Wo bleibt all das hübsche Geld?

Der Staat gibt eine Menge aus. Und bewegt damit viel. Doch ginge es vielleicht noch effektiver? Eine Spurensuche der versunkenen Kosten

Es gibt ja eine Menge Kreativitätsgurus. Die entfalten einen Budenzauber, damit man sich besser fühlt, zumindest für einen Moment. Wir wissen halt oft nicht weiter, bei einem Problem, einer unklaren Sachlage. Und dann kommt der Kreativitätsguru um die Ecke gebogen und ruft: „Denk doch mal outside the box!“

Das soll kreativ klingen, hat auch den Hauch von Wilder Westen – schließlich geht es ums Ausbrechen aus gewohnten Denkprozessen, aus Gewohnheiten und darum Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Eben um einen Aufbruch.

Meist halte ich diese Predigten für Humbug. Wir alle stecken in unserer Box, und das hat gute Gründe. Schließlich bauen Erkenntnisse aufeinander auf, jedes Kulturverhalten stützt sich auf Erfahrungen, die in die Altsteinzeit zurückführen. Da mal kurz zur Seite springen, um einen ultrakreativen Gedanken zu backen? Na ja.

Doch ich versuch das mal. Und zwar bei einem Thema, bei dem eine feste, solide Box viel Sinn macht, und von dem ich kaum Ahnung habe, nämlich dem Geld. Genauer gesagt, versuche ich als Nicht-Ökonom zu schauen, ob all das öffentliche Geld effektiver ausgegeben werden könnte. Ich nenne es mal als Laie das Phänomen der versunkenen Kosten.

Wirtschaftspsychologen lehren uns, dass wir uns um sie nicht scheren sollen. Denn es handelt sich um jene Kosten, die man bei einem Projekt unwiederbringlich ausgegeben hat – unabhängig davon, ob das Projekt einen Erfolg hat oder nicht. Ein Beispiel: Wenn ich plane Geld zu verdienen, indem ich Lollis auf der Straße verkaufe, dann investiere ich Geld in den Bau eines Lollistands. Nach einiger Zeit ist der Stand halb fertig, ein paar Euronen von meinem Ersparten weg, und mir kommen Zweifel, ob das mit dem Lollistraßenverkauf eine gute Idee ist. An dieser Stelle kommt der Wirtschaftspsychologe herbeigesprungen und ruft, zu Recht: Für die Entscheidung, wie es weiter gehen soll, ist das bereits investierte Geld unwichtig! Es ist eh weg, halt versunken. Wichtig dagegen ist zu überlegen, ob weiter investiert werden soll oder nicht.

Von dieser „Sunk-Costs“-Lehre biege ich jetzt auf ganz andere Gleise ab und nehme ich mit: Denken wir mal zielgerichteter beim Geldausgeben. Und dann ergibt sich vielleicht ein Blick auf Kosten, die versunken sind und die wir heben könnten. 362 Milliarden Euro plant der Bund in diesem Jahr 2020 an Ausgaben. Das spürt man auch. Deutschland ist, ganz grob betrachtet, kein Land lauter bitterarmer Bürger. Und dennoch springe ich jetzt gedanklich aus der Box.

Die allermeisten Ausgaben des Bundes sind zielgerichtet und kommen dort an, wohin der staatliche Absender sie sehen will. Aber könnte man auf anderem Wege vielleicht mehr erreichen?

Da ist zum Beispiel der Straßenbau. Autos verursachen Schäden, die stetig repariert werden müssen. Hinzu kommen Kosten für Folgeerkrankungen an Abgasen, zumindest in den Städten. Warum werden solche Gelder nicht umgeleitet in einen kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehr?

Die Stadt Kopenhagen, um mal in eine andere Box zu springen, hat irgendwann entschieden echte Fahrradstraßen zu bauen, und zwar entsprechend breite. Das führte nicht nur dazu, dass mehr Leute mit dem Fahrrad fahren, sondern dass sie auch nebeneinander fahren können. Dies wiederum hatte mehr Kommunikation zur Folge, meist gute, und Experten in Public Health konnten ermessen, dass die Bürger Kopenhagens dadurch glücklicher geworden sind. Eine Endfolge: Diese Bürger sind gesünder und weniger krank, kosten also an anderer Stelle weniger Geld.

Oder das Bildungssystem: Dass Bildung ein Schlüssel zum Erfolg ist, hat sich herumgesprochen. Dass aber das Ausbleiben von Bildung zu Misserfolg mit gesellschaftlichen Folgeschäden führt, auch finanziellen, wird gern ignoriert. Frankreich zum Beispiel hat in so genannten Brennpunktschulen eine Politik der kleinen Klassen eingeführt – in denen lernt man besser und mehr. In Deutschland hat man auch Brennpunktschulen ausgemacht und fördert sie besonders; kleinere Klassen gehören nicht explizit dazu.

Nicht wenig Geld fließt in die Gesundheit. Doch warum residieren die Krankenkassen in Bürotürmen, als wären sie Ölscheichs? Wie viel Geld versinkt in so genannten Verwaltungskosten, anstatt direkt in Pflege und Behandlung zu fließen? Warum leisten wir uns ein privates Versicherungswesen, welches die Gesellschaft nur teilt? Und warum wird der Bereich der Prävention nicht massiv ausgebaut, sondern gewartet, bis Leute krank werden?

Ähnlich große Bauten verzeichnen Sozialträger. Es wäre interessant auszurechnen, wie viel von den staatlichen Ausgaben direkt bei den Empfängern ankommen, zum Beispiel bei den Menschen mit Behinderung. Meine Vermutung: In den Mitteletagen versandet einiges, und dahinter steckt kein böser Wille, sondern gewachsene Tradition oder eben ein Denken nicht über den Schachtelrand hinaus. Wie wäre es zum Beispiel mit einem echten lebenslangen „Persönlichen Budget“ für Menschen mit Behinderung? Eines, das sie effektiver unabhängiger macht, sie in den Allgemeinen Arbeitsmarkt bringt, dort belässt und Steuern zahlen lässt? Mit Leistungen aus einer Hand und nicht aus einem Strauß an Kompetenzträgern, von denen oft nicht der eine weiß, was der andere denkt und macht?

Wir brauchen eine Denke, die sich an Folgekosten orientiert, welche sich in der Gegenwart verstecken und erst in der Zukunft entstehen. Und ein Denken, das den Menschen mehr selbst ermächtigt, ihm in seinen Potenzialen vertraut. Verrücken wir uns also selbst, ein bisschen!



Eine Antwort zu “Wo bleibt all das hübsche Geld?”

  1. Guten Morgen, besten Dank Raul Krauthausen für den sehr anregenden Beitrag.
    Was zuoberst gebraucht würde, wäre ein alternativloses Oberziel – es heißt Demokratiefähigkeit, darein müsste regelmäßig von vornherein ein großer Betrag fließen, es macht gar keinen Sinn, desbezüglich überhaupt Kostenrechnung zu betreiben.
    Kostenrechnung macht nur Sinn, wenn es Alternativen gibt, die gibt es ja auch meistens, aber für Demokratiefähigkeit nicht.

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