Wie wir uns die Köpfe doch nicht einschlagen

Inklusion fällt nicht vom Himmel: Hier eine Anleitung zum harten Diskurs – doch ohne Verletzungen. Die bringen nichts. 

Was mich mit am meisten bei „Anne Will“ oder „Maybrit Illner“ stört: Die haben alle recht. So meinen es die eingeladenen Showgladiator*innen (meist sind es Männer) jedenfalls. Sie reden mehr gegen- als miteinander; der Erkenntniseffekt tendiert gen Null, Hauptsache: Man haut sich hübsch den Schädel ein. Doch was haben wir davon?

Ich gebe zu, die Abteilung Attacke funktioniert am einfachsten. Mir fällt es auch oft schwer demütig zu sein, wenn ich zu einer Diskussionsveranstaltung über Inklusion fahre. Immerhin bilde ich mir ein, alle Argumente und Gegenargumente gehört zu haben und von der Notwendigkeit einer Inklusion aus guten Gründen überzeugt zu sein. Aber reicht das? Mitnichten. Es ist nichts gewonnen, wenn man als Besserwisser Andere mit den stärksten Argumenten aus dem Weg geräumt, sie aber nicht überzeugt hat. Dieser Unterschied ist wesentlich, wenn wir Erfolg wirklich wollen.

Nitya Thummalachetty hat einen tollen Blog-Eintrag geschrieben, in dem die Mitgründerin und Geschäftsführerin von „FortunaHLTH“, eine Cybersecurity-Firma im Gesundheitsbereich, ihre Erfahrungen bei Gesprächen über Inklusion und Diversität teilt. Ihre erste Botschaft: Es handelt sich um harte Nüsse. Die zweite: Und sie lassen sich knacken. Man braucht aber Zeit zum Üben. Also legen wir los:

Gespräche dürfen ruhig unangenehm werden, sie müssen es zuweilen. Aber taktvoll können sie bleiben. Thummalachetty erwähnt Gespräche über Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern, oder über Vorbehalte zu Regeln gegen sexuelle Belästigung – alles Themen, wo man schnell im Schützengraben sitzt. Die meisten Erfolge aber, resümiert sie, habe sie nach produktiven Gesprächen gehabt; denn nicht jeder Zweifel nagt am guten Ziel. Es hilft, dem Gegenüber dann Fragen zu stellen, die Perspektive selbst ausleuchten zu lassen und zu erfahren, worum es ihm wirklich geht; denn jede und jeder von uns kann die eigene Perspektive nicht verlassen. Aber darüber mehr Bescheid zu wissen, ist hilfreich.

Thummalachettys Erfahrungen zur Genderdiskriminierung lassen sich meiner Meinung nach auf jene von Menschen mit Behinderung übertragen. Denn auch da hat die Mehrheitsgesellschaft alte Muster abzulegen, sehr tradierte Vorstellungen – und dies fällt nicht vom Himmel.

Eher gilt die alte Weisheit von Laotse:

„Dass das weiche Wasser in Bewegung

Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.

Du verstehst, das Harte unterliegt.“

Um nicht falsch verstanden zu werden: Sehr oft ist mir zumute den Mund fusselig geredet zu haben, dann ist er selbst voller Steine. Ich bin oft sehr müde von all dem Labern über Inklusion, während viele Menschen denken, mit dem Gerede sei es schon getan – und nichts ändert sich.

Aber es nützt ja nichts. Inklusion muss geübt werden. Auch das Reden muss geübt werden. Fangen wir also damit an, nicht gleich Anne-Will-Gast-mäßig zu behaupten, die richtigen Antworten zu haben. Das überfährt. Ich habe ja auch, ganz ehrlich, nicht alle Antworten parat! Was entgegne ich zum Beispiel Eltern, die ihr Kind mit Behinderung auf eine Regelschule geschickt und dort schreckliche Erfahrungen gemacht haben? Belehre ich sie, dass sie nicht lange genug durchgehalten haben oder dass Schule XY nicht weit entfernt doch ganz toll sei? Es geht darum, die gemeinsamen Berührungspunkte zu finden, so wenige es auch sein mögen.

Bei Inklusion geht es uns nicht darum, die Debatten zu gewinnen. Wir wollen, dass alle gewinnen – durch Inklusion!

Im vergangenen Jahr sah ich, was weiches Wasser mit hartem Stein alles anstellen kann. Der Kinofilm „Die Kinder der Utopie“ tourte durch Deutschland, wurde in 150 Kinos gezeigt, mit anschließenden Diskussionen; zu einigen war ich hingefahren. Diese Langzeitbeobachtung einer Schulklasse aus Kindern mit und ohne Behinderung bis ins Erwachsenenalter hinein hinterließ bei vielen Zuschauern den Eindruck: Krass, was aus der und dem geworden ist…

Gönnen wir uns also diese Geduld. Es geht auch nicht darum falsche Versprechen zu machen. Wenn man Managern von Google oder Uber zuhört, wie sie preisen, dass Vielfalt automatisch den Unternehmensansatz erhöht – dann ist das ein falscher Ansatz. Es geht um Gerechtigkeit. Und die muss nicht einen Unternehmensgewinn erhöhen. Diesen Fehler machen auch einige Vertreter der Identitätspolitik: Wenn sie ihrem Gegenüber klarmachen, welche Vorbehalte sie als Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft mittels Mikroaggressionen herausposaunen – das ist zwar okay und wichtig, aber muss im Gespräch auf Augenhöhe geschehen, siehe Thummalachetty. Wenn es darum geht, den Gegenüber selbst in eine Schublade zu stecken, ihn als unfähig zu beschreiben, Diskriminierungen aufzuspüren, dann ist der Gewinn daraus zweifelhaft. Der Journalist Matthias Lohre hat in der taz über solche harten Propheten geschrieben:

„Sie erklären nicht verletzende Äußerungen zum Problem, sondern Menschen. Sie suchen keine Lösungen, sondern Täter. Sich selbst erklären sie zu Opfern.“

Es gibt immer die Möglichkeit, das Leid diskriminierter Menschen mitzufühlen, es in Solidarität münden zu lassen. Wie in dem tollen Film „Crip Camp“, den Netflix zeigt: Als Gruppen von Aktivist*innen mit Behinderung in den USA der vergangenen Siebziger Regierungsgebäude besetzten, um ihre Rechte durchzusetzen, waren es Aktivist*innen von der Black-Panther-Bewegung, welche ihnen rasch Verpflegung brachten. Guten Appetit allerseits!



5 Antworten zu “Wie wir uns die Köpfe doch nicht einschlagen”

  1. Lieben Dank Raul Krauthausen,
    ich möchte eine halbe Gegenrede halten, die andere Hälfte ist pro. Mich stört schon das Wort „Crip“, ich bin aber auch ganz anders unterwegs, sowieso, denn ich habe das Privileg, gar nicht erst Kampagnen starten zu müssen. Wenn ich mit mir ganz alleine bliebe, auch gut.
    Warum aber muss es solche Kampagnen geben, wo mich schon die Wörter auf Abstand bringen? Was soll das mit dem „Crip“ – ist das denn nicht ein „verbales Schädel-Anschlagewort“?
    Ich habe eine Behinderung ja, nicht schwer, aber da. Mir bricht der Schweiß aus, wenn ich sehe, was Menschen mit Behinderungen alles anstellen, um Macht zu entfalten – puh!
    Ich bin gar kein Machtmensch, ich bin ich, das reicht mir vollkommen, ich habe jeden Frieden damit.
    Meine Solidarität hast Du weil Du ein Mensch bist, klar, ich wurde auf Dich aufmerksam über Steady.
    Aber selbst wenn Du ab jetzt gar nichts mehr machen würdest, hättest Du meine Solidarität – ich bin keine Feudalfrau, ich kann nicht fordern von dem freien Menschen neben mir. Ich stimme aber auch voll zu:
    „Es geht um Gerechtigkeit. Und die muss nicht einen Unternehmensgewinn erhöhen.“ Stimmt! Genau!
    „Krass, was aus der und dem geworden ist“, törnt mich total ab, weil ich es selbst so gehört habe, ich hatte meine Lehre bei der Bank fertig, mich rief eine frühere Lehrkraft an, die ich nicht einmal mehr erinnerte (was nicht gegen sie sprechen muss) und kam aus dem Staunen nicht heraus, dass ich das hingekriegt hatte.
    Was soll das? dachte ich. Wie komisch muss ich ihr denn vorgekommen sein damals? – nur damals hat sie -jedenfalls erinnere ich es nicht – nichts gesagt.
    Ich freute mich schon auch über die Ansprache selbst, die meisten Menschen schließen mich nicht ein in ihr Ansprachesystem, was mich manchmal enttäuscht. Also irgendwie nett war der Anruf natürlich schon.
    Aber: Warum konnte die Frau denn nicht einfach „herzlichen Glückwunsch“ sagen, ohne den fetten Dämpfer (Das hätte ich nicht gedacht!) hinterher zu schicken.
    Sowas wie eine Banklehre macht ein Mensch wie ich locker, die 2 war schwer zu kriegen, das war knapp, auch gut!
    Persönlich würde ich sehr gerne das Thema „Behinderung“ vom Leistungsprinzip befreien. Es hat damit nichts zu tun.
    Ich bin immer noch froh, dass ich nicht früher als behindert angesehen wurde, denn dann hat man keine gleichen Chancen mehr, wenn das Label einmal dran klebt, klebt es nicht dran hat man die Chance und die Verwunderung mancher Mitmenschen, aber das ist nicht so wild als wenn man die Chance nicht hat.

  2. Vielen Dank wieder Raul für die klugen Gedanken zum Thema wie bekommt man Gerechtigkeit hin.
    Ich selbst war vor Jahren als Betroffene und dadurch auch psychisch Behinderte zu einem Symposium geschädigter Heimkinder in den Jahren 1945-1975 eingeladen worden. Dort wurde eine andere Betroffene so überwältigt von der Vergangenheit die dort natürlich thematisiert wurde, dass sie den Obmann Herrn Prof Schruth angriff, also eigentlich den komplett falschen Adressaten für meine Begriffe. Obwohl ich die Frau gut in ihrer seelischen Not und dadurch Übersprung verstand, musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass ich mich emotional sofort distanzierte. Heute denke ich, es war wohl eine Art Selbstschutz meiner Seele, der da einsetzte.
    Meine Mutter sagte immer, wer schreit, hat Unrecht. Bis dato habe ich nie diese Logik verstanden.
    Aber in Deinem Artikel klingt es auch an, auf einer Ebene Fakten, Argumente rüber zu bringen, sodass sie ankommen beim Gegenüber.
    Das ist eine große Kunst, wenn man in einer schwierigen oder nachteiligen, eingeschränkten Lage ist, trotzdem natürlich berechtigt sie einfordernd ändern muss oder will.
    Du sagst sehr kluge Überlegungen dazu. Deine Artikel und die Deiner Mitstreiter sind vielfach so klug, intelligent, nachhaltig, unkonventionell und neu.
    Und immer im richtigen Rahmen. Da stimme ich absolut zu, nur so gehen Veränderungen.
    Die Artikel, die Links, die Informationen geben mir sehr, sehr viel. Ich selbst muss ständig für mich und vor allem für meine Kinder kämpfen, besonders weil ich eine behinderte Tochter habe. Was selbstverständlich für sehr viele Menschen absolut gar nicht geht. Sie können und wollen es sich nicht vorstellen, dass ich trotzdem mein Leben und meine Kinder geregelt bekomme. Ohne die Störfeuer entsetzlicher behördlicher oder menschlicher Art wäre vieles leichter.
    Daher setzte ich mich täglich dafür ein Barrieren abzubauen. Ich muss es, besonders für meine Tochter.

  3. Guten Morgen, besten Dank Raul Krauthausen für den schönen Beitrag aus dem Archiv und für das Laotse -Zitat.
    Laotse oder auch Laozi sei auch Archivar gewesen, daran erinnert die Seite der Stanford Universitiy, Archivar im Königtum „Zhou“, welches in zweigeteilt war. Dass zu Laotse überhaupt Informationen da sind, sei wiederum dem Historiker Sima Qian zu verdanken, dies lese ich das bei Britannica, wo es einen Verweis auf die Princeton University gibt. 2008 gab es, hielt die TU München fest, ein „Laotse Sommerfest“, Laotse habe „runden Geburtstag“, da die TU München 10 Jahre Austausch mit China gepflegt habe.
    An Asien erinnert der Name des „Tagore Gymnasium“, wo es kürzlich erst um die Frage ging, ob die Schulleiterin entlassen werden solle, oder nicht, der Tagesspiegel berichtete.
    Aber wer wird sich denn den „Kopf einschlagen“, wenn man es auch elegant, weich und sanft vollführen kann, die Bevorzugung und Benachteiligung von Menschen – über die Vertragsgestaltung, da sind ja immer zwei dran beteiligt, sanfter geht es ja kaum, nicht wahr?
    Vertragsgestaltung und die Inspiration. Ich sitze vor zwei Teeschachteln, einmal Twinings London, by Appointment of her Majesty, Queen Elizabeth II, und meine Schachtel erzählt mir viel. Der Tee, den ich in Lichterfelde bei Kaufland shoppte, werde entweder in Großbritannien oder Polen verarbeitet und verpackt. Zusammenarbeit ist immer gut gegen „Köpfe einschlagen“. Obwohl die Schweiz, Italien, Frankreich, Österreich und Deutschland meines Erachtens eher dicht beieinander liegen, gibt es drei verschiedene Vertriebsunternehmen, wobei es für Italien und Frankreich keine Angaben gibt – da kann dann schon mal Streit aufkommen. Für Österreich ist die „Maresi GmbH“ in Wien angegeben, für die Schweiz die „Wander AG“ in Neuenegg und für die Bundesrepublik die „Genuport Trade AG“ Nordestedt – soviel zu Twinings, nehme ich zur Teatime. Morgens trinke ich, noch vor dem Kaffee, Pfefferminztee – grünlich im Vergleich zum schwärzlichen Tee, die Schachtel spricht von Bio, mit Kaufland-Emblem, er käme aus dem „Benediktus Kräuterlabor, Strathausen GmbH in Landshut – wo Heinrich Himmler das Humanistische Gymnasium besuchte und später den tödlichsten Garten verwaltete, den es je gab, im KZ Dachau.
    Weil keiner das Sars-Cov2-Virus so richtig versteht, wird viel experimentiert, während ich meinen Tee aus dem Kräuterlabor schlürfe. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow befürchtet, die beschlossenen Maßnahmen brächten nichts, nicht für Thüringen.
    Ich will mich heute mit Laotse und Kameliendame – aus der Kamelie, steht in meinem Bilderlexikon aus dem Artia Verlag, Prag, deutsche Ausgabe Bertelsmann 1964, könne man sowohl grünen als auch schwarzen Tee machen – na bitte! Und bitte nicht mit Steinen werfen, die Kamelie sitzt in Pillnitz im Glashaus, kann raus und rein fahren, ich Hampstead London wächst sie sehr schön entlang von Wänden an der Sumatra Road. In Lichterfelde gibt es im Botanischen Garten auch ein Kameliengewächshaus, und Thüringen? Sauer muss der Boden sein, berichtete der MDR noch vor vier Tagen – sauer ist auch der Boden in Greenwich..
    Jetzt bin ich schon fast überinspiriert so früh am Sonntag. In der Kadettenanstalt Lichterfelde hätten sie auch einen Dampfkessel gehabt, zum Heizen und Kochen. Die Kamelie ist sensibel, nicht zu heiß, nicht zu kalt bitteschön!
    Hier funktioniert die Inklusion aufs Vortrefflichste – warum hat es die Kamelie so gut und: Konnte Kurt von Schleicher etwas dafür?
    Ich wechsele später am Tag zum Beitrag des Tagesspiegel, mit Tee, und nicht ganz weichem Wasser, aber weich genug, sich nicht die Köpfe einzuschlagen – warum gibt es kein Kaffeei und kein Teesatzlesen?
    Besten Dank Raul Krauthausen, einen schönen Sonntag.

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