Barrierefreiheit behinderte Menschen ausschließt.
Unter dem Hashtag #bahnbrechend macht FlixTrain Werbung für sein extrem günstiges neues Angebot. Der Unternehmer FlixBus schreibt: “Grüne Züge und Mobilität für alle”.
Das klingt gut. Ebenso wie 9.999 Tickets für 9.99 Euro. Und das Versprechen, dass die zwei günstigen Zugstrecken mit den Buslinien verzahnt werden und damit eine gute, günstige Mobilität für alle Menschen in Deutschland möglich ist.
Da viele Menschen mit Behinderung nach wie vor Probleme haben, einen gut bezahlten Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt zu finden und oftmals in Werkstätten mit extrem geringem Lohn arbeiten müssen, sind ihre finanziellen Möglichkeiten oft sehr begrenzt. Sie wären also genau die richtige Zielgruppe für ein günstiges Transportangebot “für alle”.
Wenn man sich das Angebot von FlixTrain allerdings genauer anschaut, stellt man fest, dass hier ein Versprechen eindeutig gebrochen wird: Die Mobilität für alle.
In den FAQ der FlixTrain-Seite steht: “In den Zügen können nur Rollstühle befördert werden, die maximal folgende Maße von Breite 60 cm x Länge 120 cm und das Gewicht, zusammen mit Dir, von 350 kg nicht überschreiten.” Standard-Elektrorollstühle sind allerdings üblicherweise breiter und können somit gar nicht befördert werden.
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat hier klare Anweisungen:
Für Menschen in Aktiv-Rollstühlen, mit Gehhilfen o.ä. gibt es Transportmöglichkeiten, wenn man sich auf einen Bahnsitzplatz umsetzen kann. Das Hilfsmittel muss allerdings spätestens 36 Stunden vor Reisebeginn angemeldet worden sein. Nicht wirklich flexibel – aber immerhin machbar.
Ich fragte bei FlixTrain bezüglich der mangelhaften Barrierefreiheit nach und erhielt Antwort von Patrick Kurth, dem Leiter “Politik bei FlixTrain”: Da man nur zur Verfügung stehendes Wagenmaterial nutze und “ein großer staatsnaher Bahnanbieter” dafür sorge, dass das Marktangebot an Waggons sehr gering sei, ginge das auf Kosten der Barrierefreiheit.
Ein altbekanntes Argument vieler Unternehmen: An Barrierefreiheit wird oft als erstes gespart.
Man entwickle zusammen mit dem Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderte (BSK) und dem Deutschen Behindertenrat (DBR) ein Papier, in dem man gemeinsame Positionen und Forderungen manifestieren wolle – ein solches Dokument hätte es seines Wissens weder bei der Bahn, Luftfahrt oder Fahrzeughersteller bisher gegeben. Er bot mir ein Treffen an – das allerdings bisher nicht stattfand.
Was momentan feststeht, sind die Fakten: Ein nicht vollständig barrierefreies neues Transportangebot, das nicht wenige Menschen mit Behinderung ausschließt.
Gerade Unternehmen, die neue Mobilitätsangebote entwickeln, dürfen nicht ausgrenzend und diskriminierend planen. Stattdessen muss bereits in der Finanzierungsphase zwingend Barrierefreiheit mitgeplant werden. FlixTrain ist ein Beispiel dafür, dass die Privatwirtschaft dies nicht auf freiwilliger Basis macht – und deshalb von der Politik dazu gezwungen werden muss. Warum also lässt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ein neues, diskriminierendes Mobilitätsangebot zu? Die Antwort auf diese Frage bleibe ich euch schuldig – würde sie aber selbst gerne von unserem neuen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hören. Ebenfalls, wie er nun mit dem Problem umgehen möchte.
Ein Grund für uns alle, aktiv zu werden und den zuständigen Politiker, von dem ich bisher keine Stellungnahme zu Thema finden konnte, nach seinen geplanten Maßnahmen zu fragen:
Auch FlixTrain sollte lernen, dass Barrierefreiheit keine Lappalie ist:
(sb)
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Suse Bauer zuerst in leicht abgewandelter Form in „neues deutschland“ erschienen.
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2 Antworten zu “Freiwillige Barrierefreiheit in der Wirtschaft? Eine Illusion.”
Dein Text greift ein Thema auf, das mich regelmäßig auf die Palme bringt. Mein größter Aufreger ist allerdings die Umwandlung eines hannoverschen Cinemaxx-Kinos in ein edleres Astor-Kino, für die Herr Flebbe stolze 8 Millionen Euro ausgegeben hat. Ins alte Kino kam man nicht problemlos hinein, und – Überraschung! – ins sanierte auch nicht. Das Geld ist in Sound-Technik, Ledersessel, Teppiche, einen neuen Lounge-Bereich und Design geflossen, aber nicht ein einziger müder Euro wurde dafür ausgegeben, dass Menschen mit Behinderung ins Kino kommen. An der Außentreppe vor dem Haupteingang ist nach wie vor weder Handlauf noch Rampe; Menschen mit einem „B“ im Behindertenausweis können nicht vorab online Tickets kaufen und so die Warteschlangen vor den Kassen umgehen; vom Kassenbereich kommt man nur über Stufen ins Foyer; der neue Lounge-Bereich mit der Bar, wo die Begrüßungscocktails für die Gäste mit Logenticket ausgeschenkt werden, ist nur über Treppen zu erreichen, da er neu ins Gebäude eingefügt wurde, der alte (und serh enge) Fahrstuhl aber daran vorbeifährt. Das alles ist ein Unding und eine Zumutung. Und in der Ratspolitik interessiert es keinen Menschen.
Viele Grüße und viel Erfolg bei deiner Arbeit,
Ina
Sie sollten sich schämen um Rollstuhlfahrer und alle Behinderte Leute zu benachteiligen die gerne Ihren Flixrain nehmen möchten und keine Möglichkeit haben aus technischen Gründen.
Eine Gerechtigkeit gibt es“Sie werden auch mal älter,oder was man sich nicht wünscht ein Unfall,dann heisst es „Die Reue kommt immer zu spät“