Chancengerechte und zukunftsfähige Schule für Kinder mit Behinderungen

Kürzlich war ich zu einer Lesung meines neuen Buches „Wer Inklusion will, findet einen Weg, wer sie nicht will, findet Ausreden“ auf dem PxP Musik- und Bildungsfestival geladen. Das Festival ist eine Bewegung für eine chancengerechte und zukunftsfähige Schule. Mir ist Folgendes aufgefallen: Das Wort Inklusion ist tagelang kaum vorgekommen, bis ich als Selbstvertreter die Bühne betrat. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn ich nicht gekommen wäre. Wer hätte dieses Thema vertreten? Wahrscheinlich niemand. Dabei gehört zu einer chancengerechten und zukunftsfähigen Schule auch die Inklusion behinderter Kinder.

Es ist ein Phänomen, auf das ich häufig stoße. Inklusion von Menschen mit Behinderungen steht selten auf der Tagesordnung von Veranstaltungen und wird in Diskussionsrunden oft nicht oder nur unzureichend abgedeckt. Ich frage mich häufig: Wieso wird geglaubt, durch meine Anwesenheit wäre das Thema zur Genüge behandelt? Immerhin bin ich nur ein einziger Gast und bringe nur meine Perspektive mit. Wieso ist Inklusion nicht ein integraler Bestandteil des ganzen Programms und findet sich in allen Beiträgen wieder? Als Antwort erhalte ich oft, dass Behinderung ja mitgemeint wurde. Doch ich möchte ganz deutlich sagen: Mit-gemeint ist nicht mit-gedacht. Ich beobachte, dass die letzten, die genannt und die ersten, die vergessen werden, Menschen mit Behinderung sind. Und das darf nicht sein. Wir müssen unterschiedliche Perspektiven behinderter Menschen zeigen und Stimmen von Betroffenen und Expert*innen mit Behinderung amplifizieren. Gemeinsam muss Inklusion immer wieder thematisiert und müssen Lösungen erarbeitet werden. Insbesondere in Bereichen, die für behinderte Menschen so wichtig und dennoch so wenig erschlossen sind wie der Bildungsbereich. 

Bildung und Inklusion 

Zu meiner Schulzeit gab es die ersten inklusiven Schulkonzepte, die erfolgreich für behinderte Schüler*innen waren. Wir sahen unerwartete Bildungserfolge von Kindern, denen aufgrund ihrer Mehrfachbehinderung nichts zugetraut wurde, sowie einen guten Zusammenhalt innerhalb vielfältiger Klassengemeinschaften. Doch seither ist wenig auf diesen Erfolgen aufgebaut worden und das Schulsystem als Ganzes hat sich kaum für behinderte Kids geöffnet. Stattdessen wird das Sonderschulsystem weiter ausgebaut. 

Integration oder Inklusion? 

Was heute als „inklusive Schule“ betitelt wird, bleibt, so scheint es, der jeweiligen Interpretation der Schule überlassen. Auf manchen vermeintlich inklusiven Schulen gibt es nahezu keine behinderten Kinder. Hier wurden Kids mit schlechten Schulnoten lediglich zu Schüler*innen mit Förderschulbedarf umetikettiert, um es auf dem Papier wie Inklusion aussehen zu lassen. 

Auf der anderen Seite habe ich eine „inklusive Schule“ erlebt, auf der ausschließlich Kinder mit Behinderung waren. Wie dies mit Inklusion vereinbar sei, wurde mir so beantwortet, dass hier Schüler*innen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen beschult würden. Auf meinen Einwand, dass dies keine Inklusion sei, beruhigte mich die Schulleitung: Immerhin sollten bald auch geflüchtete Kinder aufgenommen werden. Diese Vorgehensweisen verwässern den Begriff Inklusion. Inklusion ist kein Sammelbecken für Menschen, die der Mehrheitsgesellschaft zu anstrengend sind. Innerhalb exklusiver Rahmenbedingungen kann es keine Inklusion geben. 

Laut UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2009 ratifiziert hat, haben Menschen mit Behinderung ein Recht auf gleichberechtigten Zugang zu Bildung. Gemeint ist ein inklusives System, doch bestenfalls haben wir es mit einem integrativen System zu tun. Inklusion und Integration sind nicht dasselbe. Integration bedeutet, die Mehrheitsgesellschaft macht Platz und toleriert, unter Beibehaltung bestehender Machtverhältnisse, die Minderheit in ihren Reihen. Behinderte Kinder werden in ein existierendes Schulsystem aufgenommen und müssen sich anpassen. Wenn sie es nicht schaffen, wird das als individuelle Schuld und Versagen dargestellt. Hat halt nicht ins Schulsystem gepasst.

Inklusion bedeutet jedoch, es wird ein neues System geschaffen, in dem es nur noch Minderheiten und keine Mehrheiten mehr gibt. Jede*r ist anders, niemand wird ausgegrenzt oder stigmatisiert. 

Im Sinne der Inklusion heißt das, dass wir Sonderschulen abschaffen müssen. Und dazu zählen nicht nur Bildungseinrichtungen für Schüler*innen, die unter den Bedingungen der meisten Regelschulen keine guten Noten erzielen können, wie die sogenannten Förderschulen. Sonderschulen sind im Grunde auch Bildungseinrichtungen für leistungsstarke Schüler*innen, wie Gymnasien. Eine Schule für alle ist die Lösung. 

Wieso sind Sonderschulen problematisch? 

Der vorherrschende Mythos ist, dass Förderschulen eine optimale Beschulung für behinderte Kinder ermöglichen würden. Dort gäbe es weniger Mobbing und Stigmatisierung aufgrund der Behinderung und wegen der wegfallenden Vergleiche zu nicht-behinderten Schüler*innen bessere Leistungen. 

Die Bildungskommission jedoch entlarvte dies als Fehlannahmen. Kinder mit Förderbedarf erzielen bessere Lernleistung, erleben weniger Stigmatisierung und haben bessere Chancen und berufliche Perspektiven, wenn sie an Regelschulen lernen. 

Förderschulen sind Sackgassen, die ein selbstbestimmtes Leben einschränken. Nur 28 % der Kids an Förderschulen erreichen einen Abschluss, auf Regelschulen sind es 46 %. Außerdem fördern diese Bildungseinrichtungen erst die Gewalt, vor der vermeintlich geschützt wird. Man spricht in dem Kontext von Schonraumfallen – Räume zum vermeintlichen Schutz behinderter Menschen, die jedoch nur zu deren Isolation und Perspektivlosigkeit führen. In Wirklichkeit wird die Mehrheitsgesellschaft davor geschützt, sich mit behinderten Menschen auseinanderzusetzen. 

In Sonderschulen wird nicht nur eine Aussonderung behinderter Kinder vorgenommen, sondern auch soziale Segregation stärker vorangetrieben. In NRW hat das Bildungssystem einen Jungen aus einer Migrant*innenfamilie als lernbehindert eingestuft und auf eine Förderschule geschickt. Seine gesamte Schulzeit über klagte er dagegen und hat am Ende Recht bekommen. Das Land muss ihm Schadensersatz wegen geraubter Lebenschancen zahlen. 

Dies ist kein Einzelfall und lässt erahnen, wie viel Rassismus im Sonderschul-System steckt. Nur, weil ein Kind als Erstsprache z.B. Türkisch und noch nicht einwandfrei Deutsch spricht, bekommt es schnell die Diagnose einer Lernbehinderung. Das würden wir aber bei schwedisch oder französisch sprechenden Kindern nie tun. Kinder mit Behinderung oder Verhaltensauffälligkeiten, sowie Kids von Familien mit schwachem sozioökonomischen Status werden schnell ausgesondert und doppelt benachteiligt, indem ihnen die Chancen auf Bildung und Lebenschancen verbaut werden. Denn: Eine Beschulung auf der Sonderschule eröffnet eben nicht gleichwertige Lebenschancen, sondern oft nur die Perspektive auf eine Beschäftigung in einer WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen). Außerdem verliert ein Kind auf der Sonderschule fast alle Kontaktmöglichkeiten mit Kindern allgemeiner Schulen und somit gesellschaftlichen Anschluss. 

Eine Regelbeschulung bringt die Möglichkeit mit sich, aus dem vorgefertigten System der WfbM auszubrechen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dabei geht es nicht nur um Zugang zur Bildung und anschließenden Berufsmöglichkeiten, sondern auch um das Erlebnis und den Begegnungsraum Schule. Dieser soll alle Kinder dazu befähigen, an einer inklusiven und vielfältigen Gesellschaft teilzuhaben. Und dies ist zum Vorteil und Nutzen aller in dieser Gesellschaft Lebenden. Auch nicht-behinderte Menschen haben ein Recht darauf, mit behinderten Menschen zusammenzuleben. Die meisten Behinderungen sind erworben, nicht angeboren. Der Umgang damit ist für alle leichter, wenn Inklusion real stattfindet.

Ein weiteres Beispiel kann ich von meinem Besuch bei der oben genannten „inklusiven Schule“ vorbringen. Mit den behinderten Schüler*innen habe ich einen Stuhlkreis gebildet und ihnen dann diese Frage gestellt: Was wollt ihr mal werden, wenn ihr mit der Schule fertig seid? Ein 14-jähriges Mädchen meldete sich und sagte, dass sie Dressurreiterin werden möchte. Ich wollte sie gerade darin bestärken, diesen Traum zu verfolgen, da sagte sie von sich aus: „Aber das geht nicht wegen meines Rückens.“ Ich fragte sie, wer das gesagt hat, woraufhin sie erklärte: „Meine Eltern, die Lehrer und die Ärzte.“ 

Dieses Erlebnis hat mir das Herz gebrochen. Wie schlimm ist das eigentlich, wenn 14-Jährigen bereits vom gesamten System gesagt wird: Das geht nicht, das ist zu gefährlich, das darfst du nicht, das kannst du nicht. Das würde man nichtbehinderten Teenagern so nicht sagen. Diesen Kids würde man erklären, unter welchen Bedingungen sie ihren Traum erreichen können: lernen, üben, dran bleiben. Oder man würde raten, etwas im Themengebiet zu suchen, das vielleicht nicht dasselbe, aber nah dran ist. 

Ich antwortete dem Mädchen schließlich:

„Ich weiß nicht, was mit deinem Rücken sein könnte. Es geht mich auch nichts an. Aber der einzige Mensch, der weiß, ob das geht oder nicht, das bist du.“

Kinder mit Behinderungen haben das Recht darauf, selbst Erfahrungen sammeln und Entscheidungen über ihr eigenes Leben treffen zu dürfen. Und die Aufgabe des Systems muss sein, sie bestmöglich darin zu unterstützen, nicht, sie in eine vorgefertigte Sackgasse zu verfrachten. 

Inklusion ist kein Bullerbü 

Und hier müssen wir auch mit einer gängigen Fehlannahme aufräumen: Inklusion ist kein Bullerbü. Niemand sagt, dass Inklusion an Regelschulen, oder ein inklusives Schulsystem durchzusetzen, eine einfache Aufgabe ist. Das Ziel ist auch nicht, ein System zu schaffen, in dem wir uns alle lieb haben. Inklusion bedeutet, dass wir uns miteinander auseinandersetzen, ggf. streiten und jede Perspektive gesehen und gehört wird. 

Ich möchte nur daran erinnern, dass wir 1920 in Deutschland diskutiert haben, ob Jungs und Mädchen gemeinsam beschult werden sollen. Und die Argumente dagegen waren die gleichen wie heute in der Inklusionsdebatte. Da wurde gesagt, Jungs würden langsamer lernen, sobald Mädchen in der Klasse sind. Heute heißt es genauso, dass nicht behinderte Kinder durch behinderte Mitschüler*innen vom Lernen abgehalten werden. 

Wir haben uns gesellschaftlich 1920 dazu entschieden, Jungs und Mädchen gemeinsam zu beschulen und es hat nicht bedeutet, dass wir uns die Köpfe eingeschlagen oder die Augen ausgekratzt haben. Aber es bedeutet, dass Kinder aller Geschlechter bis heute noch lernen dürfen und müssen, miteinander umzugehen. Darum geht es auch bei der Inklusion. 

Ich sehe auch Parallelen dazu, jungen Frauen zu sagen: „Wenn du nicht belästigt werden willst, zieh dich nicht aufreizend an.“ Denn das Problem sind nicht die Opfer, sondern die Täter*innen. Und genauso ist es falsch, behinderten Kindern zu sagen: „Du könntest gemobbt werden, darum gehst du auf eine Förderschule.“ Denn das Problem in dem Moment sind die nicht-behinderten Kinder, die mobben, nicht die Schüler*innen, die gemobbt werden. Und den Schuh der ewigen Buhmenschen sollten wir uns nicht mehr anziehen lassen. 

Weigerungshaltung

Lehrer*innen sagen mir sehr häufig: „Es gibt PISA (internationale Schulleistungsstudie), IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung), Inklusionsklassen, Willkommensklassen etc. Was sollen wir denn noch alles machen?“ Und ich habe Mitgefühl für die überbordenden Anforderungen des Berufs. Aber dafür können die Kinder mit Behinderung nichts. 

Es kann nicht sein, dass sich Lehrer*innen weigern, behinderte Kinder zu unterrichten, z. B., indem sie sagen: „Für Kinder mit Behinderung bin ich nicht ausgebildet.“ Zur Wahrheit gehört: Eltern von behinderten Kindern hatten vorher auch keine Ausbildung. Sogar Lehrer*innen an Gehörlosenschulen können nicht zwangsläufig Gebärdensprache(n). Es ist daher ein Mythos zu glauben, dass eine Ausbildung vonnöten ist, um mit behinderten Kids umzugehen oder ihnen etwas beizubringen. Das heißt, mit diesem Argument – dafür bin ich nicht ausgebildet – verhindern wir eigentlich, dass Lehrkräfte ihre eigene Komfortzone verlassen und einfach mal damit anfangen. 

Und Komfort ist es so lange wir etwas noch nicht kennen. Schulklassen sind Schicksalsgemeinschaften, für Schüler*innen und Lehrer*innen. Wir können uns unsere Klassenkamerad*innen nicht aussuchen. Und genauso können Lehrer*innen ihre Schüler*innen nicht wählen und sagen: „Ich unterrichte nur Rothaarige.“ Wieso sollten sie dann behinderte Kinder aussieben dürfen? Daher ist es wichtig, dass wir die Leute, die sich darüber beschweren, in ihre Schranken weisen. 

Das gilt auch für Eltern von nicht behinderten Kindern. Diese wollen oft nicht, dass ihre nichtbehinderten Kinder zusammen in einer Klasse mit behinderten Kids sind. Auch Eltern haben nicht das Mandat, diese Entscheidungen zu treffen und gehören dementsprechend außer Acht gelassen. 

Der (immer wieder aufgenommene) Aufschrei und die Weigerungen erwecken den Eindruck, als ginge es um eine exorbitante Zahl an behinderten Kindern, die ins Regelsystem überführt werden sollen und disruptive Wirkung auf nicht behinderte Schüler*innen und Lehrkräfte haben. Statistisch gesehen sprechen wir jedoch von einem Kind pro Klasse. 

Der Weg nach vorne

Ich verstehe die Unsicherheiten von Lehrkräften, wie eine Beschulung behinderter Kinder konkret aussehen soll. Wie unterrichtet man etwa ein blindes Kind in Mathematik? Und es tut mir leid, auch diesen Zahn ziehen zu müssen: Liebe Lehrer*innen, geht nicht davon aus, und da zitiere ich Margret Rasfeld, dass euch die Probleme von oben gelöst werden. Denn das müssen wir selbst machen. Es wird niemals ein*e Super-Referendar*in aus dem Schulsystem fallen, der oder die alle Behinderungsformen gelernt hat und genau weiß, was zu tun ist. Es wird auch nicht der Moment kommen, in dem alle Unterrichtsmaterialien barrierefrei für jede Behinderungsform aufbereitet wurden, alle Schulgebäude und Klassensäle barrierefrei sind, alle Barrieren in den Köpfen, Vorurteile und Ängste beseitigt wurden und man loslegen kann, behinderte Kinder aufzunehmen. 

Es muss ein Prozess sein, der nach dem Machen-Prinzip vonstattengeht. Wir können nicht auf den perfekten Moment warten, in dem alles austariert ist. Wir müssen jetzt behinderte Kinder unterrichten und Lösungen fortwährend erarbeiten. Es gibt behinderte Erwachsene, Trainer*innen und Fortbilder*innen, die euch dabei unterstützen können. Wir stehen bereits in den Startlöchern, ihr müsst es nur machen!

Holt euch das Wissen aus den Internetforen oder von YouTube-Videos. Gerne kann der Staat angeregt werden, ein Telefonbuch zu entwickeln von A wie ADHS bis Z wie Zerebralparese, wo Lehrer*innen mögliche Unterstützungsangebote nachschlagen können.

Aber ganz wichtig: Es ist keine Frage der Haltung oder Vorbereitung, es ist eine Frage des Machens, des Umsetzens und der Verpflichtung dessen.

Protest

Die meisten Menschen, die meine Inhalte lesen und sich damit auseinandersetzen, sind diejenigen, die bereits ein Interesse daran haben, dass Inklusion gelingt. Ich trage hier Eulen nach Athen. Aber wir müssen in andere Blasen vordringen und die ganzen konservativen, neoliberalen ja-aber Sager*innen bei ihrer Verantwortung packen. Was wir bisher machen, ist, dass wir uns in Minderheiten vereinzeln lassen. Auch im Schul-Kosmos. 

Es gibt so viele Labels: Die Bildungsfernen Kinder, die Arbeiter*innenkinder, die Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder mit Behinderung. Und wir lassen uns einreden, dass diese Minderheiten erst auf einen gemeinsamen Nenner kommen müssen, bevor sich etwas ändern kann. Währenddessen wissen wir aus der Forschung der Inklusionspädagogik, dass wir 90 % aller Herausforderungen in dem Bereich mit kleineren Klassen und mehr Pädagog*innen lösen können. (Das würde auch den Beruf der Lehrer*innen attraktiver, weil weniger stressig und burnout-auslösend machen und damit mehr Menschen ins Lehramt-Studium holen …)

Und weil Kinder ohne Behinderung die Mehrheit sind, sind sie auch gleichzeitig diejenigen, die am meisten davon profitieren würden. Deswegen dürfen wir uns nicht vereinzeln lassen. 

Währenddessen zieht sich der Staat aus der Verantwortung und lässt jede einzelne Bildungsinitiative um Fördergelder bei der Vodafone-Stiftung betteln. 

Darum hier eine Idee: Wie wäre es, wenn wir 2024 alle unsere Initiativen einstellen und den Staat in die Verantwortung nehmen würden? 

Wir müssen uns weigern, weiter nur Erfüllungsgehilf*innen bei der Privatisierung des Schulsystems zu sein. Denn wir können nicht wollen, dass es am Ende nur noch Privatschulen gibt.

Deswegen lade ich alle ein, am 23.09.2023 zum großen bundesweiten Bildungsprotest zu kommen. Unter #Bildungswende gibt es weitere Information. Oder auch auf schule-muss-anders.de



2 Antworten zu “Chancengerechte und zukunftsfähige Schule für Kinder mit Behinderungen”

  1. Lieber Raul,

    Deinen Blogbeitrag zur Inklusion im Bildungswesen habe ich sehr gern gelesen.
    Alles, was Du dort beschreibst und forderst unterschreibe ich sofort.

    Ich war 10 Jahre lang Geschäftsführer an einer Waldorf-Förderschule.
    Ich hab es als großes Gechenk empfunden, meine letzten 10 Arbeitjahre vor Renteneintritt dort arbeiten zu dürfen.

    Nach meinem Renteneintritt war ich nebenberuflich 1 Jahr lang als Schulbegleiter und Sozialpädagogischer Assistent in verschiedenen Förderklassen.

    Der wichtigste Satz in Deinem Beitrag (neben vielen anderen) ist:

    „Währenddessen wissen wir aus der Forschung der Inklusionspädagogik, dass wir 90 % aller Herausforderungen in dem Bereich mit kleineren Klassen und mehr Pädagog*innen lösen können. Das würde auch den Beruf der Lehrer*innen attraktiver, weil weniger stressig und burnout-auslösend machen und damit mehr Menschen ins Lehramt-Studium holen ….“

    Es geht um Geld – wie so oft.
    Als Geschäftsführer, der für die Finanzen der Schule mit 120-130 Schülerinnen und Schülern und rd. 60 Mitarbeitrinnen und Mitarbeiter verantwortlich war, war es mein täglich Brot, dafür zu Sorgen, dass genug Geld in für den Schulbetrieb da war.

    Eine Schule in freier Trägerschaft wird nur teilweise aus Staatsmitteln finanziert, die knapp die Personalkosten decken.
    Der Rest (Grundstücks- und Gebäudekosten, laufende Betriebskosten etc.) muss durch Schulgeld der Eltern und Spenden gedeckt werden.
    Für das Angebot einer besonderen Therapie mit 1-2 Wochenstunden für einzelne Kinder wurde jährlich bei einem wohlgesinnten Spender Geld eingeworben.
    Ebenso für die besondere Zusatzausbildung einiger Lehrerinnen und Lehrer.
    Das sind nur zwei Beispiele von vielen.

    Ständig war uns klar, würde unsere Schule finanziell genauso ausgestattet sein wie staatliche Schulen
    hätten z.B. unsere Lehrerinnen und Lehrer – die deutlich geringere Gehälter haben als diejenigen an Staatsschulen – viel mehr bewegen können, auch durch zusätzliches Personal und dadurch Verkleinerung der Klassen bei gleicher Gesamtschüleranzahl.

    Es ist tatsächlich so, dass bei Einführung der Inklusion per Gesetz, auch wir argumentiert haben, dass Kinder mit einer Behinderung unbedingt den geschützten Rahmen einer eigenen Schule brauchten.
    500 m von unserer Schule entfernt gibt es eine (Regel-) Waldorfschule.
    Wenn uns Klassen von dort anlässlich unserer Theateraufführungen besuchten, erfuhren wir jedesmal, wie unsere Schülerinnen und Schüler und auch unsere Kolleginnen und Kollegen von den „Regelschülern“
    beleidigt wurden. „Ihr könnt ja nichts, Ihr seid ja doof“ und ähnliche Unverschämtheiten bekamen wir zu hören.

    Auch wir dachten, Mobbing sei das Grundproblem.
    Dabei ist das Grundproblem natürlich der Umgang der Gesellschaft mit Behinderungen.
    Regelschüler benehmen sich so blöd, hauptsächlich weil sowohl die Elternhäuser und manchmal auch die Lehrerschaften ein völlig gestörtes Verhältnis zu Menschen mit Behinderungen haben.
    Das löst man nicht, indem man von oben verordnet, jetzt stecken wir alle in eine Klasse und dann ruckelt sich das schon zurecht. Wir schicken auch zweimal in der Woche einen Sonderpädagogen vorbei.
    Das ist sehr verkürzt, aber so ähnlich läuft es vielerorts.

    Inzwischen habe ich durch meine Arbeit als Pädagoge in Förderklassen erfahren und lernen können, wie es n i c h t funktioniert.

    Wenn ich z.B. eine Klasse mit 12 stark verhaltensauffälligen Kindern habe, kann ich als Lehrerin alleine
    keinen Unterricht machen, weil mit Sicherheit die Hälfte der Kinder nicht in der Lage ist, dem Unterricht 45 Minuetn zu folgen und natürlich stören m u s s, weil die kKonzentrationsfähigkeit nicht da ist.

    Das ist nur ein Beispiel von vielen.
    Ich merke gerade, dass ich noch stundenlang weiter schreiben könnte, aber das Thema ist so komplex, dass ich bei weitem nicht alles angemessen beschreiben kann.

    Sollte es Dein Zeitplan irgendwann einmal zulassen würde ich sehr gerne mit Dir über
    Inklusion in Schulen s p r e c h e n.

    Ich freue mich immer über Deinen wöchentlichen Newsletter.

    Mit ganz herzlichen Grüßen
    Bernd Grüb

    • Sehr geehrter Herr Grüb,
      was soll uns jetzt Ihr Kommentar sagen? Dass Inklusion nicht funktioniert? Dass sie nicht von oben verordnet werden darf? Ganz im Gegenteil muss Inklusion von oben verordnet werden, sowohl Bundesregierung als auch die Landesregierungen haben sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet. Erst mit der Abschaffung aller Förderschulen und der Beschulung aller Kinder in der für ihren Wohnort zuständigen Sprengelschule wird es normal, dass Kinder mit und ohne Behinderung zusammen unterrichtet werden. Und gegen Mobbing muss die Schule natürlich vorgehen. Es werden aber auch Kinder ohne Behinderung gemobbt. Behinderte Kinder deswegen in Förderschulen auszusondern, ist keine Lösung. 12 verhaltensauffällige Kinder in einer Schulklasse einer Regelschule sind höchst unwahrscheinlich. Im Durchschnitt geht es um ein behindertes Kind pro Klasse, schreibt Raul Krauthausen in seinem Artikel. Mein schwerbehinderter Sohn hat ausschließlich Regelschulen besucht. Er wurde 2009 eingeschult, also in dem Jahr, in dem die UN-BRK in Deutschland ratifiziert wurde. Ich dachte, ja, das dauert halt jetzt noch, bis die umgesetzt ist. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass 14 Jahre später immer noch alle ausgrenzenden Einrichtungen bestehen, es in einigen Bundesländern sogar noch mehr Förderschüler gibt als vor der Ratifizierung. Es hat unendlich viel Energie gekostet, die Regelbeschulung durchzusetzen, eben, weil wir permanent auf die fortbestehenden Fördereinrichtungen verwiesen wurden. Inzwischen habe ich die Hoffnung verloren, dass Deutschland seiner völkerrechtlichen Verpflichtung zur Umsetzung der UN-BRK nachkommen wird. Ende August 2023 wird wieder eine UN-Staatenprüfung stattfinden. Die Vorab-Stellungnahme der Bundesregierung hierzu enthält nichts als Bla-Bla. Es ist beschämend. Und Menschen, deren einziges „Verschulden“ es ist, behindert zu sein, werden nach wie vor um ihr Menschenrecht Inklusion gebracht. Und da habe ich jetzt die Zustände in den Behindertenwohnheimen (die inzwischen „besondere Wohnformen“ heißen, das ändert aber nichts an den Fakten) und Behindertenwerkstätten geschrieben. Das sind die ausgrenzenden Einrichtungen, in denen die Förderschüler voraussichtlich landen werden. Zu einem selbstbestimmten Leben werden sie weder befähigt noch wird es ihnen zugestanden. Und – ich betone es nochmals – die Förderschule tut nichts anderes, als die Kinder dorthin zu bringen.
      Beste Grüße
      Ulrike Follardt

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