Schönen Gruß von der #Risikogruppe

Corona legt offen: Menschen mit Behinderung brauchen jetzt dringend Solidarität. Doch in vielen Einrichtungen fehlt es daran – an Schutzmaterial und an Trennung zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten. Das zeigt ein Fall in Köln.

Als in China ein Virus bekannt wurde, sagten wir noch: Das ist weit weg. Als in Norditalien Ärzte plötzlich entscheiden mussten, wen sie beatmen lassen und wen nicht, sagten wir noch: Nicht bei uns. Und auch eine Meldung von dieser Woche, aus Spanien, löst den Reflex aus: Ja, aber wir…

In Spanien haben Soldaten in Altenheimen verlassene Bewohner*innen vorgefunden – das Personal war wegen der Corona-Krise abgezogen, und die Streitkräfte fanden einsame Leute vor, manche lagen tot in ihren Betten. Nicht bei uns möglich? Wer weiß das?

Hier eine aktuelle Meldung aus Köln, das liegt nun mittendrin: In einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung starb plötzlich eine 49-Jährige an Herzversagen, es handelte sich um eine Bewohnerin mit Down-Syndrom und Vorerkrankungen, eben Risikogruppe. Mit Covid19 hatte sie sich angesteckt, wie sich auch andere Mitbewohner*innen; die Einrichtung stand unter Quarantäne. „RP-Online“ fasst zusammen: „Der Zustand der Patientin sei nach ihrem positiven Testergebnis zunächst stabil gewesen. Das Gesundheitsamt habe sich täglich davon überzeugt und in engem Austausch mit dem Träger der Einrichtung gestanden. Am Freitag habe sich der Zustand der 49-Jährigen bis zum frühen Abend überraschend massiv verschlechtert. Ein Notarzt konnte der Patientin jedoch nicht mehr helfen.“

Wir sprachen mit Bärbel Brüning, sie ist Landesgeschäftsführerin NRW der Lebenshilfe, welche die Kölner Einrichtung betreibt. „Wir brauchen dringend Masken, Desinfektion für Hände und Flächen sowie Einmalhandschuhe und Schutzkittel“, beschwört sie.

„Wir schaffen es gerade so, uns ein, zwei Tage lang über Wasser zu halten, dann sind die Vorräte wieder aufgebraucht.“

Denn die Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind nicht im Fokus der Behörden. „Man hat total übersehen, dass es gefährdete Menschen sind und dass die Ansteckungsgefahr besonders gegeben ist“, sagt Brüning. Und schlägt vor: „Infektionszentren wären der richtige Weg. Entscheidend ist, Infizierte und Nicht-Infizierte trennen zu können.“ Denn die 14 in der Kölner Einrichtung Infizierten haben sich gegenseitig angesteckt. In solch einer Wohnung Infizierte von Nicht-Infizierten zu trennen, ist illusorisch.

Noch immer herrscht in Deutschland, bei aller gezeigten Vorsicht, eine Fahrlässigkeit. Dass wir Menschen mit Behinderung nun gewisse Schritte der Gesellschaft brauchen, fällt weithin unter den Tisch: Über die Zustände in Krankenhäusern wird berichtet, auch über die Notlagen in Pflegeeinrichtungen – aber Menschen mit Behinderung? Deren Situation bleibt unterbelichtet.

Dabei sind viele von uns mit einem größeren Risiko konfrontiert: Im Falle einer Infektion kann die Erkrankung heftige Konsequenzen haben; Menschen mit Lähmung, die schlecht abhusten können, Menschen mit eingeschränkter Lunge oder wie beim Fall in Köln – das Virus kann bei uns eher seine tödliche Kraft entfalten.

Wie kann es sein, dass Sozialeinrichtungen um die nötige Hygiene kämpfen müssen? Dass es nicht genügend Schutzmaterial gibt? Warum haben nicht alle Werkstätten für Menschen mit Behinderung sofort geschlossen, während Kitas und Schulen vorangingen? Pressekonferenzen zur Corona-Panepidemie wurden nicht in Gebärdensprache übertragen und Notfallnummern konnten von blinden Menschen nicht erkannt werden.

Dass Menschen mit Behinderung dort leben, wo das öffentliche Bewusstsein seinen blinden Fleck hat, ist uns bekannt. Aber jetzt nervt das nicht nur. Es tötet.

Wir von der #Risikogruppe sind darauf angewiesen, dass man sich in Deutschland an die Empfehlungen hält: Helft alle mit, dass sich das Virus nicht weiter verbreitet!

Und wir sind darauf angewiesen, dass Mindeststandards erfüllt werden: Die Wohngruppe in Köln hatte sich zurückgezogen, und dennoch erwischte es die 49-Jährige. Die Sozialdienstleister brauchen dringend Hilfe vom Staat, damit sie ihrer Arbeit weiter nachgehen können. Dies wird zur Stunde in Berlin im Bundestag verhandelt – gehandelt werden muss jetzt.



4 Antworten zu “Schönen Gruß von der #Risikogruppe”

  1. Hallo.mein Bruder arbeitet im Pflegeheim für gehörlose+behinderte Menschen. Zudem gehört er selbst aus gesundheitlichen Gründen zur Risiko-Gruppe. Dort gibt es kaum Schutzausrüstung. Ich mache mir große Sorgen um die Menschen+Pflegekräfte. Das kann nicht sein dass die Menschen im Stich gelassen werden. Sie leisten grosses! LG Steffi

  2. Lieber Raul, danke für deinen unermüdlichen Einsatz. Könnte man nicht eine Pedition über Change.org machen. Ich habe davon nicht viel Ahnung aber du vielleicht? Mein Sohn wird von 24 Stunden Assistenten betreut und ich denke, dass auch denen Schutzkleidung, Masken und Desinfektionsmittel fehlen. Ich selber habe Max seit vielen Wochen nicht mehr gesehen, weil ich große Angst habe, das Virus zu ihm zu tragen. Bleibt gesund! Mit großem Respekt und freundlichen Grüßen, Heike Krummeck

  3. Lieber Raul,
    Hier sind d. Werstätten seit 14 Tg zu.
    Wie es in d. Wohngruppen und Hauswohngruppen aussieht, weiß ich nicht. Höre aber von ehemaligen Klienten das es nicht so gut funktioniert. Die Mitarbeiter sind an ihren Grenzen.
    Hab selbst 25 Jahre im Stationären u. Ambulant gearbeitet. Bis vor 14 Tagen noch im Ehrenamt
    Jetzt darf ich nix mehr, da ich zur Risikogruppe gehöre, U 60, Diabetis u. COPD III B.

  4. Hallo Raul,
    danke für diesen Kommentar. Dem kann ich absolut zustimmen. Bei der Verteilung des Katastrophenschutzes wurde unsere Einrichtung total vergessen, dabei wohnen bei uns Menschen mit Behinderung und teils sehr vielen Vorerkrankungen. Diese Menschen gehen allesamt aufgrund ihres Alters nicht mehr in die Arbeit, sollten also zumindest was die Versorgung mit Schutzausrüstung angeht mit Altenheimen gleichgestellt werden. Aber nein, wir werden komplett vergessen. Und das obwohl wir doch noch mehr Bedarfe haben. Aufgrund der veralteten Behindertenhilfe gibt es bei uns Doppelzimmer. Bis zu sieben Personen teilen sich ein Badezimmer, die Zimmer sind so klein, dass sich dort keiner lange alleine aufhalten kann, das heißt ein Kontakt ist automatisch da. Aber nicht nur das Alter spielt eine Rolle, sondern auch die Vorerkrankungen, die fast jeden hier treffen. Zudem kann auch ein Unterschied zu anderen Einrichtungen, wie Krankenhäusern sein: Die Menschen wohnen hier und haben ihre ‚Wohnfamilie‘ hier, das heißt, dass Nähe immer auch dazu zählt und warum diese Nähe jetzt nicht mehr sein darf ist nur schwer zu verstehen.
    Ich hoffe, dass bald an uns gedacht wird.

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