Spätabtreibung: Sollten werdende Eltern von behinderten Kindern auch spät noch abtreiben dürfen?

In der Videoreihe Hirnwäsche von funk habe ich mich einem schwierigen Thema gewidmet: Spätabtreibung.
Ich begebe mich auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage, wann Leben lebenswert ist:

 
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4 Antworten zu “Spätabtreibung: Sollten werdende Eltern von behinderten Kindern auch spät noch abtreiben dürfen?”

  1. Ich würde während der Schwangerschaft mit meiner Tochter solange bearbeitet, bis ich einer Fruchtwasseruntersuchung zugestimmt habe. Würde ich nie mehr so machen. Es hat mich verunsichert ohne Ende. Es gab gar keinen Grund für so eine Untersuchung außer dem Alter. Ich war 37. Abgetrieben hätte ich sowieso.nicht. Aber allein der Gedanke, was bei der Untersuchung rauskommt, hat mich stark belastet

  2. Ich hab mir lang überlegt, ob ich diesen Kommentar schreibe, denn es ist ganz sicher ein sehr sensibles Thema, bei dem man leicht sehr persönliche Bereiche betritt.
    Ich mach es trotzdem, weil es mich einfach nicht losgelassen hat.
    Mich hat an der ganzen Diskussion das framing, die Prämisse sehr gestört. Was für mich als allgemeine Frage, auf die keine Antwort gefunden werden konnte hängen blieb war „Was sollen Frauen (wissen) dürfen?“ und ich find es immer sehr bedenklich, wenn ein solch wichtiges Thema im Endeffekt über den Körper der Frau (und anderer schwangerer Menschen) diskutiert wird und die Interessen zweier Gruppen, nämlich Frauen und Menschen mit Behinderung (von denen ja so knapp die Hälfte auch weiblich ist) einander konträr gegenübergestellt werden.
    Das ergab sich schon aus der unkritischen Präsentation der Rechtslage zur Abtreibung (btw, nein, auch ein (vermutlich) nicht behinderter Fötus darf nicht einfach abgetrieben werden. Es ist nur unter bestimmten Umständen straffrei), wo dieser unglaubliche Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht schwangerer Menschen so ungefragt stehen blieb, nur kurz kam es im letzten Teil des Videos zur Sprache, dass die Dame (sorry, hab mir den Namen nicht merken können) sagte „na §218 würde ich ganz abschaffen“.
    Es dann noch über die Frage „dürfen diese Tests Kassenleistung sein“ regeln zu wollen fand ich noch absurder, denn damit verschwinden diese Tests nicht, sondern machen nur eine weitere Kluft auf, nämlich die zwischen Leuten, die das Geld haben, und die, die es nicht haben.
    Die viel spannendere und wichtigere Frage ist doch für mich das, was schon lange vor und nach einer Schwangerschaft passiert. Du sagst richtigerweise „auch nicht behinderte Menschen haben ein Recht auf ein Leben mit behinderten Menschen“ und das finde ich hier einen ganz entscheidenden Punkt: Eine Schwangerschaft darf nicht der Erstkontakt mit dem Thema Behinderung sein. Wie schaffen wir es, eine inklusivere Gesellschaft zu schaffen, in der Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich Teil sind, Kolleg-innen, Freunde-innen, Vereinskamerad-innen, Eltern der Freunde unserer Kinder?
    Das wäre für mich ganz wichtig, damit eine Diagnose auch richtig eingeordnet werden kann, denn die Vorurteile und Meinungen, die nicht behinderte haben, die stimmen ja, wie du richtig aufgezeigt hast, ganz und gar nicht mit dem Selbstbild und der Selbstwahrnehmung der Menschen überein.
    Der zweite Punkt wäre für mich, wie man Familien aktiv unterstützt. „Ich wollte eigentlich nach der Geburt wieder arbeiten gehen“ ist ja kein egoistischer Selbstverwirklichungstripp der Schwangeren, sondern sowohl eine ökonomische Notwendigkeit, als auch ein wichtiger Bestandteil individueller Lebensplanung. Das würde auch der gängigen „Heiligenmentalität“ entgegenwirken, in der ein Kind mit Behinderung ausschließlich unter dem Punkt „Belastung“ diskutiert wird und die Pflegeperson, meist die Mutter als nahezu übermenschliche Person gesehen wird, oft begleitet von der Bemerkung „also ich könnte das nicht“.
    Zum Abschluss noch, wenn wir tatsächlich über Pränataldiagnostik reden, dann finde ich den Kommentar meiner Vorrednerin sehr wichtig. Auch diese Diskussion wird meist über die Köpfe der Betroffenen hinweg geführt, es wird gedrängelt, gedrängt, z.T. invasive und gefährliche Untersuchungen wie Fruchtwasserpunktionen durchgeführt, ohne man hier von aufgeklärtem Einverständnis reden könnte.
    Liebe Grüße
    Giliell

  3. „Es dann noch über die Frage “dürfen diese Tests Kassenleistung sein” regeln zu wollen fand ich noch absurder, denn damit verschwinden diese Tests nicht, sondern machen nur eine weitere Kluft auf, nämlich die zwischen Leuten, die das Geld haben, und die, die es nicht haben.“
    Das ist ein Problem, das ich auch sehe.
    Man macht die Kluft im Zweifel noch weiter – verbietet man Pränataldiagnostik generell, fährt/fliegt, wer es sich leisten kann, halt dorthin, wo es erlaubt ist. Erkennt man dann die finanziell schlechter gestellten Eltern daran, dass sie ein Kind mit Behinderung bekommen „müssen“ und gut gestellte Eltern daran, dass sie im Ausland testen lassen und sich dann im Zweifel dafür entscheiden können, die Schwangerschaft zu beenden? Kommt man dann irgendwo an den Punkt, wo man als Eltern gefragt wird „Ach, konntet ihr euch die Pränataldiagnostik in [x] nicht leisten und musstet euer Kind bekommen?“
    Ich halte die Schaffung einer Zweiklassengesellschaft bei der Fortpflanzung (egal ob wir über Pränataldiagnostik sprechen oder über „Designerbabys“ oder über Leihmutterschaft, Spendersamen oder Spendereizellen) für ganz ganz schwierig.
    Man nimmt Eltern ohne Pränataldiagnostik aber auch die Möglichkeit, sich auf ihr Kind vorzubereiten. Da kann man jetzt argumentieren, dass das früher auch nicht ging (oder damit, dass es auch Behinderungen gibt, die erst unter der Geburt oder erst später im Leben entstehen), aber gibt man einem Kind denn nicht im Zweifel auch einen besseren Start ins Leben, wenn es in einem Krankenhaus zur Welt kommen darf, in dem man es medizinisch am besten versorgen kann? Sollte ein Kind, das mit dem Down Syndrom und mit dem häufig begleitenden Herzfehler auf die Welt kommen wird, in einem Geburtshaus geboren werden,weil die Eltern von der Behinderung nichts wussten (wissen durften), oder soll man ihm eine Chance auf den medizinisch besten Start ins Leben geben und es in einem Perinatalzentrum Level 1 auf die Welt kommen lassen, in dem es direkt medizinisch versorgt werden kann?
    Mich würde es mehr belasten, von einer möglichen Behinderung nicht zu wissen und einem Kind nicht den besten Start ins Leben ermöglichen zu können. Ich würde mir immer vorwerfen, mein Kind nicht unter den medizinisch besten Voraussetzungen bekommen zu haben. Mein Kind kommt mit einem Herzfehler ins Leben und muss dann auf den Krankenwagen warten, der es vom Geburtshaus in die Klinik bringt? Soll ich mein Kind mit OI auf natürlichem Weg entbinden, wenn es vielleicht durch einen Kaiserschnitt sanfter auf die Welt geholt werden kann?
    Wir müssen weg von dem Gedanken, dass ein Kind mit Behinderung „mal eben so“ spätabgetrieben wird. Das sind geliebte Wunschkinder, sonst wären sie in Deutschland schon in der 8., 10. oder 12. Woche mit oder ohne Pränataldiagnostik abgetrieben worden. Wer sein Kind in der 30. Woche abtreiben lässt, macht das nicht „mal eben so“. Die Mutter hat ihren Bauch 20+ Wochen wachsen sehen, man hat die ersten Babykleidchen gekauft, man hat das Zimmer gestrichen, den Kinderwagen bestellt, den Eltern und Kollegen vom Nachwuchs erzählt, ist vielleicht umgezogen, hat den Antrag auf Mutterschutz und Elternzeit schon eingereicht, man freut sich auf sein Kind. Man hat eine Bindung aufgebaut. Das ist kein Zellklumpen in der fünften Schwangerschaftswoche. Das ist ein echtes Baby. Wenn es zu früh geboren würde, würde man alles erdenklich mögliche tun, um es am Leben zu erhalten, sogar mit der Möglichkeit, dass dieses am Leben erhalten zu einer Behinderung führen kann…
    Wir müssen aber auch, als Gesellschaft, weg von der (ungeschriebenen) Voraussetzung, dass ein Kind mit Behinderung abgetrieben wird. Die Pränataldiagnostik treibt kein Kind ab. Wir müssen weg davon, dass ein Leben mit Behinderung als weniger lebenswert angesehen wird. Zu einer Grundeinstellung, dass jedes Leben den gleichen Wert hat. Die Frage ist nur, was wir ins Leitungswasser kippen können, um die Grundsituation zu schaffen. [Das ist gesellschaftlich, politisch, ethisch so komplex, das ’schafft‘ (im doppelten Sinne von schaffen aber auch von erschaffen) man nicht von heute auf gestern]
    Eine Freundin hat ihr so gewünschtes Wunschkind in der 20. Woche abgetrieben. Ein Baby, dass sie sich unendlich gewünscht hat. Mit 39 möglicherweise auch ihre letzte Option auf eine Schwangerschaft und ein eigenes Kind. Potter Syndrom. Keine Nieren, eine unterentwickelte Lunge. Die Lebensdauer hätte unter 12 Stunden gelegen. Hätte es ihr oder dem Baby in ihrem Bauch geholfen, hätte sie es ausgetragen, damit es dann stirbt, nicht vielleicht oder irgendwann sondern ganz sicher? Das war kein Down Syndrom, kein Hydrocephalus, kein Spina Bifida, kein xyz, mit dem ein Kind vielleicht mit Behinderung 10, 20, 40, 60 oder 80 gute Jahre hätte haben können. Das war eine Behinderung, die mit dem Überleben des vielleicht gewünschtesten Wunschkinds der ganzen Welt nicht kompatibel war.
    Mein – körperbehinderter – Ehemann möchte kein Kind mit Behinderung. Ich würde es wissen wollen, würde mich aber gegen eine Abtreibung entscheiden. Wäre seine Entscheidung mehr Wert als die Entscheidung eines Elternteils ohne Behinderung? Wessen Standpunkt ist jetzt mehr wert? Wer hat mehr recht? Kann es überhaupt um „recht haben“ gehen?

  4. Das Problem ist, dass das Beharren auf Entscheidungsfreiheit in solchen Fällen extrem unehrlich ist, denn praktisch niemand würde diese bei gesunden Kindern in dieser Schwangerschaftsphase fordern. Es geht also einzig und allein darum, dass das Leben Behinderter weniger „wert“ sein soll.

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